Auf einer heißen, fettigen Oberfläche wird ein Stück Fleischersatz angebraten
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Laborfleisch statt Landwirtschaft?

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"Zelluläre Landwirtschaft": Wenn das Steak aus dem Labor kommt

Saftiges Schweinenackensteak aus dem Bioreaktor statt vom Bauernhof: Ist das ein Schreckensszenario oder die Zukunft unserer Ernährung? Glaubt man einigen Wissenschaftlern, dann wird diese Zukunft gerade Realität.

Über dieses Thema berichtet: Unser Land am .

Rund acht Millionen Tonnen Fleisch – so viel sind laut Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums im vergangenen Jahr in Deutschland produziert worden. Und zwar, indem Tiere geschlachtet wurden. Das wird sich in Zukunft radikal ändern. Zumindest glaubt das Professor Nick Lin-Hi: "Meine zukünftigen Enkelkinder werden mich irgendwann mal fragen, ob wir früher wirklich mal Fleisch von echten Tieren gegessen haben." Lin-Hi ist Professor für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta und beschäftigt sich mit einem Forschungsfeld, das mehr nach Star Trek klingt als nach Landwirtschaft.

  • Zum Artikel: Pflanzen und Algen: Das Essen der Zukunft?

Jede Menge Fleisch – aber keine Tiere

Sein Forschungsschwerpunkt: Die "zelluläre Landwirtschaft". Ihr Ziel: Tierische Proteine – wie etwa im Fleisch oder in Milchprodukten – werden nicht mehr mit oder an Tieren erzeugt, sondern im Labor. In Bioreaktoren.

Je nachdem, welches technische Verfahren angewandt wird, bräuchte es dann nur noch sehr wenige Nutztiere. Die werden auch nicht mehr geschlachtet, sondern würden als Zellspender dienen. Es wäre nichts anderes als ein radikaler Umbruch in der Produktion von tierischen Proteinen. Mit gewaltigen Auswirkungen. Und das vielleicht schon sehr bald.

Laborfleisch statt Landwirtschaft?

Das glaubt zumindest Professor Lin-Hi: "Möglicherweise sehen wir schon das letzte Jahrzehnt der Nutztierhaltung zur Erzeugung von Nahrungsmitteln." Das würde für alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette der Fleischerzeugung bisher ungekannte Veränderungen bedeuten. Besonders betroffen wären die Landwirte. Durch den Transformationsprozess könnte sich ihre Rolle komplett ändern. In Zukunft könnten Landwirte zu Rohstofflieferanten für die zelluläre Landwirtschaft oder zu reinen Energieerzeugern werden.

Nutztiere als Stoffverwerter

Beim Bayerischen Bauernverband kann man die Begeisterung für die Zelluläre Landwirtschaft nicht nachempfinden. Christine Singer, die Tierhaltungspräsidentin des Verbands, weist vor allem darauf hin, dass durch die bisherige Tierhaltung der Bauern viele Stoffe als Futtermittel genutzt werden könnten, die für Menschen so nicht verwertbar seien. Etwa Weidegras oder Rapsschrot, das beim Pressen von Öl übrigbleibt. "Tierhaltung sorgt für eine sinnvolle Verwertung dieser Stoffe in der Erzeugung von regionalen ursprünglichen Lebensmitteln bei gleichzeitiger Bereitstellung hochwertigen organischen Düngers", sagt Singer.

Künstliches Fleisch als Energiefresser

Aus Sicht des Bayerischen Bauernverbandes hat die zelluläre Landwirtschaft auch eine schlechte Klimabilanz. Fakt ist: Die Prozesse, mit denen in den Bioreaktoren das kultivierte Fleisch hergestellt werden, sind aufwändig und benötigen viel Energie. In einer Studie des Umweltbundesamtes heißt es unter anderem: "Bezüglich des genauen Ressourcenaufwands und der ökologischen Folgen der In-Vitro-Fleisch-Produktion existieren noch große Unsicherheiten und Kontroversen."

Klimaschutz mit dem Bioreaktor

Die Kritik am Energiehunger der zellulären Landwirtschaft kann Professor Lin-Hi absolut nachvollziehen. Damit sich die Technologie klimapositiv auswirken kann, brauche es deutlich mehr alternative Energien. Dann aber könne sie dazu beitragen, dass die Gesellschaft nachhaltiger wird. Denn der Fleischkonsum gilt als einer der großen Verursacher der Klimakrise. Bis zu 15 Prozent der Treibhausgasemissionen stehen damit in Verbindung.

Deswegen sieht Nick Lin-Hi die zelluläre Landwirtschaft als Ansatz, der die Emissionen auf mehreren Ebenen reduzieren könnte. "Das eine ist, wir füttern keine Tiere mehr, sondern wir füttern Zellen." Das würde bedeuten, dass Futtermittel wesentlich effizienter eingesetzt werden könnten. Diese könnten in Zukunft auch selbst im Labor erzeugt werden. Zum anderen könnte die Zahl der Nutztiere deutlich reduziert werden. Und je weniger Tiere es gibt, desto weniger Emissionen (wie Methan) fallen an.

Produktion wird immer schneller

Fleisch aus dem Labor ist nicht mehr nur Theorie. In Kleinserienproduktion könnten Unternehmen inzwischen etwa 50 Kilogramm kultiviertes Fleisch pro Tag herstellen, sagt Lin-Hi. Er geht jedoch davon aus, dass sich die Menge in den nächsten Monaten sprunghaft erhöhen wird. "Wir werden vermutlich im Laufe des Jahres einen deutlich höheren Output sehen. Das Ziel war mal, bis zu 500 Kilo pro Tag dieses Jahr zu kommen." Seiner Ansicht nach handelt es sich um eine Exponential-Technologie: "Es kann jetzt sehr schnell gehen."

Große Skepsis bei Laborfleisch

Lin-Hi ist der Ansicht, dass die zelluläre Landwirtschaft die heutigen, konventionell hergestellten Produkte in eine Nische verdrängen könnte. Nicht nur beim Fleisch. Ein Unternehmen in der Schweiz stellt etwa schon zellulären Kaffee her. Was die Produkte angeht, gebe es für die neue Technologie im Prinzip keine Grenzen. Der Erfolg hänge jedoch stark von der Nachfrage ab.

Und nicht jeder ist so sehr von Laborfleisch überzeugt wie Professor Lin-Hin. Im Gegenteil, viele Verbraucher seien skeptisch, vor allem, wenn sie den Begriff Laborfleisch hören, sagt er selbst. Auch der Preis sei oft ein Argument. Denn der erste Burger mit Fleisch aus zellulärer Landwirtschaft kostete 2013 in Maastricht schließlich 250.000 Euro. Doch langfristig, glaubt Lin-Hi, könnten die Produkte günstiger werden als das Fleisch von heute. Bis wann, das ist allerdings unklar.

Im Video: Zelluläre Landwirtschaft – Fleisch ohne Tiere?

Wissenschaftlerin sieht durch Mikroskop
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Wissenschaftlerin sieht durch Mikroskop

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