Rhön-Schäfer Julian Schulz mit seiner Herde
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Rhön-Schäfer Julian Schulz mit seiner Herde

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Schäfer, Bauern und Tierschützer begrüßen Wolfs-Vorschläge

Die von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgestellten Regelungen zum Umgang mit dem Wolf finden breite Zustimmung. Das Verfahren sieht vor, dass Wölfe 21 Tage nach einem Riss im Umkreis von 1.000 Metern um die Weide bejagt werden können.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Mainfranken am .

Wie weiter umgehen mit dem Wolf? Die am Donnerstag von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgestellten Vorschläge sollen das Abschießen von auffällig gewordenen Wölfen deutlich erleichtern. Das gelte bereits nach einem einmaligen Riss, wenn der Wolf bei seinem Angriff eine zumutbare Herdenschutzmaßnahme überwunden habe. Lemke bezeichnete die Änderung als schnelles und unkompliziertes Verfahren, das in der Praxis gut umsetzbar sei. Anders als im bisherigen Verfahren müsse hierfür nicht das Ergebnis einer DNA-Analyse abgewartet werden. Hintergrund der 21-Tage-Regelung mit dem 1.000-Meter-Umkreis sind Lemke zufolge wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Wölfe, die einmal Weidetiere gerissen haben, in kurzer Zeit zu der Weide zurückkehren, um weitere Tiere zu reißen.

Ein Schäfer hat noch Fragen

Die von Lemke vorgestellten Regelungen stoßen bei Rhönschäfer Julian Schulz aus Ginolfs (Lkr. Rhön-Grabfeld) auf Zustimmung. Er fordert seit Längerem, dass die Wölfe, die sich Nutztieren nähern, abgeschossen werden müssen. "Dass diese Abschüsse jetzt erleichtert werden sollen, finde ich gut," sagt Schulz dem BR. Fast täglich gebe es derzeit Wolfsrisse in der Rhön. Unklar sei für ihn nur, was passiere, wenn er mit seiner Herde weiterzieht. "Wenn ein Wolf nur innerhalb des 1-Kilometer-Radius geschossen werden darf und ich weiterziehe, wird der Wolf ja hinter mir herlaufen und weiter Nutztiere reißen", so Schulz.

Wolfsriss Anfang Oktober

Der Rhönschäfer und ein direkter Nachbar waren Anfang Oktober betroffen, als in der Nacht zum 2. Oktober mehrere Tiere getötet wurden. Schulz fand damals zwei tote Ziegen, der Nachbar zwei getötete Schafe. Vier Schafe sind seither vermisst, fünf weitere bis heute teils schwer verletzt. Der DNA-Nachweis, dass ein oder mehrere Wölfe die Tiere gerissen hat, steht allerdings noch aus. In der Rhön leben nach Angaben von Julian Schulz rund 5.500 bis 6.000 Schafe.

Bauernverband: Schritt in richtige Richtung

Auch der Bayerische Bauernverband Rhön hält die Regelungen für einen Schritt in die richtige Richtung. "Wir fordern seit langem, dass man der Entwicklung Einhalt gebieten muss. Ob diese Regelungen ausreichen, muss uns die Realität zeigen", sagte Geschäftsführer Michael Diestel am Donnerstag dem BR. Der Laie mache sich oft keine Vorstellung, welcher Aufwand mit der für die Ökologie notwendigen Weidetierhaltung verbunden ist.

Auch die Kosten für Herdenschutzmaßnahmen, für verletzte Tiere, für Fehlgeburten der Schafe nach Angriffen und steigende Versicherungen müsse die Politik in den Blick nehmen und die Schäfer unterstützen. "Wenn die Vorschläge ausreichen, um die Tiere zu schützen – gut. Wenn nicht, muss eine weiterführende Regelung gefunden werden", sagt Michael Diestel. Der Verband hatte sich in der Vergangenheit unter anderem für feste Abschussquoten ausgesprochen.

Tierschutzbund: Versuch einer Befriedung

Und auch vom Deutschen Tierschutzbund kommt Zustimmung. "Die Bundesministerin hat mit ihren Vorschlägen den Versuch einer Befriedung des Konflikts um Weidetiere und Wölfe unternommen. Wölfe, die Herdenschutzmaßnahmen überwinden, sollen künftig schneller entnommen werden können. Gerade aus Tierschutzsicht ist das ein schmerzhafter Kompromiss, dennoch lösungsorientiert. In Sachen Herdenschutz ist allerdings noch viel zu tun, weil Wölfe in den meisten Fällen ungeschützte Weidetiere reißen", teilte der Präsident des Tierschutzbundes Thomas Schröder mit. Klar sei aber: Die Ausweisung von wolfsfreien Zonen sei weder rechtskonform noch praxistauglich.

Ökologischer Jagdverband: Chance auf regionales Wolfsmanagement

Auch der Ökologische Jagdverband Deutschland (ÖJV) begrüßt die Vorschläge der Bundesregierung zum Umgang mit dem Wolf. Sie seien dazu geeignet, den polarisierten Stillstand in der Wolfspolitik zu beenden, teilte der ÖJV am Samstag (14.10.2023) in einer Pressemitteilung mit. "Die hohen bürokratischen Hürden, die heute die Entnahme von Schadwölfen verzögern und erschweren, würden durch das neue Verfahren weitgehend beseitigt", urteilt der ÖJV-Vorsitzende Wolfgang Kornder aus Markt Nordheim (Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim). Weil die Zonen, in denen diese Regelung gilt, von den Ländern festgelegt werden sollen, hätten diese die Möglichkeit zu einem regionalen Wolfsmanagement, so Kornder.

Scharfe Kritik von Bayern

Kritik an Lemkes Vorschlägen kommt derweil aus Bayern. Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) sagte, die Entnahme von Problemwölfen bringe keinen Schritt weiter. Dringend nötig sei statt dessen ein Bestandsmanagement. "Wir wissen, dass Deutschland heute schon mehr Wölfe als Schweden und Norwegen zusammen hat. Deswegen brauchen wir eine klare Zahl aus einem Monitoring heraus: Wie viele Wölfe verträgt Deutschland und wie viele können wir jedes Jahr im Bestand entnehmen", sagte Kaniber BR24. Die von der Ministerin vorgeschlagenen Regeln würden in Bayern längst umgesetzt. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Anja Weisgerber erklärte: "Die Vorschläge von Bundesumweltministerin Lemke greifen immer noch zu kurz. Zwar soll der Abschuss von Problemwölfen erleichtert werden, doch die Regelungen dafür sind in der Praxis schwer umsetzbar. Derweil wächst die Wolfspopulation ungebremst."

Lemke: Vorschlag bis Anfang 2024 umsetzbar

Die bisherigen Regelungen für Anträge, Wölfe zu "entnehmen" galten als rechtlich sehr kompliziert. Denn der Wolf ist in Deutschland laut europäischer Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie streng geschützt. Bayern hatte im April bereits ähnliche Regelungen beschlossen. Bis heute hat es aber keine behördliche Entnahme eines Wolfes gegeben. Rhön-Grabfeld Landrat Thomas Habermann sowie mehrere Weidetierhalter haben Anträge auf Entnahme bei der Regierung von Unterfranken gestellt. Ein weiterer Abschuss-Antrag wurde schon einige Wochen zuvor im Altmühltal gestellt. Einen Übergriff auf einen Menschen gab seit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland vor über 20 Jahren bislang keinen einzigen.

Bundesumweltministerin Lemke glaubt, dass ihr Vorschlag schnell umsetzbar ist, weil dafür keine europäischen und nationalen Regelungen geändert werden müssten. Einen Beschluss könnten die Umweltminister der Länder bei ihrer Tagung Ende November fassen. In Kraft treten könnte die Änderung damit zum 1. Januar 2024.

Wolfszahlen bundesweit angestiegen

Das Bundesamt für Naturschutz hat die Zahl der Wölfe in Deutschland am Dienstag mit mindestens 1.339 Tieren angegeben. Die Zahl der Rudel habe sich im Beobachtungsjahr 2022/2023 auf 184 erhöht. Ein Großteil der Wölfe lebt derzeit im Norden und Osten Deutschlands. In Bayern, Hessen und Thüringen gibt es kleinere Bestände. Das Landesamt geht derzeit für Bayern von neun Regionen mit standorttreuen Tieren aus. Dazu gehören neben der Rhön unter anderem die Allgäuer Alpen und das Altmühltal, der Staffelsee und Ruda im Bayerischen Wald. Die Behörde weist darauf hin, dass es sich bei den offiziellen Zahlen um nachgewiesene "Wolfsindividuen" handelt. Die tatsächliche Zahl könnte höher liegen, so das Amt. Davon geht auch Rhönschäfer Julian Schulz aus. Er kennt Zählungen, die in Deutschland von 3.000 Tieren ausgehen und damit von der annähernd dreifachen Menge wie offiziell bestätigt.

Im Video: Regelungen zum Umgang mit dem Wolf finden Zustimmung

Die von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgestellten Regelungen zum Umgang mit dem Wolf finden breite Zustimmung.
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Die von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgestellten Regelungen zum Umgang mit dem Wolf finden breite Zustimmung.

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