Schüler des Dossenberger Gymnasiums auf dem jüdischen Friedhof in Ichenhausen
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Auf dem jüdischen Friedhof in Ichenhausen bringen Gymnasiasten Grundschülern die Geschichte des Judentums nahe

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Wenn Juden gefragt werden, ob sie "Blut von Christen trinken"

Eine Günzburger Schule kämpft seit 25 Jahren gegen Antisemitismus. Gymnasiasten lehren Grundschülern dabei Interessantes über das Judentum. Am Samstag wurde das Jubiläum mit einem Festakt gefeiert. Dabei kam auch Hässliches zur Sprache.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Es wirkte verstörend, was manche Redner bei den Feierlichkeiten im Dossenberger Gymnasium schilderten. Judenhass und Vorurteile treffen oft schon die Kleinsten, sagt Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Staatsregierung. Er erzählt von einem jüdischen Kind, das in der Schule gefragt wurde: "Wann trinkt ihr das Blut der Christenkinder?" Auch Christoph Henzler, Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in Schwaben, berichtet über ein Erlebnis. Als er nach einem Schülersabbat zur Tür ging, wurde er angesprochen, besser so nicht nach draußen zu gehen. Sonst kriege er Ärger. Henzler hatte noch die Kippa auf dem Kopf.

Kreativ gegen Antisemitismus: 26.500 Grundschüler beim Lernzirkel

Dass Antisemitismus zunehmend wieder in Deutschland verfängt, müsse ein Weckruf sein. Da waren sich die Redner am Abend des Festakts einig. Wie auch mit ihrem Lob für ein Projekt, das Judenhass den Nährboden entziehen soll. Seit nun schon 25 Jahren wird die ehemalige Synagoge in Ichenhausen eine Woche lang zum kreativen Lernort. 26.500 Schülerinnen und Schüler aus dem Landkreis Günzburg haben den sogenannten Lernzirkel bereits durchlaufen. Das Besondere: Neuntklässler schlüpfen dabei in die Rolle der Lehrer. An verschiedenen Stationen können die Kinder jüdische Speisen kosten, aber auch Wissenswertes über das Judentum erfahren.

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Die Wissensvermittlung ist keineswegs nur theoretisch. Die Grundschüler dürfen zum Beispiel auch jüdische Speisen essen.

Interessantes über das Judentum lernen - nicht nur theoretisch

Das "Ner Tamid", ein ewiges Licht, soll die Gläubigen in der Synagoge daran erinnern, dass Gott immer da ist. In die "Mikwe", ein Tauchbad, gehen Jüdinnen und Juden, um sich oder auch bestimmte Gegenstände rituell zu reinigen. Die Menora, der siebenarmige Leuchter, symbolisiert die Schöpfung der Welt in sieben Tagen.

Die Schüler sitzen beim Lernen nicht nur still an Tischen. Wie bei der Quizsendung "1, 2 oder 3" müssen die Kinder Fragen beantworten. Sie springen dabei aufgeregt zwischen Feldern hin und her, die mit Klebeband am Boden markiert wurden. Einige sind erstaunt, wie viele berühmte Persönlichkeiten Juden waren. Einstein, Jesus Christus oder auch Jeans-Pionier Levi Strauss.

Besuch auf einem jüdischen Friedhof

Projektleiter Michael Salbaum hält die Anbindung an die Lebenswelt der Kinder für entscheidend, um sie zu erreichen. "Die Schüler erkennen, dass vieles gar nicht so fremd ist, wie sie anfangs denken. Weil es viele Ähnlichkeiten zum Christentum oder dem Islam gibt", so Salbaum. Der Lernzirkel wurde in der Vergangenheit bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, wie dem Staatspreis des Kultusministeriums als Anerkennung für ein besonderes pädagogisches Konzept.

Denn die Schüler besuchen auch den alten jüdischen Friedhof von Ichenhausen, der vor über 450 Jahren erstmals urkundlich erwähnt wurde. Während der Novemberpogrome 1938 hatten Nationalsozialisten zahlreiche Grabsteine umgeworfen, die dadurch zerbrachen. Sie ermordeten oder deportierten viele jüdische Mitbürger.

Gebot der Nächstenliebe stammt aus der Tora

In Ichenhausen gab es im 19. Jahrhundert noch die zweitgrößte jüdische Gemeinde in ganz Bayern. Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, erinnerte beim Festakt daran, die Geschichte der Juden hierzulande nicht in erster Linie als eine der Migration zu begreifen. "An manchen Orten waren sie lange, bevor Christen kamen. Die Christen haben generell auch vieles übernommen wie etwa das Gebot der Nächstenliebe aus der Tora", so Beck. Er lobte den Lernzirkel in Ichenhausen, er helfe einem "Tsunami des Antisemitismus" entgegenzutreten.

Zukunft des Lernzirkels scheint gesichert

Projektleiter Michael Salbaum hofft, dass es noch viele Jahre weitergeht. Denn nur mit finanzieller Hilfe, etwa für Busse, die von den Schulen zur Synagoge nach Ichenhausen und von dort zum jüdischen Friedhof fahren, ist das Projekt durchführbar. Der Landkreis Günzburg hat bislang rund 200.000 Euro in den Lernzirkel investiert. Gut angelegtes Geld, findet Gymnasiallehrer Salbaum, schließlich sei Vorsorge besser als Nachsorge. "Was gibt es Besseres, als das schon die Grundschüler zu lehren", sagt auch Landrat Hans Reichhart. Eines seiner Kinder war dieses Jahr auch beim Projekt dabei und hatte "viel gelernt und viel verstanden".

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Mithilfe dieser Synagoge aus Lego lernen die Grundschüler Wichtiges über die jüdische Religion

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