Das israelische Sicherheitskabinett hat in Israel den Kriegszustand ausgerufen.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Amos Ben-Gershom

Netanjahu (l-r), Ministerpräsident von Israel, und Gallant, Verteidigungsminister, besprechen die aktuelle Lage.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Israel erklärt Kriegszustand – Mehr als 700 tote Israelis

Nach den Angriffen militanter Palästinenser attackiert die israelische Luftwaffe Ziele im Gazastreifen. Auf beiden Seiten gibt es Hunderte Tote. Israel befindet sich offiziell im Kriegszustand. Unter den über 100 Geiseln der Hamas sind auch Deutsche.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das israelische Sicherheitskabinett hat in Israel den Kriegszustand ausgerufen. Dies erlaube "weitreichende militärische Schritte", teilte am Sonntag das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit. "Der Krieg, der Israel durch eine mörderische Terrorattacke aus dem Gazastreifen aufgezwungen wurde, hat am 7. Oktober 2023 um 06.00 Uhr begonnen."

Die islamistische Hamas hatte am Samstag von Gaza aus überraschend einen Großangriffe gegen Israel begonnen. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Palästinenserorganisation feuerte mehr als 3.000 Raketen auf Israel ab. Gleichzeitig drangen am Samstagmorgen bewaffnete Palästinenser über Land, See und Luft nach Israel vor.

Angriffe aus dem Libanon

Israel hat außerdem Beschuss aus dem Libanon gemeldet: Die libanesische Hisbollah-Miliz hat israelische Stellungen an der Grenze zu den Golanhöhen beschossen. Milizionäre hätten große Mengen von Raketen und Granaten abgefeuert und israelische Positionen in einem "umstrittenen" Gebiet getroffen, teilte die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah am Sonntag mit. Der Angriff diene der Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand.

Artillerie der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) würden das Gebiet im Libanon, von dem aus kurz zuvor auf israelisches Gebiet geschossen worden sei, unter Feuer nehmen, teilte IDF-Sprecher Daniel Hagari am Sonntag auf der Plattform X (vormals Twitter) mit. Die israelischen Streitkräfte seien auf alle Szenarien vorbereitet und würden auch weiterhin die Sicherheit der Bewohner Israels schützen.

Israel evakuiert Ortschaften am Rande von Gaza

Die israelische Armee evakuierte Ortschaften im Grenzgebiet zum Gazastreifen. Tausende Menschen sollen an andere Orte in Israel gebracht werden, sagte der israelische Armeesprecher Richard Hecht am Sonntag.

Die Armee erklärte das Gebiet um den Küstenstreifen herum zum Sperrgebiet. Es gebe noch acht Punkte im Süden des Landes, wo nach möglichen Angreifern gesucht werde, sagte Hecht. Der Sperrzaun zum Gazastreifen sei an 29 Stellen durchbrochen worden, diese seien inzwischen alle unter Kontrolle. Man greife aus der Luft potenzielle neue Angreifer an diesen Punkten an.

Hunderte Tote auf beiden Seiten

Die Zahl der Todesopfer in Israel ist laut Berichten israelischer Medien inzwischen auf 700 gestiegen. Durch die israelischen Luftangriffe seien im Gazastreifen 370 Palästinenser getötet und knapp 2.000 verletzt wurden, teilte das dortige Gesundheitsministerium am Sonntag mit.

Nach Angaben des israelischen Zivilschutzes ist auch ein ranghohes Hamas-Mitglied getötet worden. Die Leiche von Aiman Junis sei am Sonntag aus den Trümmern eines Gebäudes im Flüchtlingslager Nuseirat geborgen worden.

Mindestens 100 Geisel der Hamas - darunter auch Deutsche

Über die Anzahl der Verschleppten herrscht weiter Unklarheit. Das Pressebüro der Regierung teilte am Sonntag auf Facebook mit, dass es mehr als 100 sind. Die Hamas hat die Menschen als Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich unter den von der islamistischen Hamas Verschleppten auch deutsche Staatsangehörige befinden. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es am Sonntag, nach Erkenntnissen des Außenministeriums handele es sich um Menschen, die alle neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit hätten. Am Sonntag hatte im Auswärtigen Amt erneut der Krisenstab der Bundesregierung getagt.

Aus dem Auswärtigen Amt hieß es nach den zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen weiter, man stimme sich gemeinsam mit der deutschen Botschaft in Tel Aviv sehr eng mit den israelischen Behörden ab. Zudem bitte man um Verständnis, dass man sich zum Schutz der betroffenen Personen weder zur Anzahl noch zu Einzelfällen öffentlich äußern könne. Schon zuvor hieß es, zu konsularischen Einzelfällen und Geiselnahmen deutscher Staatsangehöriger äußere sich die Bundesregierung

Zum Audio: Kämpfe zwischen Israel und der Hamas

Rauch und Flammen steigen auf, nachdem israelische Streitkräfte ein Hochhaus in Gaza-Stadt angegriffen haben.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Ali Hamad
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Rauch und Flammen steigen auf, nachdem israelische Streitkräfte ein Hochhaus in Gaza-Stadt angegriffen haben.

Netanjahu kündigt weitere Vergeltungsmaßnahmen an

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte in der Nacht eine harte Reaktion im Gazastreifen an. "Wir werden alle Orte, an denen die Hamas organisiert ist und sich versteckt, in Trümmerinseln verwandeln", sagte der Politiker am Samstagabend in einer Ansprache. Israel werde Rache nehmen. Weiter sagte er: "Dieser Krieg wird Zeit brauchen. Es liegen noch herausfordernde Tage vor uns." Ziel sei es, die militärischen und regierungstechnischen Kapazitäten der Hamas und des Islamischen Dschihad so zu zerstören, "dass sie für viele Jahre nicht mehr in der Lage und bereit sind, die Bürger Israels zu bedrohen und anzugreifen".

Angriff 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg

Der Angriff der Hamas startete genau 50 Jahre nach dem Beginn des Jom-Kippur-Krieg am 6. Oktober 1973. Der damalige Angriff feindlicher arabischer Staaten auf Israel am höchsten jüdischen Feiertag gilt als bislang schwerstes nationales Trauma. "Dieser Tag ist eine Zäsur, ein präzedenzloser Akt der Eskalation durch die Hamas", sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Samstag in Berlin. "Durch diese Terrorangriffe besteht nun die unkalkulierbare Gefahr einer großen regionalen Eskalation", so die Grünen-Politikerin. Sie könne nur "auf das Schärfste davor warnen, dass sich andere diesem Terror anschließen", sagte die Außenministerin.

Im Auswärtigen Amt kam am Samstag der Krisenstab der Bundesregierung zusammen. Zum jetzigen Zeitpunkt werde dringend von Reisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete abgeraten, so Baerbock. Sie rief alle Deutschen im Land auf, sich in die Krisenliste einzutragen.

Zusammenstöße und Tote auch im Westjordanland

Bei Zusammenstößen mit der israelischen Armee im Westjordanland wurden am Samstag in mehreren Orten sechs Palästinenser getötet, darunter ein 13 Jahre alter Junge, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah mitteilte. Ein weiterer Mann wurde palästinensischen Angaben zufolge nach einem versuchten Messerangriff von israelischen Soldaten erschossen. Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem völkerrechtswidrig besetzt. Israel hingegen spricht von "umstrittenen Gebieten".

Bildung einer Notstandsregierung

Im Hintergrund liefen in Israel am Abend Gespräche über die Bildung einer Notstandsregierung. Netanjahu habe den beiden Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz den Eintritt in eine solche Regierung angeboten, teilte ein Sprecher von Netanjahus Likud-Partei mit. Zuvor hatte Lapid bereits die Bereitschaft dazu signalisiert. Medienberichten zufolge soll ein Treffen zwischen Lapid und Gantz jedoch ohne Einigung geblieben sein.

US-Präsident Biden sichert Israel unverbrüchliche Unterstützung zu

US-Präsident Joe Biden sicherte Israel die unverbrüchliche Unterstützung der USA zu. "Die USA stehen an der Seite des israelischen Volkes angesichts dieser terroristischen Angriffe", sagte Biden am Samstag in einer Fernsehansprache. Biden warnte, dies sei "nicht der Moment für irgendeine israelfeindliche Partei, diese Angriffe zu ihrem Vorteil auszunutzen". "Die Welt schaut hin", betonte der US-Präsident.

Laut USA bislang "keine Hinweise" auf Beteiligung des Iran

Eigenen Angaben zufolge haben die USA jedoch bislang "keine Hinweise" auf eine mögliche Verwicklung des Irans in den Großangriff der Hamas auf Israel. Es sei "zu früh" zu sagen, ob der Iran direkt in die großangelegte Offensive eingebunden sei, erklärte ein Vertreter des Weißen Hauses am Samstag. Dennoch gäbe es "keinen Zweifel" daran, dass die Hamas unter anderem vom Iran "finanziert, ausgerüstet und bewaffnet werde", betonte er.

Bundestag, Bellevue und Kanzleramt hissen israelische Flagge

"Deutschland verurteilt diese Angriffe der Hamas und steht an Israels Seite", hatte bereits am Samstag Bundeskanzler Scholz auf dem Kurznachrichtendienst X geschrieben. Bei einem Telefonat sicherte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem israelischen Präsidenten Izchak Herzog ebenfalls Solidarität zu.

Am Sonntag wurde nun am Berliner Reichstagsgebäude die israelische Flagge gehisst. Laut einem Sprecher sollte die blau-weiße Israel-Flagge ab mittags auch am Sitz des Bundespräsidenten, dem Schloss Bellevue, und dem Kanzleramt wehen. Am Samstagabend war bereits das Brandenburger Tor mit der israelischen Flagge angestrahlt worden.

"Die Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland steigt"

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat angesichts der Angriffe auf Israel vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Deutschland gewarnt. "Aus der jüngeren Vergangenheit wissen wir: Wenn Israel von der antisemitischen Terrororganisation Hamas angegriffen wird, steigt auch die Gefahr für Jüdinnen und Juden in Deutschland", sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sorgt sich nach den Attacken der Hamas um die Sicherheitslage von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen hierzulande.

Zwei israelische Touristen in Ägypten getötet

In Ägypten ist es zu einem mutmaßlichen Anschlag auf eine israelische Reisegruppe gekommen. Ein Angreifer habe in Alexandria das Feuer eröffnet, teilte das israelische Außenministerium am Sonntag mit. Zwei Israelis und ein Ägypter seien getötet worden.

Der regierungsnahe ägyptische Fernsehsender Extra News TV hatte zuvor berichtet, ein ägyptischer Polizist habe wahllos um sich geschossen, während die israelische Gruppe eine Touristenattraktion besucht habe. "Der Polizist wurde festgenommen und es werden rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet", berichtete der Sender, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Die ägyptischen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu dem Fall.

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!