Die französische Schrifstellerin Virginie Despentes im Jahr 2016
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Die französische Schrifstellerin Virginie Despentes im Jahr 2016: "Wut ist mein Territorium"

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"Mit den Drogen bin ich durch, im Moment jedenfalls"

Drogen in ihrem Alter seien, als würde man mit 53 Skateboard fahren, sagt die französische Schriftstellerin Virginie Despentes. Sie sei keine "sympathische Kleinkonsumentin" gewesen, sondern "krasse Userin". Heute ist Musik für sie die bessere Droge.

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Der Name Virginie Despentes steht in Frankreich für feministische Radikalität in Wort und Bild: Ihren ersten Roman "Baise-moi" ("Fick mich") von 1994 verfilmte sie unter dem gleichnamigen Titel gleich selber. Zwei junge Frauen – beide Opfer brutaler sexueller Gewalt – ziehen darin mordlüstern und zugedröhnt durchs Land. Das war im Jahr 2000, Virginie Despentes war 31 und hatte schon einiges hinter sich: Mit 17 von zu Hause, einem Vorort im ostfranzösischen Nancy, abgehauen, kam sie ohne Geld in Lyon an. Und tauchte in die Halbwelt des damals noch nicht gentrifizierten Arbeiterstadtteils Croix-Rousse ein.

"Als ich in Lyon war, hab ich mich gerne in Kneipen aufgehalten", erzählt Despentes auf der Dachterrasse ihrer kleinen Wohnung in Barcelona. "Nicht nur um zu trinken, sondern auch um an einem Ort zu sein, in den Leute kommen, die man nicht unbedingt erwartet. Es sind meist zwar immer die selben, aber nicht jeden Tag genau die selben. Manchmal tauchen Neulinge auf, manchmal solche, die man nicht mag, und manche hatte man am Vortag gar nicht bemerkt. Und mit manchen schließt man sogar Freundschaft."

Despentes' sieben Jahre in Lyon und auch die Jugendjahre im ungeliebten Nancy stehen für ungehemmten Drogenkonsum. Sie kokste, soff und bettelte sich mit ihren Punkfreunden durchs Leben, als gäbe es kein Morgen. Zog sich in einer Peep-Show aus, zog mit der Punkband "Haine Brigade" durch Frankreich, Deutschland, Österreich, die Schweiz. Hängte schließlich ihren bürgerlichen Namen, Daget, an den Nagel und nannte sich fortan Despentes – aus Dankbarkeit für Croix-Rousse, das Viertel auf dem Hügel mit seinen bewohnten Hängen: des pentes.

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"Was haben Drogen aus meinem Leben gemacht?"

"Heute bin ich mit den Drogen durch, im Moment jedenfalls, ich möchte glauben, für immer. Es hängt natürlich immer von den Leuten ab, aber ich gehöre nicht zu denen, für die Drogen in meinem Alter passend wären", sagt Despentes. "Ich bin nämlich keine sympathische Klein-Verbraucherin, ich bin eine echt krasse Userin. In der Hinsicht war ich wirklich heftig drauf. Mit 53 geht das gar nicht! Das macht zu müde, wie ein zu extremer Sport, so als würde ich mit 53 immer noch Skateboard fahren!

Drogenkonsum durchzieht als Thema auch Despentes' Bücher: die Romantrilogie um den charismatischen Pariser Plattenladenbesitzer Vernon Subutex, der Geschäft und Wohnung verliert, als die Musik ins Internet abwandert, und auch ihr jüngsten Werk "Liebes Arschloch". Eine wichtige Frage für sie sei: "Was haben Drogen aus unserer Alternativ-Kultur gemacht? Was aus meinem eigenen Leben? Die Schwierigkeit, die es für mich bedeutet hat, davon loszukommen. Drogen mögen einem in der Jugend Spaß machen, aber mit den Jahren immer weniger", sagt die Schriftstellerin, die vor wenigen Wochen 54 Jahre alt wurde. Aber nur weil sie einem immer weniger Spaß machen, komme man trotzdem nicht leichter von ihnen los, so Despentes.

Heute ist die Musik die bessere Droge für Despentes

Heute ist die Musik für Virginie Despentes die bessere Droge. "Musik war immer Teil meines Lebens. Unentbehrlich, um mich mit gewissen Intuitionen, Momenten und Emotionen zu connecten", sagt sie. "Aber auch, um Dinge auszudrücken, die ich nicht so in Worten oder Diskussionen ausdrücken könnte. Ich finde es genial, Musikerin zu sein, denn diese Sprache muss man nicht übersetzen! Für mich, die ich mit der französischen Sprache arbeite, ist das ein Trumpf."

Virginie Despentes kehrt deshalb immer wieder gern nach Lyon zurück – um selbst Musik zu machen. Sie ist Teil des Lyoner Musik-Kollektivs "Zëro". "Zëro" verwandelt Literatur in düster-treibende Klänge, zuletzt das Erstlingswerk des Lyoner Schriftstellers Louis Calaferte, aber auch Despentes' eigene Texte, darunter ihr feministisches Manifest "King Kong Theorie".

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