Frau steht vor einem Spülbecken und stützt erschöpft ihren Kopf auf
Bildrechte: BR/Judith Zacher

Zu erschöpft für den Alltag wegen Long Covid (Symbolbild)

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Selbsthilfe bei Long Covid: Patienten organisieren sich

Bis zu zehn Prozent aller an Covid-19 Erkrankten leiden unter Spätfolgen. Dennoch fühlen sich viele alleine und unverstanden. Es gebe zu wenig Unterstützung und Anlaufstellen, gerade auf dem Land. Ein Besuch bei einer Selbsthilfegruppe.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Simulanten seien sie. Wollten bloß nicht arbeiten: Das müssen sich Menschen anhören, die nach einer Corona-Erkrankung nie wieder gesund wurden und an Long Covid leiden. In Wertingen gibt es eine Selbsthilfegruppe für diese Personen. Jeden Monat treffen sich dort Menschen aus vier schwäbischen Landkreisen. Denn dort werden sie ernst genommen und nicht für Simulanten oder psychisch krank gehalten.

Müde vom müde sein

"Ich tu mich schwer, es zu akzeptieren, wie es ist", sagt Claudia. Sie sitzt am Tisch mit etwa 20 anderen Frauen und Männern. Sie alle teilen ein Schicksal: Nach ihrer Corona-Erkrankung sind sie nicht mehr gesund geworden. "Ich bin müde vom müde sein. Ich mag nicht mehr. Wir sind gerne wandern gegangen. Mal ins Stadion. Das alles geht nicht mehr", sagt die Augsburgerin.

Wenn sie zur Selbsthilfegruppe nach Wertingen kommen möchte, braucht sie immer jemanden, der sie fährt. "Ich schaff' das nicht mehr selbst, von der Konzentration her. Ich hab schon einen Unfall gebaut", erzählt sie. Andere nicken, sie kennen das. "Ich bin sehr frustriert, weil wir alle die gleichen Probleme haben", sagt Peter und schüttelt den Kopf. "Das fängt mit den Behörden an, die Krankenkassen, Arbeitgeber: überall ein Kampf. Obwohl wir so krank sind, müssen wir das alles noch zusätzlich bewältigen."

Gesundheitsministerium: Zehn Millionen Euro für Post Covid-Forschung

Die Frauen und Männer, die zur Selbsthilfegruppe kommen, gehören zu den rund zehn Prozent, die nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums an den Spätfolgen von Corona leiden. So wurden laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern (KVB) vom Oktober 2023 mehr als 448.000 Menschen mit der Diagnose Long-Post-COVID ambulant versorgt.

Erfreulich sei, teilt das Gesundheitsministerium auf der Grundlage von Daten der KVB weiter mit, dass die Zahlen der Ersterkrankten deutlich zurückgingen. Zehn Millionen Euro habe das Gesundheitsministerium für "innovative Therapieansätze und multidisziplinäre Versorgungsprojekte inklusive deren wissenschaftlicher Evaluation" (externer Link) und damit für die Verbesserung der Versorgung der Betroffenen zur Verfügung gestellt. Der Freistaat sei hier für den Bund eingesprungen, heißt es weiter.

"Trink mal mehr Wasser": Betroffenen wird oft nicht geglaubt

Bei den Betroffenen in Wertingen ist von all dem offenbar noch nicht viel angekommen. Was sie täglich erleben: Noch immer herrscht Skepsis. Sie werden oft für Simulanten gehalten. Man sieht es ihnen ja auch nicht an, wie sie da um den großen Tisch im Wertinger Mehrgenerationenhaus sitzen. Manche wirken etwas müde, andere diskutieren lebhaft.

Einige sind heute aber auch nicht gekommen. Wohl, weil es nicht ging. Es sei nicht jeder Tag gleich, sagt eine Frau. Manchmal gehe es ganz gut, dann könne man etwas erledigen. Falls man dann aber über seine Belastungsgrenze gehe – und die zu erkennen, sei nicht einfach – wenn das also passiere, dann komme oft ein schwererer Rückschlag.

22-Jährige: "Ich konnte ein Jahr lang nicht laufen"

Solch einen Rückschlag hatte Xenia vor ein paar Wochen. Sie ist erst 22 Jahre alt, schlank, wirkt fit. Vor vier Jahren ist sie an Corona erkrankt, noch bevor es eine Impfung gab. In der Folge war sie so schwer krank, dass sie etwa ein Jahr lang im Bett liegen musste und auf den Rollstuhl angewiesen war. Heute, sagt sie, gehe es ihr besser. Gesund ist sie allerdings nicht.

Sie habe versucht, wieder zu arbeiten, sich mit Freunden zu treffen. Das aber, und das hat ihr ihr Körper klar gezeigt, war schnell zu viel. Die Folge: Die junge Frau musste wieder wochenlang im Bett liegen. Wegen ihrer Erkrankung musste sie auch ihre Ausbildung abbrechen, wieder zu Hause einziehen. Dass sie jetzt ihren Eltern auf der Tasche liege, störe sie, das sei kein schönes Gefühl.

"Diese Krankheit führt zum sozialen Abstieg"

Finanzielle Probleme haben viele der Anwesenden. Nach 72 Wochen wird man von der Krankenkasse "ausgemustert", auch das Arbeitslosengeld ist endlich. Und dann? Bis das Bürgergeld bewilligt werde, müsse man lange warten, und eine Erwerbsminderungsrente wurde noch keinem der Anwesenden bewilligt.

Vor einem Jahr hat Claudia einen Antrag dazu gestellt. Erst vor Kurzem hatte sie dann endlich einen Termin für die Begutachtung bei einem Arzt in München. Die 55 Jahre alte Ingenieurin seufzt: "Das hat keine 20 Minuten gedauert. Rein äußerlich konnte der ja nichts feststellen." Sie habe ihm all ihre Gutachten gegeben und hofft nun. Antwort hat sie noch keine.

Demenz oder Depression: Immer wieder Fehldiagnosen

Die verschiedenen Krankheiten, die nach Corona auftreten können, wie Post Covid und in der Folge dann das Chronische Fatigue Syndrom (auch unter ME-CFS bekannt), gehen alle mit Erschöpfungszuständen einher. Die weiteren Symptome können aber auch sehr unterschiedlich sein. Bei Jan haben die Ärzte auf eine Depression getippt, bei Josef auf Demenz. "Bei mir war die ganze Festplatte gelöscht. Als ich meine Frau eines Morgens gefragt habe, wo unsere Tochter eigentlich geheiratet hat, da hat sie den Arzt angerufen und man hat mich auf Demenz getestet." Ergebnis: negativ.

Die Krankheit ist schwer nachweisbar. Wenn schulmedizinisch alles getestet sei, nichts herausgekommen sei, dann denke man schon manchmal, man sei verrückt, sagt Sabine. Das wiederum kennen alle der Anwesenden. Und wenn andere Symptome auftreten, wie etwa Nahrungsmittelunverträglichkeiten, dann würde das nicht ernst genommen, sagt Anneliese. 73 Jahre ist sie alt, hat in den vergangenen Monaten 34 Kilo abgenommen: Ihre Freunde würden sie auf der Straße nicht wiedererkennen. Glauben würden die ihr auch nicht. Wenn sie ihre Kinder und Enkel nicht hätte, dann wisse sie nicht, ob sie noch da sei, sagt die 73-Jährige mit tränenerstickter Stimme. In der Selbsthilfegruppe werde ihr wenigstens geglaubt.

Warten auf Medikamente, die endlich helfen

Aus vier Landkreisen kommen die Betroffenen, um sich an jedem ersten Donnerstag im Monat ab 10 Uhr im Mehrgenerationenhaus in Wertingen zu treffen. Elisabeth hat die Gruppe gegründet. Sie war selbst an Corona erkrankt, wurde von den Folgen überrascht: "Ich wurde von der Powerfrau zur Schnecke", sagt sie. Weil ihr Hausarzt ihr nicht glaubte, hat sie selbst viel recherchiert und sich gedacht, anderen geht es doch bestimmt genauso.

Deshalb hat sie die Gruppe gegründet, zu der auch Heidi jeden Monat kommt: "Wichtig ist, dass wir anerkannt werden und nicht als Simulanten dastehen. Und dass wir Möglichkeiten in der Fläche bekommen, ärztlich behandelt zu werden: in Praxen, in denen mehrere Ärzte fächerübergreifend zusammenarbeiten. Und natürlich warten wir alle auf Medikamente, die für die verschiedenen Facetten von Long Covid, Post Covid helfen", fasst sie die wichtigsten Anliegen der Gruppe zusammen. Die anderen nicken. Hier muss niemand jemandem etwas beweisen, denn hier weiß jede und jeder, wovon die oder der andere spricht.

Long-Covid-Angebote in Schwaben

In Schwaben gibt es einige Angebote für Betroffene von Long-Covid. So hat die Uniklinik Augsburg eine Ambulanz, Kinder und Jugendliche finden Hilfe in der Kinderklinik Augsburg.

Die Illertalklinik in Illertissen setzt bei ihrer Behandlung von Long-Covid auf traditionelle chinesische Medizin und verweist auf ihrer Homepage auf positive Ergebnisse. Im Mittelpunkt der Behandlungen stehe die Stärkung des Immunsystems und der Lunge.

Am Klinikum Memmingen gibt es in der Physiotherapie seit gut zwei Jahren Übungsgruppen. Dabei geht es nach eigenen Angaben um die Integration zurück in den Alltag, die Verbesserung von psychischen Belastungen, moderates Training und Motivation zur Selbsthilfe.

Die Oberberg-Klinik in Scheidegg verfolgt bei der Behandlung von Long-Covid einen psychosomatischen Ansatz: Im Mittelpunkt stehen dabei Erschöpfungs- und Schmerzsyndrome. Insgesamt gibt es 55 Behandlungsplätze, man könne auch noch kurzfristig Patienten aufnehmen, wie die Klinikmanagerin dem BR sagte.

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