Drei Polizisten und eine Polizistin stehen in München-Trudering auf einer Kiesfläche neben Gleisen; auf einem davon steht ein Güterzug. Eine 15-Jährige starb an einem Stromschlag, als sie nach ihrer Flucht von dem Zug kletterte. Archivbild vom 24. Mai 2022.
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Im Mai 2022 starb eine 15-Jährige an einem Stromschlag, als sie nach ihrer Flucht von einem Güterzug kletterte. (Archivbild vom 24. Mai 2022)

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Nach Tod einer 15-Jährigen: Zeuge berichtet von Schleusung

Im Mai 2022 starb eine 15-Jährige an einem Stromschlag, als sie nach ihrer Flucht von einem Güterzug kletterte. Ihr mutmaßlicher Schleuser steht derzeit vor Gericht. Ein Mitflüchtling gibt als Zeuge seltene Einblicke - trotz Lebensgefahr.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Vor knapp zwei Jahren erschütterte ein Unfall das Land: Eine 15-Jährige aus einer Gruppe Flüchtlinge starb an einem Stromschlag, als sie in München-Trudering von einem Güterzug springen wollte. Der Mann, ebenfalls ein Flüchtling, der der Jugendlichen von dem Zug helfen wollte und dabei selbst schwer verletzt wurde, sagte am Mittwoch in München vor Gericht als Zeuge aus - und offenbarte mit seiner Schilderung seltene Einblicke in das Vorgehen der Schleuser.

Zeuge sagt gegen Schleuser aus - trotz Morddrohungen

Vor dem Landgericht München I läuft derzeit der Prozess gegen einen der mutmaßlichen Schleuser. Der 23-jährige Flüchtling beschrieb am Mittwoch als Zeuge seine Flucht aus der Türkei über Bosnien und Italien bis nach München. Weil er bereit war auszusagen, wurde er bereits mehrfach mit dem Tode bedroht und befindet sich deswegen im Zeugenschutz. Er kam mit Sonnenbrille, OP-Maske und Hut in den Gerichtssaal; begleitet von fünf Polizisten, deren Gesichter von Sturmmasken verdeckt waren.

Zeuge: Schleuser habe ihn über die Gefahr im Unklaren gelassen

Für seine Schleusung von Istanbul nach München, so der Zeuge, habe er im Mai 2022 eine Summe von 6.500 Euro zahlen müssen. Vor seinem Flug von Istanbul nach Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, hätten ihm die Schleuser zu keinem Zeitpunkt klargemacht, dass auf der Reise Gefahr für Leib und Leben bestehen könnte. Mit ironischem Unterton berichtete der 23-Jährige, die neuntägige Reise von Sarajewo nach München sei "ein Abenteuer" gewesen.

Schleuser sollen Flüchtlingsgruppe per Messenger gelotst haben

Der Zeuge schilderte, wie die Schleuser die Gruppe von Ort zu Ort gelotst hätten. Sie seien ständig per Whatsapp miteinander in Kontakt gewesen. Die Schleuser seien mittels Lokalisierungsfunktion darüber im Bilde gewesen, wo sich die Flüchtlinge befanden. Ständig habe man Anweisungen bekommen, an welchem Ort man von Unbekannten abgeholt und weitergefahren würde, wo Busse hielten und wo Hotels in Bosnien, Kroatien und Slowenien zu finden seien; wo die Flüchtlinge übernachten und für ihren Aufenthalt zahlen sollten. Außerdem wurde die Gruppe auf Waldstücke hingewiesen, durch die sie die Grenzen haben passieren müssen.

Zwischenzeitlich, so der Zeuge, habe er sich über die Umstände der Schleusung in einem Telefongespräch mit einem Schleuser lautstark beschwert und ihm vorgeworfen, dass "nicht mal Tiere so behandelt würden". In Italien startete schließlich eine Gruppe von mehreren Frauen und Kindern, die in einem Sattelanhänger auf einem Güterzug bis Trudering fuhr. Dort kam es dann am 24. Mai 2022 zu dem Stromunfall.

Flüchtlinge erlitten Stromschlag beim Verlassen des Güterzugs

Am Güterbahnhof in München-Trudering sprangen die Flüchtlinge aus der Türkei von dem Lastwagen-Anhänger, in dem sie sich während der Fahrt versteckt hatten. Dabei gerieten mehrere von ihnen zu nah an die Oberleitung und erlitten einen Stromschlag. Daran starb die 15-Jährige später.

Der Zeuge, der der Jugendlichen vom Güterzug helfen wollte, wurde selbst so schwer verletzt, dass er eineinhalb Jahre im Klinikum Bogenhausen behandelt werden musste. Noch immer leidet er an den Folgen zahlreicher Verbrennungen. Er sitzt im Rollstuhl und kann nach eigenen Angaben nicht mehr in seinem erlernten Beruf als Maurer arbeiten.

Zeuge mehrfach bedroht

Vor Gericht berichtete der 23-Jährige am Mittwoch, er sei nach dem Unfall von einer Schleuserin und deren Sohn im Krankenhaus besucht und mit dem Tod bedroht worden, sollte er vor Gericht aussagen. Zurück in der Türkei sei er mindestens ein weiteres Mal von Mitarbeitern der Schleuser-Gruppe bedroht worden.

Den Angeklagten, den 45-jährigen mutmaßlichen Schleuser, erwähnte der Zeuge mehrere Male mit dessen Decknamen "Zaza". Der im Irak geborene Mann soll vor allem daran beteiligt gewesen sein, die Schleusung der Flüchtlinge aus der Türkei Richtung Deutschland zu organisieren. Er soll ebenfalls Nachrichten und Anweisungen per Whatsapp an die Geflüchteten geschickt haben.

Dem Angeklagten wird unter anderem gewerbs- und bandenmäßiges Schleusen in einem Fall mit Todesfolge in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung vorgeworfen.

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