Collage: Reisepass, Deutsches Reich, NPD-Demo (Symbolbild).
Bildrechte: picture-alliance/dpa/ Hendrik Schmidt/ Montage: BR

Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt, wie weit eine Nähe zum Gedankengut der Reichsbürgerbewegung in der Bevölkerung verbreitet ist.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Wie weit reicht die Reichsbürger-Ideologie?

Fünf Prozent der Deutschen teilen Reichsbürger-Thesen – vor allem AfD-Anhänger. Das zeigt eine aktuelle Studie. Der Studienautor zeigt sich besorgt über das untersuchte Gewaltpotenzial der Szene. Doch es gibt auch Kritik an der Untersuchung.

Jeder 20. Deutsche weist Reichsbürger-affine Einstellungen auf. Überdurchschnittlich hoch fällt die Zustimmung bei AfD-Anhängerinnen und -Anhängern aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Demnach stimmen fünf Prozent der Befragten der Aussage, dass Deutschland noch von den Besatzungsmächten regiert wird, voll und ganz zu. Weitere acht Prozent stimmen eher zu. Durchgeführt wurde die Studie mit 5.511 zufällig ausgewählten Befragten.

Reichsbürger-Thesen vor allem bei AfD-Anhängern

Dass Deutschland "immer noch von Besatzungsmächten regiert" werde, ist eine These, die von Reichsideologen vertreten wird. Den 1990 geschlossenen sogenannten "Zwei-plus-Vier-Vertrag" zwischen der BRD, der DDR und den Alliierten blenden Reichsbürger in ihrer Argumentation dabei völlig aus. Obwohl es dieser Staatsvertrag war, der außenpolitische Aspekte und innenpolitische Bedingungen klärte und die endgültige innere wie äußere Souveränität des vereinten Deutschlands herstellte. Studienautor Dominik Hirndorf von der Konrad-Adenauer-Stiftung hat mit seinem Team in der Studie neben der Bevölkerungsumfrage auch längere Interviews mit Personen geführt, die derlei Aussagen zugestimmt haben. "Dabei wurde deutlich, dass diese Personen vielfach ein politisches Weltbild zeichnen, dass von einem tiefen Misstrauen gegen die Politik, Politiker und die Medien geprägt ist", teilte der Politikwissenschaftler dem Bayerischen Rundfunk mit.

Diese Gruppe sei besonders anfällig für Verschwörungstheorien und suche häufig abseits der öffentlichen Berichterstattung in sogenannten "alternativen Medien" nach Informationen. "Bei Einschätzungen zur andauernden Herrschaft der Besatzungsmächte oder zu anderen an Verschwörungstheorien angelehnte Aussagen nach Parteianhängerschaft finden sich innerhalb der AfD-Anhängerschaft erhöhte Zustimmungswerte", hält Hirndorf fest. Damit würden sich die AfD-Anhängerinnen und -Anhänger deutlich von allen anderen Parteianhängerschaften unterscheiden.

"Ich glaube, dass Deutschland nur eine Filiale ist"

Wie skurril die Thesen sind, zeigen die Aussagen in den qualitativen Interviews, die mit Personen geführt wurden, die zu extremen Einstellungen im Bereich Verschwörungen neigen. Ein 54-Jähriger äußerte laut Studie beispielsweise: "Ich glaube, dass Deutschland nur eine Filiale ist wie zum Beispiel der dm in der Ackermannstraße und die nächste Filiale ist dann in Ingolstadt in der Meierstraße, das ist eine Filiale der Kapitalistengesellschaft in den USA. Und die diktieren das, was hier geschieht. Unser Bundeskanzler momentan, der macht ja nur das, was woanders diktiert wird. Wir haben noch Waffenstillstand, wir haben keine Freiheit, wir dürfen nicht agieren, wie wir wollen.“

Derlei Aussagen würden laut Studie belegen, dass bei solchen Personen eine Neigung zu Thesen der Reichsbürgerideologie steht. Dennoch könne angesichts der Messung mit nur einer Aussage nicht von Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern per Definition gesprochen werden. Jedoch sei die Verschwörungstheorie zur Steuerung durch die Besatzungsmächte "so absurd, dass die Zustimmung mit der Kategorie 'voll und ganz' als Affinität zum Gedankengut der Reichsbürgerinnen und Reichsbürger gelten darf", so Hirndorf. Weil die Aussage "so offenkundig falsch und widerlegt" sei, falle "die uneingeschränkte Zustimmung mit fünf Prozent hoch aus", stellt Studienautor Dominik Hirndorf fest. Dem Politikwissenschaftler zufolge seien "Teile der Reichsbürgerideologie scheinbar anschlussfähiger als wir das vielleicht bisher vermutet haben."

Kritik: Studie differenziert nicht ausreichend

Das wissenschaftliche Vorgehen der Studie kritisiert Michael Butter von der Universität Tübingen. Der Amerikanist hat zum Thema Verschwörungstheorien geforscht und warnt vor einer "Verschwörungstheorie-Panik". Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte er: "Es ist problematisch Reichsbürger-Affinität aus einer einzigen Aussage heraus zu lesen und dann weiter zu verarbeiten. Frankreichs Präsident Emanuel Macron hat neulich gesagt, dass Europa nicht der Vasall der USA sein soll. Also wäre Macron demnach dann auch Reichsbürger-affin, was seine Position angeht, wenn man das auf so eine Aussage reduzieren würde."

Butter zufolge sei das eine Schwäche von quantitativer Forschung, die "mit Zahlen und Prozentsätzen daherkommt und deshalb auch immer gerne in den Medien rezitiert wird." Zudem würde die Studie laut Butter nicht genug differenzieren und Menschen, "die an Verschwörungstheorien glauben, pauschal in eine bestimmte politische Richtung einordnen. Es gibt in Deutschland zum Beispiel die Idee, dass Verschwörungsgläubige fast immer rechtsextrem sind. Dem ist aber halt nicht so."

Rechtsextreme, antimuslimische und antisemitische Einstellungen

Das unterstreicht auch die KAS-Studie von Dominik Hirndorf. Demnach würden beispielsweise nicht alle Reichsbürger-affinen Personen an eine Verschwörung glauben. Untersucht hat der Politikwissenschaftler auch die Zusammenhänge der Reichsbürgerideologie zum Rechtsextremismus. Das Ergebnis zeigt, dass sich unter Reichsbürger-affinen Personen "eine erhöhte Tendenz zu sozialdarwinistischem und ethnopluralistischem Gedankengut" finde. So stimmten 14 Prozent der befragten Reichsbürger-affinen der These einer "natürlichen Überlegenheit der Deutschen" voll und ganz zu. Der Bevölkerungsdurchschnitt hingegen stimmte dieser These mit zwei Prozent zu. Eine ebenfalls erhöhte Zustimmung findet sich innerhalb der Reichsbürger-affinen Gruppe zu islamfeindlichen Positionen. So stimmt etwa ein Fünftel der Aussage "die deutsche Gesellschaft wird durch Muslime unterwandert" voll und ganz zu. Doch auch fünf Prozent der Bevölkerung befürworteten diese Behauptung.

Etliche Verschwörungsmythen in der Reichsbürgerideologie entstammen klassisch antisemitischen Ressentiments. So meinen 16 Prozent der befragten Reichsbürger-affinen Personen, dass "Juden hinterhältig" seien und 23 Prozent stimmten der Aussage "Reiche Juden sind die eigentlichen Herrscher der Welt" voll und ganz zu. Hirndorf hält in Bezug auf die Reichsbürger-affine Gruppe dennoch fest: "Nur jeweils ein Bruchteil stimmt Rechtsextremismus-nahen bzw. antisemitischen Aussagen stark zu. Der Vergleich zur Gesamtbevölkerung zeigt jedoch die weit überdurchschnittliche Höhe dieser Zustimmung."

Gewaltpotenzial von Reichsbürgern "ist besorgniserregend"

Dass von Reichsbürgern eine große Gefahr ausgeht, verdeutlichen Razzien im Milieu immer wieder. In Reutlingen in Baden-Württemberg eskalierte vor wenigen Wochen die Situation: Ein SEK-Beamter wurde während einer Razzia angeschossen und verletzt. Als Vertreter des verhassten Staates stehen vor allem Polizisten, Steuerfahnder, Gerichtsvollzieher, Richter und Staatsanwälte im Fokus der Reichsideologen. In der Vergangenheit wurden Richter und Gerichtsvollzieher von selbsternannten Reichspolizisten festgenommen, Steckbriefe von Behördenmitarbeitern und Polizeibeamten im Internet veröffentlicht. Hirndorf untersuchte in seiner Studie auch das Gewaltpotenzial von Menschen, die der Reichsbürgerideologie nicht abgeneigt sind, und resümiert: "Jeweils 16 Prozent der Reichsbürger-affinen Personen halten Sachbeschädigung oder Gewalt gegen Personen 'voll und ganz' bei der Durchsetzung von politischen Zielen gerechtfertigt."

Im Vergleich befürworten lediglich zwei Prozent der Deutschen Gewalt gegen Personen oder Sachgegenstände. Der Politikwissenschaftler folgert aus diesen Zahlen: "Die Messung des erhöhten Gewaltpotenzials unter Reichsbürger-affinen ist besorgniserregend." Bundesweit zählt das Innenministerium etwa 23.000 Personen zur Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter. 2.300 Angehörige dieses Milieus werden demnach als gewaltorientiert eingestuft. Rund 400 Personen besitzen den Angaben zufolge nach wie vor legal Waffen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will daher das Waffenrecht verschärfen und so unter anderem die Szene entwaffnen.

Professor: Verschwörungstheorien bei AfD-Anhängern "dominant"

Reichsbürger-Thesen wurden vor allem auch während der Corona-Pandemie populär in Chatgruppen des Querdenker-Milieus verbreitet. Verschwörungstheorien haben im Zusammenhang mit der Pandemie nicht nur deswegen stark an Sichtbarkeit gewonnen. Dennoch kommen mehrere Studien zum Ergebnis, dass der Glaube an Verschwörungstheorien in den vergangenen Jahren nicht zugenommen habe. Michael Butter beobachtet als Amerikanist vor allem die Entwicklungen in den USA. Dort seien Verschwörungstheorien "eine akute Gefahr für die Demokratie", sagte er im BR-Interview. Das liege vor allem daran, dass sich die Republikaner "Verschwörungstheorien absolut zu eigen gemacht haben, und niemand mehr was wird in dieser Partei, der diese Verschwörungstheorien nicht bedient".

In Deutschland gebe es ihm zufolge nur die AfD, in deren Anhängerschaft Verschwörungstheorien "wirklich dominant" verbreitet seien. "Und diese Partei steht bundesweit bei 10, 15 Prozent und ist weit davon entfernt, Regierungsverantwortung im Bund oder den meisten Bundesländern zu bekommen", bilanziert Butter. Deshalb müsse man in Deutschland Verschwörungsmythen nicht als Gefahr für die Demokratie begreifen, sondern als Sicherheitsproblem: "Dass nämlich natürlich Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, gerade auch bestimmte Verschwörungstheorien mit rassistischen oder antisemitischen Substrat radikalisiert werden können durch diese Verschwörungstheorien und dann zu Waffen greifen und dann aktiv werden und dann Menschen verletzt werden oder sterben."

Reichsbürger seien "konkrete, nicht zu unterschätzende Bedrohung"

Als Beispiel nennt der Professor die im Dezember des vergangenen Jahres ausgehobene mutmaßliche Terrorgruppe um Heinrich Prinz Reuß. "Wenn die losgeschlagen hätte, dann wäre das sehr unschön geworden. Da wären Leute verletzt oder sogar getötet worden. Aber ich glaube, niemand geht ernsthaft davon aus, dass es ihnen gelungen wäre, die Kontrolle über diesen Staat zu übernehmen." Die Demokratie in Deutschland sei nach wie vor wehrhaft, eine akute Gefahr gehe von Verschwörungsmythen derzeit nicht aus, bilanziert der Verschwörungstheorie-Experte. In Bezug auf die Gefährlichkeit von Reichsbürgern mein Studienautor Dominik Hirndorf von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) jedoch, dass von der Reichsbürgerideologie "eine konkrete, nicht zu unterschätzende Bedrohung" ausgehe.

Im Audio: Was sind Reichsbürger - und wie geht der Staat mit ihnen um?

Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik nicht an, basteln sich eigene Ausweis und sind gefährlich.
Bildrechte: picture-alliance/dpa/Christian Ohde
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Reichsbürger: Gefährliche Staatsfeinde

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!