Ein Schild mit vielen durchgestrichenen Symbolen, neben denen geschrieben steht, was alles nicht erlaubt ist.
Bildrechte: BR/Michaela Neukirch

Kempten als "Stadt der Verbote"? Die vielen Verbotszeichen deuten zumindest darauf hin. Doch das könnte sich bald ändern.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Viele Verbote: Kemptens Jugend fühlt sich "nicht willkommen"

Ballspielen, Alkohol und Fahrradfahren: All das ist in den städtischen Grünanlagen von Kempten verboten. Darunter leidet vor allem die junge Generation. Was die Jugendlichen sich wünschen und was sich jetzt ändern soll.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Ein Sommerabend in Kempten. Dominiks Bachelorarbeit ist abgegeben, Alina hat Ferien, die perfekte Zeit, um sich mit Freunden zu treffen. Eigentlich sitzen sie gern am Ufer der Iller. Mitten in der Stadt gelegen war der Park an warmen Sommerabenden früher ein beliebter Treffpunkt – vergleichbar mit den Flussauen anderer Städte wie München, Würzburg oder Bamberg. Doch mittlerweile gilt für die Grünflächen an der Iller: absolutes Betretungsverbot, und zwar ab 20 Uhr.

"Nur geduldet, nicht erwünscht"

Für die 17-jährige Alina Beutmüller ein klares Signal: "20 Uhr? Da gehen vielleicht Grundschulkinder ins Bett, aber mit dem Leben von uns Jugendlichen hat das nichts zu tun. Wir sind hier zu einer bestimmten Uhrzeit geduldet, aber richtig erwünscht fühlt man sich nicht."

Außerdem gilt: Alkoholverbot, Radfahrverbot, Ballspielverbot – ein durchgestrichenes Symbol neben dem anderen zeigen die aufgestellten Schilder. Zurück geht alles auf die städtische Grünanlagensatzung. Die besteht seit 1995, wurde vor fünf Jahren sogar noch einmal deutlich verschärft, nachdem Schulabschlussfeiern an der Iller ausgeartet waren.

Vergangenheit: Müll, Lärm und Drogen

2018 kamen am Illerdamm mehr als 1.000 Menschen zusammen. Doch anstatt friedlich den bestandenen Abschluss zu feiern, mischten sich unter die Schülerinnen und Schüler auch Jugendliche, die Krawall suchten.

Laut Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle kam es zu vielen Polizeieinsätzen, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Anzeigen wegen Lärm und einer Vielzahl an Glasscherben. "Das war ein Hase-und-Igel-Spiel, bei dem auch die Polizei in Nöte kam", erinnert sich der Bürgermeister und fügt hinzu: "Da mussten wir etwas tun." Eine Allgemeinverfügung wurde erlassen, die seither unter anderem den Aufenthalt nach 20 Uhr untersagt.

Jugendliche wehren sich gegen Generalverdacht

Alina und Dominik engagieren sich in der Jugendkommission. Sie kämpfen in der Stadt für die Belange der jungen Generation – was sie sich wünschen, sind mehr Freiräume. "Weil es in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, stehen wir jetzt alle unter Generalverdacht", sagt Dominik. Aber die Stadt könne jugendfreundlich sein und mehr möglich machen.

Bislang gebe es keinen Platz in der Stadt, an dem sich die Jugendlichen einfach treffen könnten – ohne dafür im Gegenzug etwas konsumieren zu müssen, wie etwa in einem Café, oder Mitglied in einem Verein sein zu müssen. "Willkommen sein heißt, glaube ich, etwas anderes", findet Dominik.

Jugendforscher: Mitgestaltung ermöglichen

Unterstützung bekommen sie von Jugendforscher Simon Schnetzer. Auch er kennt Kempten seit seiner Kindheit und betont: Junge Menschen brauchen Platz, um sich auch außerhalb von Schule und Zuhause zu treffen. Dort begegne man Menschen, die man nicht so kennt, kann sich ausprobieren.

Es sei wichtig, dass eine Stadt die Bedürfnisse ihrer jungen Generation höre. Junge Menschen sollten sich einbringen können und mitgestalten dürfen. "Es braucht öffentliche Orte, wo sich die jungen Menschen willkommen fühlen. Denn wenn wir ihnen immer zeigen, dass sie nicht willkommen sind, dann sind sie irgendwann weg", erklärt der Jugendforscher.

Die simpelste Lösung sei, alles zu verbieten – aber damit würde viel Potenzial für die Zukunft einer Stadt zerstört. Denn genau diese Menschen fehlten langfristig als Bewohnerinnen und Bewohner – und damit auch als Arbeitskräfte.

Kemptener: "Von den Jugendlichen lernen"

So zum Beispiel viele frühere Freunde von Joachim Schrade. Viele Jahre lang hatten sie sich mitten in der Innenstadt an einer Brücke zum Surfen an die Iller gehängt, mit viel Einsatz für den Bau einer stehenden Welle gekämpft. Doch Kempten blieb bei seinem "Nein" – die Illersurfer haben sich aufgelöst, fast alle sind weggezogen. "Da muss einfach die Politik auch mal von den Jugendlichen lernen", fordert der frühere Kemptener und ergänzt: "Die haben andere Interessen – und dadurch verändert sich auch die Gesellschaft. Und wenn man immer sagt, das machen wir schon immer so, dann finde ich das eine Katastrophe."

Auch Jugendforscher Simon Schnetzer sieht darin eine "vertane Chance": Hier hätten junge Menschen viel Engagement und Energie aufgebracht, um etwas auf die Beine zu stellen. Mit der Absage hätte die Stadt ihnen aber deutlich gezeigt: Ihr dürft hier Ideen einbringen, euch engagieren – aber so richtig viel bringt es am Ende nicht – laut Schnetzer ein "fatales Signal".

Stadt will Verbote überdenken

Einen Versuch, den Jugendlichen mehr Raum zu bieten, hat die Stadt jetzt gestartet. In der Innenstadt wurde ein Straßentunnel gesperrt – ab sofort soll hier Platz sein zum Sprayen, Skateboarden, zum einfach Zeit Verbringen.

Und die vielen Verbote? Darauf angesprochen zeigt sich Oberbürgermeister Thomas Kiechle offen und betont: "Wir müssen weg von viel Regulatorik und die Grenze ausloten, wo wir die Freiheiten für junge Menschen zulassen können." Deshalb werde die Stadt nun konkret die ein oder andere Verordnung unter die Lupe nehmen und an den Bedürfnissen der Jugendlichen ausrichten. Alina, Dominik und andere junge Leute hoffen, dass es nicht nur bei dem Versprechen bleibt, sondern sich wirklich etwas ändert. Sie wünschen sich mehr Vertrauen – und weniger Verbote.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!