Ein Schild des Aschaffenburger Schlachthofes.
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Nachdem der Schlachthof Aschaffenburg geschlossen worden ist, gibt es nun weitere Vorwürfe gegen den Betreiber und einige Mitarbeiter.

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Schlachthof Aschaffenburg: Tierquälerei "nur" Eisberg-Spitze?

Nachdem der Schlachthof Aschaffenburg wegen Verdachts der Tierquälerei geschlossen wurde, hat sich der Kreis der Verdächtigen vergrößert. Das teilt die Staatsanwaltschaft mit. Eine Tierschutzorganisation spricht von einem kriminellen Netzwerk.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Mainfranken am .

Knapp einen Monat ist es her, als der Schlachthof Aschaffenburg wegen des Verdachts der Tierquälerei geschlossen wurde. Die Ermittlungen wurden inzwischen ausgeweitet und der Kreis der Verdächtigen hat sich vergrößert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen eine zweistellige Anzahl an Personen. Die Behörde prüft unter anderem den Verdacht des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen zwei Geschäftsführer des Schlachthofs, wie eine Sprecherin am Freitag der dpa mitteilte. Einer steht den Angaben zufolge auch wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat unter Verdacht.

Laut der dpa wird auch gegen eine Amtsveterinärin wegen des Verdachts des Geheimnisverrats ermittelt und gegen mehrere Schlachthof-Beschäftigte wegen Vergehen gegen das Tierschutzgesetz. Zudem wird gegen einen Gesellschafter sowie einen Geschäftspartner des Schlachthofs ermittelt.

Schlachthof wurde Mitte Juli durchsucht

Die zuständige Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) hatte den Schlachthof Mitte Juli durchsucht. Einen Tag danach wurde der Betrieb geschlossen. FAKT liegt umfangreiches Videomaterial aus dem Schlachthof vor, das auch die KBLV vor der Razzia von den Tierschützern bekommen hatte.

Auf den aktuellen Bildern ist zu sehen, wie Rinder minutenlang gequält werden und dann offenbar noch bei Bewusstsein den sogenannten Entblutungsschnitt bekommen. Schweinen wurden Organe entfernt und die Aufnahmen legen den Verdacht nahe, dass die Tiere noch nicht tot waren. Die Betäubungen im Schlachthof scheinen ein Riesenproblem gewesen zu sein – und das nicht erst seit zehn Jahren, wie bislang bekannt war.

Die Prüfung des Betriebs sei noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher der KBLV am Freitag der dpa. Somit ist es noch offen wann in Aschaffenburg wieder Tiere geschlachtet werden.

Tierärztin kritisierte Zustände bereits vor 15 Jahren

"Ja, es ist eine Katastrophe", sagt die amtliche Tierärztin Brigitte Lutz. Sie hat ab 2008 für zwei Jahre im Schlachthof Aschaffenburg gearbeitet. Schon damals kritisierte sie unzureichende Betäubungen. Allerdings hat es damals noch andere Verantwortliche gegeben. "Ich habe zwei Jahre gekämpft, bis ich gesagt habe: Ich geh’ vor die Hunde. Du wirst alleingelassen vom Amt, von deiner Firma."

Lutz erklärt, was sie damals protokollierte: "Wir hatten Qualitätsmanagement-Formulare. Und da habe ich dann rein geschrieben: 60 Prozent gut betäubt. 20 Prozent fraglich und 20 Prozent schlecht. Ein schlimmes Ergebnis ist das, weil 40 Prozent wahrscheinlich nicht korrekt betäubt waren, bevor sie zum Abstechen kamen."

Die Stadt Aschaffenburg schreibt, dass von diesen Vorgängen nichts bekannt sei. Lutz sagt, dass sie gar nicht bei der Stadt angestellt war, sondern bei einer Fremdfirma. Die Stadt Aschaffenburg räumt auf Nachfrage ein, dass von 2005 bis 2012 die Kontrollen im Schlachthof von einer "beliehenen" Firma durchgeführt wurden. Die umstrittene Beleihungs-Praxis wurde in Bayern vor gut fünf Jahren abgeschafft.

Chronologie der Tierquälerei

Mit den Aussagen der amtlichen Tierärztin, die einst für den Schlachthof zuständig war, könnte sich nun auch noch herausstellen, dass es im Schlachthof von Aschaffenburg offenbar über einen viel längeren Zeitraum, als bisher bekannt war, wiederholte Missstände in der Schlachtung gegeben hat.

Lutz erfasste aus ihrer Sicht katastrophale Zustände bei der Schweinebetäubung in den Jahren 2008 bis 2010. Im Jahr 2013 belegten Aufnahmen der Tierschutzorganisation "Soko Tierschutz" Tierquälereien im Betrieb. Für die Jahre 2017 bis 2019 spricht ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, von wiederholten Tier-Misshandlungen, die er miterlebt haben will. Im Juli 2023 führen die neuesten Videoaufnahmen der "Soko Tierschutz" zur vorläufigen Schließung. Es gibt also offenbar seit 15 Jahren Missstände im Schlachthof.

Warnungen vor Kontrollen – ein Netzwerk?

Doch wie ist das über einen so langen Zeitraum möglich gewesen? "FAKT" hat vor drei Wochen belegt, dass Kontrollen der zuständigen Behörde von einer amtlichen Tierärztin an den Schlachthof verraten wurden. Den Kontrolleuren könnte etwas vorgegaukelt worden sein, vermutet der Aschaffenburger Grünen-Stadtrat Stefan Wagner, der in einer Task-Force an der Aufklärung des Skandals mitarbeitet.

"Es geht sowohl um die Geschwindigkeit der Schlachtung, es geht aber auch um die Zahl der angelieferten Tiere", sagt Wagner. "Und es geht um die Art der angelieferten Tiere und damit die nicht angeliefert wurden, müssen ja sozusagen Informationen an diejenigen, die die Tiere anliefern, rausgegangen sein, um das dann entsprechend anzupassen." Nicht nur die "Soko Tierschutz" spricht deshalb von einem kriminellen Netzwerk.

Mit Informationen der dpa.

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