Sicherheitszaun mit Stacheldraht in einem Gefängnis (Symbolbild)
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Sicherheitszaun mit Stacheldraht in einem Gefängnis (Symbolbild)

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Weil Prozess zu lange dauert – Kritik an Haftentlassungen

Bayerns Gerichte sind überlastet. 2022 mussten 15 Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil ihr Prozess zu lange dauerte. Die Landtags-AfD fordert vom Justizminister, Abhilfe zu schaffen. Auch der bayerische Richterverein warnt.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Beschuldigte, die dringend tatverdächtig sind und bei denen Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr besteht, kommen in Untersuchungshaft. Aber jedes Jahr werden in Bayern mutmaßliche Täter noch vor einem Gerichtsurteil zwischenzeitlich auf freien Fuß gesetzt, schlichtweg weil ihr Verfahren zu lange dauert. Eine Anfrage der Landtags-AfD zeigt nun, dass das keine Einzelfälle sind. Laut Justizministerium kamen 2019 bayernweit nur zwei Beschuldigte frei, 2020 waren es 15, 2021 zehn und im vergangenen Jahr 15 Angeklagte, die vor Gericht standen und später auch verurteilt wurden, unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Raub oder Körperverletzung.

AfD: "Schwerer Skandal für Justiz in Bayern"

Der Abgeordnete Christoph Maier aus der AfD-Landtagsfraktion kritisiert: Die Bevölkerung müsse unbedingt vor Personen geschützt werden, die gefährlich seien. "Wenn die Staatsbediensteten selbst bei Kenntnis dieser Gefährdung nicht so arbeiten, wie man das von der Justiz erwartet, dann ist das ein schwerer Skandal für die Justiz in Bayern."

Tatsächlich wurde einer der 15 zwischenzeitlich Freigelassenen im vergangenen Jahr später zu neun Jahren Haft wegen mehrfachen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt. Der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion fordert von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) zügige Reformen. Die Gerichte sollten sich auf schwere Fälle konzentrieren anstatt auf Bußgeldverfahren wie etwa während der Coronazeit. Außerdem brauche es mehr Personal, so Maier.

"Wir begrüßen selbstverständlich die Aufstockung des Personals. Aber gleichzeitig müssen die Justizbehörden effizienter arbeiten. Das heißt, sie müssen darauf hinwirken, dass möglichst schnell die Urteile, die Strafbefehle rausgehen. Das wissen wir, dass das rechtlich möglich ist. In vielen Fällen lohnt sich es auch nicht ganz groß, mit den Straftätern in weitere Gespräche einzutreten, sondern das sind einfach Straftäter. Die wollen eine harte Strafe, und die müssen sie auch vom Staat bekommen." Abgeordneter Christoph Maier, AfD-Landtagsfraktion

Missachten die Justizbehörden das Beschleunigungsgebot?

Eigentlich gilt für Richter und Staatsanwälte das sogenannte Beschleunigungsgebot. Demnach müssen die Beamten alles in ihrer Macht stehende tun, um das Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen. Nach sechs Monaten Untersuchungshaft findet die erste Haftprüfung von Amts wegen statt. Hierbei wird entschieden, ob der inhaftierte Beschuldigte weiterhin in Untersuchungshaft bleibt oder freigelassen wird. Mit 15 zwischenzeitlichen Freilassungen im vergangenen Jahr liegt Bayern bundesweit an der Spitze, in Nordrhein-Westfalen etwa waren es nur sechs.

Ministerium: "Jeder Fall einer Haftentlassung ein Fall zu viel"

Auf BR24-Nachfrage antwortet das Justizministerium schriftlich, es nehme das Thema Beschleunigungsgebot sehr ernst und suche beständig nach Möglichkeiten zur Vermeidung von Entlassungen aus der Untersuchungshaft noch während eines Verfahrens. Dennoch, so ein Ministeriumssprecher, seien Gerichte und Staatsanwaltschaften in Bayern sehr leistungsfähig: "Die Anzahl der in Bayern erfolgten Haftentlassungen bewegt sich im Verhältnis zur Einwohnerzahl im Vergleich zu den übrigen Bundesländern im Mittelfeld. Dennoch ist jeder Fall einer Haftentlassung ein Fall zu viel."

Richterverein: Mehr Personal und effizientere Datenauswertung

Auch der bayerische Richterverein schlägt Alarm: Das Personal in den Gerichten und Staatsanwaltschaften sei knapp. Daran hätten auch die 550 zusätzlichen Stellen seit 2013 nichts geändert. Die Prozesse würden auch durch immer neue Anträge der Anwälte der Beschuldigten in die Länge gezogen und das Beweismaterial werde immer mehr. In Fällen von Kinderpornographie gebe es beispielsweise hunderte bis tausende Dateien auszuwerten, so die Vorsitzende des Richtervereins und Vorsitzende Richterin des Münchner Oberlandesgerichts Barbara Stockinger: "Man muss nur denken an Verfahren, die 100 Tage und mehr dauern, an immense Daten, die sichergestellt werden, die ausgewertet werden müssen und dann vielleicht auch in Verfahren eingebracht werden müssen. Und das alles noch mit einem Personalstand, der dem nicht Herr wird."

Stockinger gibt außerdem zu bedenken, dass Verdächtige nicht unverhältnismäßig lange in U-Haft festgehalten werden können, wenn sich der Prozess hinzieht:

"Ich bin mir sicher, dass es für Opfer nicht nachvollziehbar ist, wenn ein Tatverdächtiger ursprünglich in Haft gekommen ist und dann, ohne dass das Urteil gesprochen wurde, ohne dass der Prozess stattgefunden hat, aus der Haft entlassen wird. Mir fiele auch schwer, dem Opfer zu erklären, warum jemand aus der Haft entlassen wurde. Andererseits, wir haben bis zu einem Urteil auch die Unschuldsvermutung, sodass wir natürlich auch auf den Angeklagten, auf den Beschuldigten schauen müssen und die Rechte, die die Strafprozessordnung vorsieht, für ihn auch in Anspruch nehmen und ihm zugutekommen lassen müssen." Barbara Stockinger, Vorsitzende des Richtervereins

Staatsregierung will 150 neue Stellen schaffen

Einen schnellen Ausweg aus der Situation gibt es nicht. Das Ministerium kündigt indessen an, in diesem Jahr 150 weitere neue Stellen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu schaffen. Absegnen muss das noch der Landtag.

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