Demonstration gegen Judenfeindlichkeit

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Kundgebung gegen Judenfeindlichkeit in München

2.000 Menschen haben sich am Nachmittag vor der Ohel-Jakob-Synagoge in München versammelt. Sie demonstrierten gegen Antisemitismus und für Solidarität mit den Münchner Jüdinnen und Juden. Von Anna Kemmer, Markus Kaiser

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die Häufung antisemitischer Übergriffe der vergangenen Wochen bestürzen Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Es sei unerträglich, dass Juden heute noch mit Beschimpfungen und Gewalt leben müssten, so Reiter auf dem Jakobsplatz in München. Judenfeindliche Übergriffe, wie der Angriff auf zwei Kippa tragende Männer in Berlin im April, kämen nicht aus dem Nichts, sondern seien Ausdruck eines gesellschaftlichen Klimas menschenfeindlicher Einstellungen.

"Wir müssen wieder klar machen, dass es nicht mehrheitsfähig ist, dass es nicht in der Gesellschaft angekommen ist und nicht toleriert, akzeptiert oder weggeschaut wird, wenn jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger beleidigt, gar tätlich angegriffen, werden. Wir wollen deutlich machen, dass wir so etwas in München nicht haben wollen." Dieter Reiter, Münchens Oberbürgermeister

Höhepunkt des Antisemitismus?

Gewaltsame Übergriffe auf Juden, wie in Berlin, habe es in München in letzter Zeit zwar nicht gegeben, trotzdem macht sich Dieter Reiter Sorgen um das gesellschaftliche Klima: Antisemitische Tendenzen und menschenfeindliche Einstellungen gebe es auch in München immer häufiger. Mitglieder der Gemeinde hätten Angst um die Zukunft ihrer Familien, so Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Jüdisches Leben würde immer mehr unter Polizeischutz stattfinden und aus Telefonanrufen und Zuschriften an die jüdische Gemeinde, aber auch aus Kommentaren im Internet, spreche der Hass. Charlotte Knobloch hofft, dass der Antisemitismus jetzt seinen Höhepunkt erreicht hat und wieder zurückgeht. Sie plädierte deswegen umso mehr dafür, das seit Jahren gepflegte Miteinander in München weiter zu erhalten und auszubauen.

"Als die Synagoge errichtet wurde, in all ihrer Schönheit und all der Begeisterung die ich bei der Bevölkerung gesehen habe, dachte ich das ist der Beginn einer gewissen Normalität. Heute habe ich diesen Gedanken begraben. Normalität ist weiter entfernt denn je." Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Gedenken an den Abriss der Münchner Hauptsynagoge

Anlass der Demonstration ist der 80. Jahrestag des Abrisses der Münchner Hauptsynagoge. Am 8. Juni 1938 musste die Israelitische Kultusgemeinde die Synagoge räumen. Am nächsten Tag wurde sie auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers zerstört. "In der Familie schlug das ein wie ein Blitz. Vater und Mutter waren völlig von der Rolle", erinnert sich Rabbiner Henry Brandt, heute 90, damals 10 Jahre alt, der regelmäßig mit seiner Familie die Synagoge besuchte. "Der Rabbiner mit seinem schön gestutzten Bart da oben auf der Kanzel war für uns Kinder natürlich wie der liebe Gott. Dann kam der Abriss."

"Für meinen Vater, der ein begeisterter Bürger dieses Landes war, war es ein Zusammenbrechen seiner ganzen Beziehung zum Land und zu den Menschen. Seine Synagoge wurde abgerissen, böswillig, das war klar." Rabbiner Henry Brandt

Mitten im Zentrum der Stadt verschwand ein riesengroßes Gebäude innerhalb eines Monats. "Da gab schon seit fünf Jahren ein offen antisemitisches Regime, aber dieser Akt war trotzdem präzedenzlos", sagt Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität. "Es gibt keine Parallele, dass eine Synagoge in einer größeren Stadt abgerissen wurde und das war natürlich das Vorspiel für das, was kam. Vielleicht wollte man auch ein bisschen testen: wie geht das in der Öffentlichkeit durch?"

Damals hat keiner protestiert

München war ein Testlauf, da sind sich Historiker heute sicher. Was in der "Hauptstadt der Bewegung" möglich war, würde auch in anderen Städten funktionieren. Und es war möglich. Niemand protestierte gegen die Zerstörung der Synagoge. Im Archiv der Stadt München weiß man von keinem einzigen Brief oder Aufschrei. Fünf Monate später in der Reichspogromnacht brannten in ganz Deutschland die Synagogen.

In München wurde dann auch die zweite bedeutende Synagoge, die "Ohel Jakob Synagoge" zerstört. Ihren Namen trägt heute die neue Synagoge am Jakobsplatz.