Balkone eines Miethauses
Bildrechte: BR / Kontrovers | Mira Barthelmann

Wohnen: Politik verzögert Mieterschutz

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Wohnen: Ampelkoalition schiebt Mieterschutz auf die lange Bank

Immer wieder werden ganze Wohnblöcke von Investoren gekauft, saniert, die Mieten massiv erhöht. Die Bundesregierung könnte die Mieter besser schützen, die Ampel-Parteien sind sich aber uneinig. Lässt die Politik die Mieter im Regen stehen?

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Antonie Blüchl lebt seit 25 Jahren mit ihrer Familie in ihrer Mietwohnung in einem Wohnkomplex am Luitpoldpark in München-Schwabing. Hier hat sie ihre beiden Kinder großgezogen, im Haus kennt jeder jeden, die Nachbarschaft ist eine richtige Gemeinschaft. Im Sommer dann der Schock: Alle 90 Mietparteien bekommen Post vom Sozialreferat. Der Wohnkomplex soll verkauft werden. In dem Brief, dessen Inhalt dem BR-Politikmagazin Kontrovers bekannt ist, schreibt Oberbürgermeister Reiter, die Stadt München werde versuchen, "in jedem rechtlich möglichen Fall das Vorkaufsrecht auszuüben". Sprich: Die Stadt München bemüht sich darum, dem potenziellen Käufer zuvorzukommen, um die Mietwohnungen zu erhalten und die Bewohner damit vor möglichen Luxussanierungen verbunden mit massiven Mieterhöhungen zu schützen.

Mieter fürchten Zerschlagung des Wohnkomplexes

Der bisherige Eigentümer galt immer als solide, verlangte moderate Mieten, Mieterhöhungen gab es selten. Außerdem wurde das Anwesen gut instand gehalten. Was den Eigentümer zum Verkauf bewegt hat, wissen die Mieter nicht. Die Ungewissheit macht Antonie Blüchl schwer zu schaffen. "Man hört das immer wieder, dass Häuser auseinandergerissen werden und dann einzelne Wohnungen verkauft werden. Dann wird Eigenbedarf angemeldet und du fliegst raus oder die Mieten steigen kontinuierlich.“

Stadt München bekommt kein Vorkaufsrecht

Mittlerweile steht fest: Die Stadt München kann das Gebäude nicht über das Instrument des Vorkaufsrechts erwerben und dadurch in seiner jetzigen Form erhalten. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor knapp einem Jahr scheitern Kommunen immer häufiger damit, ein Vorkaufsrecht geltend zu machen. Dabei ist es für genau solche Fälle gedacht: Um gewachsene Milieus wie in diesem Teil von Schwabing zu erhalten und bestenfalls so zu modernisieren, dass die Mieten für die langjährigen Bewohner bezahlbar bleiben. Seit dem Gerichtsurteil liegt der Spielball bei der Bundesregierung. Mit einer Änderung des Baugesetzes könnte die Ampel-Regierung das Vorkaufsrecht nachschärfen. Doch eine schnelle Lösung ist nicht zu erwarten, die FDP bremst bei der Gesetzesänderung.

FDP bremst bei Änderung des Baugesetzes

Er wolle keinen Schnellschuss, rechtfertigt Daniel Föst, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, die Blockade seiner Partei gegenüber Kontrovers. "Wir müssen Milieus schützen. Aber ich habe Fragen. Ich will wissen, wie sanieren wir die Milieuschutzgebiete? Wie machen wir es altersgerecht? Warum sind anscheinend Luxussanierungen möglich, obwohl alles unter Genehmigungsvorbehalt stünde? Diese Fragen will ich beantwortet haben. Vorher kann ich einer Verschärfung des Vorkaufsrechts nicht zustimmen."

Für die Stadt München ein schwerer Schlag. Denn die Gebäude, bei denen die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausüben wollte, aber nicht durfte, summieren sich seit dem Urteil vor einem Jahr mittlerweile auf fast 50. Diese Ohnmacht treibt Münchens Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) um. "Das sind 50 Anwesen mit Mieterinnen und Mietern, die einfach so von einem Eigentümer auf den anderen Eigentümer übergehen, ohne dass wir etwas tun können", sagt Frank dem BR-Politikmagazin Kontrovers. Das Vorkaufsrecht ist zwar das für den Steuerzahler teuerste, aber auch das stärkste Instrument, um Mieter vor der Zerschlagung von Wohngebäuden, Luxussanierungen oder dem Abriss ihrer Wohngebäude zu schützen.

Entmietung, Abriss, Neubau von Luxuswohnungen

Zwei Kilometer Luftlinie entfernt vom Schwabinger Wohnkomplex ist genau das passiert. Vor einigen Jahren kaufte ein Investor ein Mehrfamilienhaus in der Türkenstraße. Stefan Sasse war hier viele Jahre Mieter. Als letzter zog er schließlich im Frühjahr 2021 aus seiner Wohnung aus. Dann rückte der Bagger mit der Abrissbirne an. Jetzt blickt er sichtlich bewegt auf die Baugrube.

"Es sind schöne, aber eben auch sehr schmerzhaftes Erinnerungen. Es ist brutal, zu sehen, wie der eigene Lebensmittelpunkt blitzschnell verschwinden kann. Eigentlich wollte ich hier alt werden." Stefan Sasse, ehemaliger Mieter

Auf den Abriss des alten Gebäudes folgt jetzt der Neubau von Luxuswohnungen. Die entstehenden Eigentumswohnungen werden bereits zum Kauf angeboten – für ein bis acht Millionen Euro. Ein Szenario, das auch Bewohner wie Antonie Blüchl am Luitpoldpark in Schwabing fürchten.

Neuer Eigentümer: Aktuell keine weitergehenden Pläne

Der neue Eigentümer dort ist die Auer Holding. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen 300 Wohnungen im Bestand, viele davon in Münchner Bestlagen. Auf Anfrage von Kontrovers, inwiefern Sanierungen geplant seien und was das für die Mieter bedeute, antwortet Unternehmenschef Christian Auer, dass man sanieren wolle. Weiter heißt es: "Weitergehende Pläne haben wir derzeit nicht. Für die Mieter ändert sich grundsätzlich nichts."

Doch dem BR-Politikmagazin Kontrovers liegen zwischenzeitlich Belege vor, dass der neue Eigentümer eine Abgeschlossenheitserklärung eingereicht hat. Die wird benötigt, um eine Wohnanlage in einzelne Eigentumswohnungen umzuwandeln. Ob also alles auf Dauer so bleibt, wie es ist, ist für Anwohner wie Antonie Blüchl mit Blick in die weitere Zukunft fraglich. Für sie steht nach so vielen Jahren nicht nur ihre Mietwohnung auf dem Spiel, sondern ihre Heimat.

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