Ein Verbotsschild in Kempten
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Ein Verbotsschild in Kempten

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Mehr Freiraum für die Jugend: Kempten kippt Verbot

Die Stadt Kempten hebt eine umstrittene Allgemeinverfügung auf. Am Ufer der Iller darf man sich nun auch wieder nach 20 Uhr treffen und dort feiern. Für die Jugendlichen ein Erfolg. Polizei und Rechtsamt aber sind besorgt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

"Wir sind happy!", freut sich Dominik Tartler. Lange haben der 22-Jährige und seine Mitstreiter von der "Jugendkommission" in Kempten für mehr Freiraum an der Iller gekämpft.

Nachdem Schulabschlussfeiern im Sommer 2018 eskaliert waren, hatte Oberbürgermeister Thomas Kiechle eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach für die Grünanlagen am Illerdamm ein abendliches Betretungsverbot ab 20 Uhr bestand. Vor allem Jugendliche hatten sich durch die Regelung eingeschränkt gefühlt und im Gespräch mit dem BR betont, sich in Kempten zwar "geduldet, aber nicht willkommen" zu fühlen. Nun ist die Allgemeinverfügung vom Tisch. Der städtische "Ausschuss für öffentliche Ordnung" hat für die Aufhebung der umstrittenen Richtlinie gestimmt. Knapp, mit 6:5 Stimmen – und gegen den ausdrücklichen Rat von Polizei und Rechtsamt.

Polizei warnt vor Exzessen und Gewalt

Sven-Oliver Klinke, Leiter der Polizeiinspektion Kempten, sitzt in seinem Büro. Am Computerbildschirm vor ihm läuft ein Video der Schulabschlussfeiern im Sommer 2018. Aus der anfänglich noch friedlichen Feier am Illerdamm entwickelte sich ein Handgemenge, die Stimmung unter den rund 1.000 Menschen wurde immer aufgeheizter und aggressiver. Klinke erinnert sich: "Irgendwann kam es zu einer richtigen Zusammenrottung größerer Gruppen, die dann gemeinsam ´ACAB´ – also ´all cops are bastards´ – geschrien haben. Und aus der Dunkelheit heraus, aus der Anonymität heraus, wurden dann Menschen angegriffen und verletzt."

Insgesamt 88 Mal musste die Polizei im Jahr 2018 an die Iller ausrücken. Es kam zu Körperverletzungen, Diebstahl, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Klinke befürchtet, dass sich all das nun, nach Wegfall der Allgemeinverfügung, wiederholen könnte.

Allgemeinverfügung als Resultat "langjähriger Erfahrung"

Denn schon die Jahre zuvor habe es ständig Probleme am Illerdamm gegeben, so der Polizist. Der Sommer 2018 sei zwar der Gipfel, aber kein Einzelfall gewesen. Klinke: "Das Erlassen der Allgemeinverfügung war das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung – und aus Sicht der Polizei ein Erfolg." Das würden nicht zuletzt die Einsatzzahlen bestätigen. Denn die hätten sich seit dem Erlassen der Allgemeinverfügung deutlich reduziert. So wurden beispielsweise im Sommer 2023 im Bereich der Iller nur noch rund 30 Straftaten registriert, die zudem deutlich weniger schwerwiegend waren als die Delikte in der Vergangenheit.

Dunkelheit, Alkohol und Fluss als gefährliche Kombination

Dass die Verfügung nun nicht mehr gilt, sei aus Sicht der Polizei eine "Enttäuschung", so Klinke. Die Allgemeinverfügung habe den Einsatzkräften die Möglichkeit gegeben, Treffen an der Iller frühzeitig aufzulösen, bevor diese mit zunehmendem Alkoholkonsum und einbrechender Dunkelheit eskalierten.

Außerdem seien die unbeleuchteten Flächen an einem fließenden Gewässer wie der Iller aus Sicht der Polizei kein geeigneter Ort, um ausgelassen zu feiern. Klinke: "Wie oft stürzen alkoholisierte Personen im Sommer ins Wasser und können nur noch tot gefunden werden." Man wolle keine "Verbotspolizei" sein, möchte aber einen sicheren Rahmen für alle bieten.

Auch das Rechtsamt der Stadt sieht die Entscheidung kritisch

Unterstützung bekommt er von Carmen Hage. Auch die Rechtsamtsleiterin der Stadt Kempten hätte die Allgemeinverfügung gerne beibehalten. Sie hätte abends an der Iller für klare Regeln gesorgt, so Hage.

Signal, dass Jugendliche in Kempten "erwünscht sind"

Der 22-jährige Stadtrat Dominik Tartler hingegen ist zufrieden. Die Abschaffung der Allgemeinverfügung sei ein "erster wichtiger Schritt, um auch jungen Menschen zu zeigen, dass sie in Kempten erwünscht sind", so Tartler. Natürlich könne man die Bedenken der Behörden nachvollziehen. Und natürlich sei es am sichersten, öffentliches Leben ab einer bestimmten Uhrzeit komplett zu unterbinden. Denn dann passiere auch nichts. Aber: "Es gibt ein Leben zwischen Aufenthaltsverbot und Eskalation." Nun gehe es darum, dafür kreative Lösungen zu finden.

Einen "rechtsfreien Eskalationsraum" will auch die Jugend nicht

Tartler und seine Mitstreiter von der Jugendkommission wünschen sich nun, dass alle Beteiligten gemeinsam überlegen, wie das Feiern und Zusammensein an der Iller attraktiv und sicher gemacht werden kann – nicht nur für die Jugend, sondern für alle Bürger der Stadt. Denn, dass der Illerdamm zu einem "rechtsfreien Eskalationsraum" wird, wo Straftaten, Müll und Lärm überhandnehmen, wollten auch 99 Prozent der Jugendlichen nicht, betont der junge Stadtrat. Themen wie die Müllbeseitigung und eine mögliche Beleuchtung spielten dabei eine Rolle.

Inwieweit das Ausleuchten am Illerdamm aber überhaupt denkbar ist, kann die Stadt momentan noch nicht beantworten. Laut Carmen Hage vom Rechtsamt dürfte das nicht nur technisch sehr schwer umzusetzen sein, sondern vor allem auch sehr teuer werden. Nicht zuletzt deshalb stellt sie klar: "Die Stadt gibt den Feiernden jetzt einen Vertrauensvorschuss" – nun müssten sich diese bewähren.

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