Eine Kirche in der ukrainischen Stadt Isjum hinter einem zerstörten Wohnhaus.
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Eine Kirche in der ukrainischen Stadt Isjum hinter einem zerstörten Wohnhaus.

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Die Kirchen im Ukraine-Krieg: Gescheiterte Friedensvermittler?

Während die russische Kirche den Angriffskrieg verteidigt und sich in der Ukraine zwei konkurrierende Kirchen gegenüberstehen, zweifelt der Westen am diplomatischen Geschick von Papst Franziskus. Was können Kirchen als Friedensbotschafter erreichen?

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Das Christentum versteht sich als eine Religion des Friedens. Jesus steht dafür, Angriffe nicht mit Gewalt zu kontern, sondern die andere Wange hinzuhalten. Doch so einfach ist die Realität nicht. Was Frieden bedeutet, wird unterschiedlich ausgelegt in den westlichen und den orthodoxen Kirchen. Von einer gemeinsamen Friedensethik ist man weit entfernt.

Für Patriarch Kyrill I., Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, sei der russische Angriffskrieg ein Verteidigungskrieg mit dem Ziel, Frieden herzustellen, so die Theologin Regina Elsner. "Der Feind ist, in der Vorstellung der Kirche, der Westen mit seinen liberalen Werten, der angeblich Russland bedroht. Der russische Staat und die Kirche sehen sich in der Funktion, die Welt vor dieser vermeintlich großen Gefahr zu bewahren."

Ukraine: Zwei Kirchen mit Verwechslungsgefahr

Hat man früher die orthodoxen Kirchen in Russland und Ländern wie der Ukraine, Belarus oder Kasachstan als Einheit wahrgenommen, stellt sich heute die Situation in der Region komplizierter dar: Auf der einen Seite steht die "Ukrainisch-Orthodoxe Kirche", die sich bis ins vergangene Jahr als Teil des russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchats verstand. Daneben existiert seit den 1990er-Jahren und der Unabhängigkeit der Ukraine die von Russland unabhängige "Orthodoxe Kirche der Ukraine".

"Diese beiden Kirchen stehen im starken Konkurrenzverhältnis, was sich durch den Krieg verstärkt hat", sagt Regina Elsner. "Seit der Annexion der Krim 2014 wird der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche immer wieder vorgeworfen, sie wäre nicht ausreichend loyal zum ukrainischen Staat und würde die russische Propaganda mit vertreten."

Frieden als gemeinsamer Nenner? Schwierig!

Inzwischen gab die Kirche zwar ihre Trennung von Russland bekannt. Doch viele Gläubige zweifeln nach wie vor an der Glaubwürdigkeit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. "Die zweite und eindeutig ukrainische Kirche hat sehr viel Zustimmung gewonnen", sagt Theologin Elsner. "Viele Menschen haben Loyalität zum ukrainischen Staat gesucht und sie in der Orthodoxen Kirche der Ukraine gefunden."

Eine Vorstellung von Frieden, wie sie die Russisch-Orthodoxe Kirche vertritt, mit der sie den russischen Krieg rechtfertigt und den Westen als Gefahr einstuft, würde für die Ukraine einer Kapitulation gleichkommen. Wie nah ist die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche dem Moskauer Patriarchat heute noch und ist es denkbar, dass die beiden konkurrierenden Kirchen eine gemeinsame Vorstellung von Frieden finden?

In der Tat gebe es in der Ukraine Initiativen der Gläubigen aller orthodoxen Kirchen, sich gemeinsam für Frieden einzusetzen, sagt Regina Elsner. "Das Problem ist, dass die Kirchenleitungen anders agieren als die Gläubigen und dass es noch sehr viel Zeit brauchen wird, bis die Kirchen versöhnend wirken können."

Vatikan und Moskau: eine einseitige Beziehung

Und was können die westlichen Kirchen zum Frieden beitragen? Papst Franziskus ist zuletzt mit seinen Aussagen zum "großen Russland" in die Kritik geraten, viele Katholiken erwarten sich deutlichere Worte aus dem Vatikan und eine stärkere Abgrenzung zu Moskau. Oleh Nikolenko, Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, warf Franziskus sogar "imperialistische Propaganda" vor.

Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien vermutet einen Grund für die Zurückhaltung des Papstes in seiner südamerikanischen Herkunft. Aus argentinischer Perspektive würden die USA grundsätzlich kritischer betrachtet und der europäische Osten stehe weniger im Fokus. "Paradoxerweise war die südamerikanische 'Theologie der Befreiung' Russland und Osteuropa gegenüber grundsätzlich eher positiv eingestellt - als Kontrapunkt zur kapitalistischen Vorstellung des Westens."

Über Jahrzehnte sei die vatikanische Ost-Politik stark auf Moskau fixiert gewesen, sagt Theologin Elsner. "Die Kirchen und ihre starke Identität in den anderen Ländern, die früher zur Sowjetunion gehört haben, spielen in der Vorstellung des Vatikans fast keine Rolle." Doch trotz des vermeintlich guten Drahts nach Moskau - auf die russische Kirche habe der Papst nur wenig Einfluss. "Moskau manipuliert diese diplomatischen Beziehungen seit Jahrzehnten und nutzt sie aus. Es ist eine sehr einseitige Beziehung."

Was die westlichen Kirchen aber tun könnten, sagt Regina Elsner, wäre, als Vermittler aufzutreten zwischen den beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine - zu versuchen, die Kirchenleitungen an einen Tisch zu bringen, um über ein gemeinsames Friedensverständnis nachzudenken.

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