Eiin junger Mann in Haft, Bild von hinten
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Jugendgefängnis

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Kriminelle Jugendbanden in Bayern: Ein junger Dealer packt aus

Zusammen mit Freunden versorgt er Augsburg mit Marihuana. Für Partys mietet er Hotel-Suiten. Bis ihn ein Polizei-Kommando festnimmt. Die Geschichte eines jungen Augsburgers gibt einen Einblick in die Welt krimineller Jugendbanden in Bayern.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Am Rand des Drei-Auen-Platzes in Augsburg steht ein Stromkasten. Oben auf dem vergilbten Deckel, fast verdeckt vom Efeu, hat jemand eine Handy-Nummer eingeritzt. Unter dieser Nummer ist der Dealer aus Augsburg-Oberhausen zu erreichen. Marihuana auf Bestellung, erreichbar fast rund um die Uhr. Und der Stoff ist gut. Bald kommen die Kunden aus dem ganzen Stadtgebiet.

Heute hat Roman, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, kein Handy mehr. Um ihn zu sprechen, muss man sich mit Personalausweis anmelden und drei verschlossene Türen passieren. Wegen des Drogenhandels, den er parallel zu seiner Ausbildung zusammen mit seinem Bruder und Freunden aufgezogen hat, sitzt Roman im Gefängnis. Fast vier Jahre Haft lautete das Urteil.

Bei Stress hilft ein Joint

Im Besuchsraum eines bayerischen Jugend-Gefängnisses begegnet einem nun ein höflicher junger Mann. Der heute 20-Jährige ist groß und sportlich. Er hat ein breites Lachen. Roman ist in Augsburg geboren. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Kubaner, beide sind berufstätig. Roman berichtet von einer behüteten Kindheit. Er schafft den Qualifizierten Mittelschulabschluss, macht Berufspraktika. "Was machst du Baumwollpflücker denn hier?", bekommt er dort wegen seiner dunklen Hautfarbe zu hören. Seine Lehre als Glaser schließt er ab.

Wenn den Azubi etwas stresst, dann können seine Kumpels helfen. Mal mit Gesprächen, mal mit einem Joint. Vor allem das Marihuana hilft, gerade in der Zeit, als wegen Corona alles geschlossen wird. Also konsumiert Roman mehr. Bald ist er süchtig. Um die Drogen bezahlen zu können, beginnt der Jugendliche, selber mit Drogen zu handeln. Das Umfeld dafür ist nahezu ideal.

Die "54er" - eine gewaltbereite Jugendgruppe

Der Stadtteil Oberhausen ist ein Brennpunkt Augsburgs. Arbeitslosigkeit, prekäre Familienverhältnisse, ein hoher Ausländeranteil. Die Jugendlichen sind eine verschworene Gemeinschaft, viele kennen sich seit der Grundschule. Drogen und Gewalt gehören bei manchen zum Alltag.

Rund 100 Jugendliche dieses Stadtteils definieren sich laut Polizei als "54er", nach den letzten beiden Zahlen der Postleitzahl. Sie selber sehen sich als Clique. Doch etliche sind bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Das Bayerische Landeskriminalamt zählt die "54er" zu einer von vier gewaltbereiten Jugendgruppen in Bayern. Die Ermittler haben auch in München, Nürnberg und Germering Gruppen im Fokus, bei denen sie insgesamt 66 Mitglieder zählten - ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

In diesem Umfeld baut Roman mit seinem Bruder und Bekannten das Drogen-Geschäft aus. Roman ist vor allem als Verkäufer aktiv. Sogar in Laternenmasten bunkert er Cannabis als Nachschub. Weitere Details will er nicht verraten, um sich keinen neuen Ärger einzuhandeln. Vor allem aber will er niemandem in seinem Stadtteil Probleme bereiten. "Als Verräter bist du draußen. Wir stehen zu unseren Jungs. Wir stehen für Loyalität", sagt Roman. Wer gegen diese Regeln verstößt, dem drohe Gewalt.

Im Video: Gewaltbereite Jugendgruppen in Großstädten laut Polizei ein Problem

Mitglieder einer Jugendbande mit einer Eisenstange und einer Holzlatte stehen in einem Tunnel, ein Jugendlicher besprüht die Wand mit Graffitis.
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Kriminalität: Junge Gewalttäter

Drogengeld bezahlt die Partys in Hotelsuiten

Die Ermittler staunen jedenfalls über das Ausmaß des Drogenhandels am Drei-Auen-Platz - auch weil sie das Geschäft zu lange laufen lassen, wie Romans Anwältin kritisiert. Im Prozess berichten die Ermittler von Einkäufern, Aufpassern, Verkäufern und Kurieren – und jeder Menge Geld. Kiloweise wird Marihuana verkauft. "Das hatte ein Ausmaß, das man sonst vielleicht nur noch vom Kottbusser Tor in Berlin kennt", heißt es aus Ermittler-Kreisen.

Bald kann Roman mit dem Drogengeld weit mehr finanzieren als seinen eigenen Cannabis-Konsum. "Essen bestellen oder irgendwohin fliegen, das war Standard", sagte er. Er mietet Hotel-Suiten in der Stadt, um dort Partys zu feiern. "Man hat schon gut gelebt. Hier im Gefängnis habe ich im Monat 60 Euro zur Verfügung. Das habe ich damals in einer Minute ausgegeben." Der Rapper Omar liefert den Soundtrack zu seinem Dealer-Lifestyle: "Und jetzt sagt mein Block, ich bin reich geworden. Du willst mein Haze seh'n (Marihuana-Sorte, Anm. d. Red.)? Musste Cash zeigen. Denn was 'ne Bitch war, wird 'ne Bitch bleiben", heißt es in Romans Lieblingslied "Tek Tek".

"Was Du verdienst - dafür stehe ich nicht mal auf"

Auch die Polizei bekommt den neuen Wohlstand der "54er" zu spüren. "Die Kollegen werden provoziert, beleidigt und respektlos behandelt, und zwar in einem Ausmaß, das wir so noch nicht kannten", sagt Mario Huber, Leitender Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Schwaben Nord. "Manche Polizistinnen und Polizisten werden bei einer Personenkontrolle gefragt, was sie denn verdienen. Und dann bekommen sie zu hören: 'Was Du verdienst, dafür stehe ich nicht mal auf. Ich verdiene mit meinen Geschäften mehr als du im ganzen Monat'."

Roman bestätigt, solche Aussagen zumindest schon mitbekommen zu haben - und, dass sich die Jugendlichen ihrerseits von der Polizei gegängelt sehen. "Wir haben immer nur schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Wenn wir nur mal rumsaßen, um was zu trinken, dann kamen schon die Polizei-Autos angefahren. Über die Lautsprecher haben sie uns dann beleidigt."

Immer mehr Jugendliche haben Messer dabei

Vielleicht hilft den Jugendlichen das breitbeinige Auftreten auch dabei, die eigene Angst zu überdecken. Roman spricht von "Paranoia". Denn der junge Mann weiß, dass ihm die Polizei auf der Spur ist. Einmal entdecken Roman und seine Dealer-Freunde auf einem Hausdach Polizisten, die Jugendliche auf dem Drei-Auen-Platz observieren. Er stürmt mit seinen Freunden in das Haus. Die Beamten fliehen. Zumindest behauptet Roman das.

In der Anklage fand sich auch der Vorwurf des bewaffneten Drogenhandels. Roman beteuert, dass Messer "nicht sein Ding" seien. Doch in seinem Umfeld hat er Messerstechereien mitbekommen. "Das ist schon zur Normalität geworden. Ich habe in der Haft so viele kennengelernt, die wegen Messerstechereien sitzen. Das ist echt krank, wie sich das mit den Messern entwickelt hat in Großstädten wie München oder Augsburg."

Mit der Familie ist nicht zu spaßen

Ermittler oder Sozialarbeiter bestätigen, dass die Bewaffnung mit Messern zunimmt. Ein Phänomen, das es auch schon einmal in den 1990er-Jahren gegeben habe. Das Problem: Die Zündschnur ist bei Mitgliedern gewaltbereiter Jugendbanden kurz. Der Grund: Das Männlichkeitsbild und ein eng damit verbundenes Ehrgefühl. Zum Beispiel bei Beleidigungen: "Wenn Du auf die Familie oder auf die Mutter gehst, dann ist eine Schlägerei garantiert", sagt Roman. "Das kann man nicht stehen lassen. Man steht hinter seiner Familie. So bekommt man es mit und so lebt man es auch weiter." Ob es dabei wirklich um Ehre geht, oder doch nur um einen willkommenen Anlass für Gewalt, bleibt freilich offen.

Die Drogensucht habe er erfolgreich bekämpft, sagt Roman. Wenn die Haftzeit in einem knappen Jahr vorbei ist, will er zusammen mit seinem Bruder ein Baugeschäft eröffnen. In seiner Heimat Augsburg-Oberhausen. Umgeben von seinen alten Freunden und Bekannten, den "54ern".

Dieser Artikel ist erstmals am 4. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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