Aufnahmen im Rahmen der Demonstration "Auf die Strasse! Gegen Nazistische Deportationsplaene der AfD" vor dem Roten Rathaus in Berlin, 17.01.2024. Ein Schild mit der Aufschrift "AfD-Verbot jetzt!"
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Demonstranten in Berlin fordern ein AfD-Verbot. Sinnvoll? Machbar? Gerechtfertigt?

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AfD-Verbot: Sinnvoll? Machbar? Gerechtfertigt?

Nach dem Bekanntwerden des "Geheimtreffens" von Potsdam ist die Diskussion über ein AfD-Verbot in vollem Gange. Parteiverbote sind ein drastisches Mittel mit hohen Hürden. Wie sinnvoll wäre ein solches Verfahren gegen die AfD? Possoch klärt!

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

"Die wehrhafte Demokratie muss ihre Instrumente nutzen", sagt Daniel Günther (CDU). Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein argumentiert damit für ein AfD-Verbot. Viele Menschen, die in Köln, Berlin, Hannover, Würzburg und vielen anderen Städten Deutschlands gegen die AfD demonstrieren in diesen Tagen, sehen es ähnlich: Auf ihren Bannern und Schildern fordern sie ein "AfD-Verbot jetzt".

Ein Parteiverbot wurde zweimal in der deutschen Geschichte durchgesetzt: 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei, eine Nachfolgepartei der NSDAP, verboten. Die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands, wurde 1956 verboten. 70 Jahre später wird wieder über ein Parteiverbot diskutiert – es soll die AfD treffen und wirft viele Fragen auf.

Christian Waldhoff, Rechtswissenschaftler der Humboldt Universität Berlin, ordnet im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) ein: "Es kann ja in einer pluralistischen Demokratie nicht Sinn und Zweck sein, politische Feinde und seien sie noch so extrem, einfach durch Verbote auszuschalten." Gleichzeitig stellt Waldhoff die hohen Hürden, die ein Parteiverbotsverfahren hat, heraus: "Ein Gericht, das ein solches Verbot aussprechen soll, muss extrem sorgfältig und extrem zurückhaltend agieren."

Kein NPD-Verbot: Die Geister, die Karlsruhe rief

Das letzte Mal, dass eine Partei verboten werden sollte, war in den frühen 2000er Jahren: die NPD. Das erste Verfahren wurde 2003 abgebrochen, weil zu viele V-Leute in den Führungsebenen der NPD aktiv waren. Das zweite NPD-Verbotsverfahren endete 2017 mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Nein, die NPD wird nicht verboten. Nach Auffassung des Gerichts verfolgte die NPD zwar verfassungsfeindliche Ziele, es mangelte aber an "konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt". Also: Die NPD war zu bedeutungslos, um die Demokratie zu gefährden.

Die AfD liegt in Umfragen aktuell bei 22 Prozent, in den ostdeutschen Bundesländern wäre sie sogar stärkste Kraft mit über 30 Prozent. Das Argument, die Partei sei zu unbedeutend, kann also nicht zutreffen. Womöglich sogar das Gegenteil: Ist die AfD inzwischen zu groß, "too big to forbid" wie es der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke formuliert?

Rechtswissenschaftler Waldhoff sieht dieses Problem ebenfalls: Nach der Rechtsprechung aus Karlsruhe könne man im Grunde nur mittelgroße Parteien verbieten. Das zeige auch, dass dieses Kriterium "vielleicht nicht so schlau war" im Urteil von 2017: "Das hat das Gericht, das muss man so offen sagen, frei erfunden. Das steht auch im Grundgesetz so nicht drin." Waldhoff war damals selbst beim NPD-Verbotsverfahren beteiligt.

Im Video: Wäre ein AfD-Verbot überhaupt sinnvoll? Possoch klärt!

Ist die AfD verfassungsfeindlich?

Die andere gewichtige Frage als Kriterium für ein Parteiverbotsverfahren: Ist die AfD überhaupt verfassungsfeindlich? Als gesichert rechtsextrem gilt sie in Thüringen seit 2021, in Sachsen-Anhalt seit November 2023 und in Sachsen seit Dezember 2023.

Dem sächsischen Verfassungsschutz zufolge richten sich zahlreiche inhaltliche Positionen des AfD-Landesverbands gegen die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zum Beispiel in der Migrationsfrage gegen die im Grundgesetz verankerte Garantie der Menschenwürde. Die Partei vertrete "typische völkisch-nationalistische Positionen" und schüre "fortwährend Ängste und Ressentiments gegen Ausländer", erklärte der sächsische Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian.

Wenn also ein Verbotsantrag gestellt würde, kämen solche Argumente auf den Tisch.

GRAFIK: Wo gilt die AfD als "gesichert rechtsextrem"?

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Wo gilt die AfD als "gesichert rechtsextrem"?

Welche Konsequenzen hat die Einstufung als "gesichert rechtsextrem"?

Bundesweit stuft der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, eine Art Vorstufe. Die Partei wehrt sich juristisch dagegen.

Aufgrund der Einstufung "gesichert rechtsextrem" darf der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, also zum Beispiel V-Leute anwerben, Personen dürfen observiert werden, und sofern noch weitere Voraussetzungen erfüllt sind, darf auch die Telekommunikation überwacht werden.

Der Verfassungsschutz muss bei diesem Grundrechtseingriff immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten: Jede Maßnahme muss erforderlich und angemessen sein. Es darf kein milderes Mittel geben, mit der man die gleichen Erkenntnisse gewinnen könnte.

Prinzipiell gilt: Bei der Einstufung "gesichert extremistisch" sind tendenziell mehr Maßnahmen zulässig als bei einem Verdachtsfall.

"Geheimtreffen" von Potsdam: Genug für ein AfD-Verbotsverfahren?

Welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz am Ende mit seinen Maßnahmen gewinnt, bleibt abzuwarten. In der Öffentlichkeit wird bereits jetzt breit über die Recherche von "Correctiv" diskutiert: Rechtsextreme haben sich in Potsdam u.a. mit AfD-Politikern getroffen und besprochen, wie man Millionen von Menschen aus Deutschland vertreiben kann – auch solche mit deutschem Pass.

Seit dem Bekanntwerden demonstrieren tausende Menschen gegen die AfD und fordern ein AfD-Verbot. Laut Jura-Professor Waldhoff genügt diese Recherche nicht, um der AfD Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen: "Das war keine Veranstaltung der AfD, sondern eine von Dritten initiierte Veranstaltung, auf der dann freilich führende AfD-Leute, anwesend waren und vielleicht auch sogar den Thesen da zugestimmt haben, aber das muss erst mal der Partei als solcher zugerechnet werden und es darf nicht nur ein punktuelles Ereignis gewesen sein, sondern es muss typisch, es muss symptomatisch für das Verhalten und das Handeln dieser Partei sein."

Die Politik diskutiert: AfD-Verbot ja oder nein?

Die Meinungen in der Politik über ein AfD-Verbot gehen auseinander: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU ist dafür, sein Partei-Chef Friedrich Merz sagt: Ein Verbotsverfahren würde Jahre dauern und die AfD nur "in ihrer Märtyrerrolle" bestärken.

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält einen AfD-Verbotsantrag für falsch. Dieser würde "der AfD nur in die Hände spielen". Wer die AfD verbieten will, pusht die AfD – so sieht es auch Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung im BR24-Interview: "Wir leben in einem Prozess der Polarisierung der Gesellschaft, und wenn nun ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD angestrebt wird, dann wird das entsprechend zu Mobilisierungseffekten führen, und damit muss man natürlich schon im Vorfeld rechnen."

Nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung können den Antrag stellen, eine Partei zu verbieten. Das gesamte Verfahren würde mehrere Jahre dauern. Kailitz bringt daher die Möglichkeit des Ausschlusses von der Parteienfinanzierung ins Spiel: "Bevor jetzt die Frage des Verbots erörtert wird, wäre zunächst zu erörtern, ob das nicht der erste Schritt sein müsste."

Björn Höcke: Keine Grundrechte für Faschisten?

Eine andere Debatte, die durch eine Petition, die bereits mehr als eine Million Unterschriften gesammelt hat, hochkommt: Björn Höcke Grundrechte entziehen.

So eine Grundrechtsverwirkung ist im Grundgesetz geregelt: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte", heißt es in Artikel 18.

Jurist Waldhoff führt aus, dass das Bundesverfassungsgericht damit auch ein Redeverbot, ein Auftrittsverbot und den Entzug des passiven Wahlrechts sowie der Fähigkeit, öffentliche Ämter einzunehmen, aussprechen könnte: "Dann wäre es ja mit der Ministerpräsidentschaft vorbei." Für besonders wahrscheinlich hält Waldhoff das hingegen nicht. Viermal wurde in Deutschland versucht, jemandem Grundrechte zu entziehen, geklappt hat es nie.

Dieser Artikel ist erstmals am 19. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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