Männer räumen auf, gießen Schlamm vom Balkon, überall liegt Schmutz und Geröll nach einer Sturzflut.
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In Simbach richtete 2016 eine Sturzflut schwere Schäden an.

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Sturzfluten in Bayern: Jede vierte Stadt hochgefährdet

Starkregen und Sturzfluten gehören zu den zerstörerischsten Naturphänomenen und können jede Kommune treffen. BR-Recherchen zeigen, welche besonders gefährdet sind und wie sie sich schützen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Am 24. August 2011 braut sich ein Unwetter zusammen. Karten des Karlsruher Institute of Technology zeigen, wie sich Regenwolken über Mitteleuropa ballen. Es ist ein Mittwoch. Am Abend pendeln viele Menschen noch trocken von der Arbeit nach Hause. In der Nacht setzt in Ingolstadt dann der Regen ein. An manchen Stellen kommen innerhalb von einer Stunde 51 mm pro Quadratmeter herunter. Der Deutsche Wetterdienst spricht bei derartigen Mengen von einem extremen Unwetter. Statistisch sollte das in der Region ein Mal in hundert Jahren vorkommen. Aber das wird es nicht: Insgesamt vier Mal, so erzählt es Thomas Schwaiger, der Leiter des Ingolstädter Kommunalbetriebs, regnet es derart stark – innerhalb von nicht einmal 20 Jahren.

Stark- und Dauerregen schädlichste Wetterphänomene

Stark- und Dauerregen gehören dem Deutschen Wetterdienst zufolge zu den zerstörerischsten Wetterphänomenen. Im Jahr 2021 lag der Schaden, der durch Naturphänomene verursacht wurde, laut Versicherern bei rund 11 Milliarden Euro. 9,2 Milliarden Euro waren durch Sturzfluten, Starkregen, Überschwemmungen und Schneedruck verursacht. Experten zufolge dürften solche Ereignisse infolge des Klimawandels zunehmen.

Viele Kommunen in Bayern noch ohne Gefahrenkarten

"Das ist schwer vermittelbar", sagt Thomas Schwaiger. Eigentlich sollten solche Starkregenereignisse nicht so häufig auftreten, trotzdem hätte Ingolstadt sie schon mehrfach erlebt. Die Stadt hat deswegen eine Gefahrenkarte erstellt. Diese zeigt an, welche Straßenzüge, welche Tunnel oder Unterführungen bei starkem Regen besonders gefährdet sind. Auf Wunsch können sich Bürger noch detailliertere Informationen über ihr Grundstück bei der Stadt besorgen. Der Kommune und den Einwohnern soll diese Karte zeigen, wo sie sich besser schützen können – oder müssten.

Allerdings: Viele Kommunen in Bayern haben solche Karten noch gar nicht.

Rund ein Drittel von Bayern gefährdet

2017 hat die Bayerische Staatsregierung das Projekt "HiOS" in Auftrag gegeben – kurz für: "Hinweiskarten Oberflächenabfluss und Sturzflut". Wissenschaftler der TU München, der LMU und des LRZ sollten untersuchen, wie groß die Gefahr von Sturzfluten in den verschiedenen Regionen Bayerns ist.

Das Ergebnis: Gut ein Drittel von Bayern ist stark oder sehr stark durch Sturzfluten und Überflutungen gefährdet, vor allem in der Alpenregion und im Südosten von Bayern. Gut ein Viertel der bayerischen Städte gilt als gefährdet, 16 Prozent als sehr gefährdet. Die Daten wurden vergangenes Jahr im "Journal of Hydrology" veröffentlicht.

In den Grafiken: Gefährdung durch Sturzfluten

Allerdings: Die Wissenschaftler haben noch viel detailliertere Karten erstellt, in denen das Risiko fast auf den Meter genau dargestellt wird. Diese Karten liegen seit zwei Jahren im Umweltministerium und werden dort geprüft – vor allem wegen des Datenschutzes. Seit Kurzem können Kommunen einen Entwurf der Karten einsehen. Wann sie veröffentlicht werden, ist noch nicht bekannt.

Sturzflutmanagement großes Thema für Kommunen

Juliane Thimet arbeitet beim Bayerischen Gemeindetag und betreut dort das Thema Sturzflutmanagement. Sie sagt: Starkregen- und Sturzflutmanagement seien ein großes Thema für die Kommunen. Viele seien schon dabei, vorzusorgen und könnten ihr Gemeindegebiet gut einschätzen. Trotzdem sei es hilfreich, die Karten aus dem Ministerium zu kennen: "Jede Erkenntnis, jede wissenschaftliche Erkenntnis ist doch für uns, für die Gemeinden, ein Gewinn. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand sagt, ich will nicht wissen, was die Erkenntnisse über meine Gemeinde sind."

Die HiOS-Karten zeigen, wo sich Wasser sammeln wird und in welche Richtung es fließt. Was nicht berechnet wurde, sind Fließgeschwindigkeiten, die sich entwickeln, und Autos, Bäume oder sogar Häuser mitreißen können. Dazu müssten die Kommunen in einem nächsten Schritt Ingenieurbüros beauftragen.

Keine einheitlichen Bewertungsmaßstäbe

Der Schutz vor Starkregen und Sturzfluten ist in Deutschland - anders als der Schutz vor Hochwasser an Seen oder Flüssen - Sache der Kommunen. Einheitliche Vorgaben, wie sie das Risiko bewerten und welche Schlüsse sie daraus ziehen können, gibt es nicht. Die Ampel-Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag zwar angekündigt, einheitliche Bewertungsmaßstäbe zu schaffen und gerade erst hat das Kabinett über ein Gesetz zur Klimaanpassung beraten. Bis 2025 soll das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie Risikokarten für ganz Deutschland erstellen. Noch ist der Stand von Kommunen in Deutschland und Bayern aber ganz unterschiedlich.

Freistaat fördert Konzepte zum Schutz vor Sturzfluten

Wie viele der gut 2.000 bayerischen Gemeinden bereits detaillierte Risikoanalysen gemacht oder Maßnahmen zur Vorsorge getroffen haben, ist schwer zu sagen. Aber Daten des bayerischen Umweltministeriums könnten einen Hinweis geben. Denn seit 2017 fördert es Städte und Kommunen mit 75 Prozent der Kosten (maximal 150.000 Euro), wenn sie Konzepte zum Starkregenmanagement erstellen. Rund 200 Kommunen, also rund zehn Prozent, haben das bislang in Anspruch genommen, teilt das Umweltministerium auf BR-Anfrage mit.

Wie viel ist der Schutz uns wert?

Auch Ingolstadt hat diese Förderung genutzt. 100.000 Euro hat die Stadt bezahlt, 150.000 Euro der Freistaat. Nur: Das waren die Kosten für das Konzept, nicht für die Schutzmaßnahmen. Möglich wäre, mobile Schutzwände aufzustellen, Kanäle zu bauen, um Wasser abzuleiten, mehr Grünflächen in Städten zu schaffen. Ingolstadt muss noch darüber beraten, wie es jetzt weitergeht. Dabei dürften auch die Kosten eine Rolle spielen. So hat eine Daten-Recherche von BR, WDR, NDR und Correctiv ergeben, dass sich nur ein kleiner Teil deutscher Städte und Landkreise in der Lage sieht, Maßnahmen zum Schutz vor Extremwettern finanziell umzusetzen.

Betreffen dürften die Informationen aus den Konzepten auch Hausbesitzer, die gegebenenfalls über eigene Schutzmaßnahmen nachdenken müssen: Fenster und Türen abdichten, oder Versickerungsflächen im Garten schaffen – ohne die deren Grundstücke womöglich an Wert verlieren.

Für den Professor für Wasserwirtschaft und Hydrosystemmodellierung an der Technischen Universität Berlin, Reinhard Hinkelmann, sind diese Abwägungen unausweichlich. Er sagt: Die Gesellschaft müsste sich jetzt eine Frage stellen. "Wie viel Geld sind wir bereit in solche Maßnahmen zu stecken? Sie erhöhen unseren Schutz, aber eben für einen gewissen Preis."

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