Im "Weihnachtsdorf" in Rothenburg o.d. Tauber
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(K)ein Weihnachtsmärchen: Die Geschichte des Deko-Imperiums von Käthe Wohlfahrt.

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(K)ein Weihnachtsmärchen: Die Geschichte von Käthe Wohlfahrt

Jeden Tag Weihnachten: Das ist Wirklichkeit im Deko-Imperium von Käthe Wohlfahrt. Entstanden ist es durch eine Reihe von Zufällen, die fast an ein Märchen erinnern – das zuletzt beinahe an der harten Realität zerbrochen ist.

Über dieses Thema berichtet: Zeit für Bayern am .

Die meiste Zeit des Jahres ist das "Weihnachtsdorf" mit seinen Kunstschnee-bedeckten Holzhütten von Käthe Wohlfahrt in Rothenburg ob der Tauber purer Kitsch – für diejenigen zumindest, die sich nicht das ganze Jahr auf Weihnachtsstimmung einlassen wollen. Den Eingang bewacht Christian II., ein fast vier Meter großer Nussknackerkönig. Im Geschäft dreht auf einem Podest ein fünf Meter hoher, festlich geschmückter Weihnachtsbaum seine Runden, eine benachbarte Weihnachtspyramide aus Holz ist noch höher. 2.000 Meter Tannengirlanden und 122.000 Christbaumlämpchen trotzen auch dem heißesten Hochsommer.

Fränkischem Markplatz nachempfunden

Doch mindestens vier Wochen im Jahr passt das "Weihnachtsdorf" perfekt für einen glückseligen Kaufrausch zwischen zehntausenden Weihnachtsartikeln. Verschlungene Wege, Nischen und Treppen führen über drei Stockwerke mit 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Das Ganze ist einem fränkischen Markplatz nachempfunden.

Für Weihnachts-Enthusiasten gibt es keine falsche Jahreszeit für Wichtel und Rauschgoldengel. Traditionen neu erfinden oder vielleicht vergessene Bräuche wieder aufleben lassen, dazu ist das Fest der Feste optimal. Sowohl für Mitläufer, als auch für Individualisten, für Freunde von Kommerz und Kitsch sowie für Puristen und Traditionalisten.

Wolfgang, Harald und Käthe Wohlfahrt (v.l.) in den frühen 1990er-Jahren
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Wolfgang, Harald und Käthe Wohlfahrt (v.l.) in den frühen 1990er-Jahren

Angefangen hat alles 1956. Da verlässt das Ehepaar Wohlfahrt das erzgebirgische Vogtland in Richtung Westen. Käthe, 23 Jahre alt, Wilhelm, 28, der zweijährige Sohn Harald und Birgitt, 9 Monate. Über Bad Reichenhall und Böblingen landen sie in Herrenberg bei Stuttgart. Eine Flüchtlingsfamilie, die weniger hatte als andere, erinnert sich Harald Wohlfahrt, der heutige Seniorchef des Familienunternehmens.

Arm an Geld, reich an Traditionen

"Aber das sind Erinnerungen, die letztendlich alle gut waren. Man hat dadurch etwas mitbekommen fürs Leben, vielleicht eine Kämpfernatur, weil man ja die Erfahrungen schon früh sammeln musste, dass nicht alles normal ist und einfach läuft", erzählt Wohlfahrt. Entbehrungsreich sind zunächst auch die Weihnachtsfeste. Reich dagegen ist die Familie an festlichen Traditionen aus der erzgebirgischen Heimat. Aus Moos bauen sie zum Beispiel einen traditionellen Weihnachtsberg auf. Lieder werden gesungen, begleitet vom Vater auf der Zither.

Dazu gehört auch eine hölzerne, geschnitzte Spieluhr, auf der das Christuskind dargestellt ist, behütet von Maria und Josef an der Krippe. Um sie herum drehen sich die Heiligen Drei Könige samt Kamel und Schafen.

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Detail der Spieldose

An einem Weihnachtsabend im Hause Wohlfahrt passiert 1963 schließlich das, was die Zukunft der Familie richtungsweisend prägen sollte. Eine amerikanische Offiziers-Familie ist zu Gast und erfreut sich an erwähnter Spieldose. Wilhelm Wohlfahrt will den Freunden daraufhin eine solche Spieldose schenken. Die Suche nach den nötigen Kontakten hinter den Eisernen Vorhang führt allerdings erst im nächsten Februar zu einem Großhändler, der ausschließlich große Gebinde verkauft. Als die eine Spieluhr verschenkt ist, bleiben deshalb neun weitere übrig. Nur wohin damit?

Haustürgeschäfte endeten mit Festnahme

Wilhelm Wohlfahrts Idee: der Verkauf im Außendienst. Er klingelt bei anderen Familien in der US-Kaserne bei Stuttgart. Das geht so lange gut, bis er wenig später von der Militärpolizei verhaftet wird. Denn den MPs ist der hausierende Unternehmer ein Dorn im Auge. Allerdings wird er kurz darauf wieder freigelassen und bekommt von der Polizei sogar den Tipp, seine Ware auf einem der amerikanischen Wohltätigkeitsbasare anzubieten.

"Diese Wohltätigkeitsbasare liefen dann immer übers Wochenende in Offiziersclubs", erinnert sich Harald Wohlfahrt, und dass die Kinder eingebunden wurden in das neue Unternehmen. Kartons packen, Auto einladen, immer wieder sortieren, manchmal auch etwas reparieren: "Ja, da haben wir uns schon befähigt gefühlt und gefreut."

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Auf einem der Wohltätigkeitsbasare in den 1960er-Jahren

Mit den Basaren geht es später auch auf Tour zu Garnisonsstützpunkten in England, Italien und Belgien. Die Idee zu einem ganzjährigen Weihnachtsverkauf ist geboren. 1964 wird das Unternehmen "Käthe Wohlfahrt" gegründet, benannt nach Wilhelms Ehefrau. Und schon bald blubbern große Ami-Schlitten und Militärbusse durch die Herrenberger Wohnsiedlung, zu fast jeder Jahres-, Tages- und Nachtzeit. Im Wohnhaus wird der Keller zum Lagerraum umfunktioniert. Das Sortiment wächst und wächst, die Großeltern und sogar die Nachbarn packen mit an. Doch irgendwann geht der Platz aus.

Rothenburg als optimaler Standort

Auf der Suche nach einem neuen Standort schlägt ein Bekannter Rothenburg ob der Tauber vor, verrät Felicitas Höptner, die Leiterin des firmeneigenen Weihnachtsmuseums. Die Stadt ist damals schon als romantisches Ziel internationaler Touristen bekannt. "Gerade für ein Sortiment, das zeitlich ganz stark auf Dezember begrenzt ist, braucht man natürlich auch Reisende, die dann kommen, wenn sie eben gerade hier durchreisen, um das ganzjährig am Laufen zu halten", so Höptner.

So kommt Käthe Wohlfahrt 1977 nach Franken und eröffnet das erste Geschäft, den "Christkindlmarkt". In der Stadt wird die Familie zunächst belächelt. "Was möchte denn die Familie Wohlfahrt mit ganzjährigen Weihnachtsartikeln?", formuliert es Harald Wohlfahrt. Nach und nach wuchsen Stadt, Region und das Familienunternehmen zusammen. 1981 wurde das "Weihnachtsdorf" eröffnet, später kommt im selben Gebäude das Deutsche Weihnachtsmuseum dazu – beides eine Idee von Harald Wohlfahrt, der sich selbst auf einer Mission sieht.

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Im Deutschen Weihnachtsmuseum ausgestellte historische Werbung und Nussknacker

"Wir sind darauf bedacht, die deutschen Weihnachtstraditionen so lang wie möglich hochzuhalten." Harald Wohlfahrt

Als der Student Harald den Familienbetrieb unterstützt, so erinnert sich der heutige Firmenchef, schnappte er immer wieder Kundengespräche der Eltern auf. Käufer aus Australien sprachen dabei davon, "dass sie sich die deutsche Weihnacht gar nicht so richtig vorstellen konnten. Und auch in anderen Gesprächen mit internationalen Kunden habe ich gehört, dass sie die deutschen Weihnachtstraditionen als deutsch wahrgenommen haben", so Wohlfahrt. Also für Deutsche Selbstverständliches im Gegensatz zu dem, was im Ausland Santa Claus und Christmas und Jingle Bells bedeuteten. "Das war für mich der Ansporn, die deutsche Weihnachtstradition zu vermitteln."

Weihnachtsmuseum für Traditionen

Wo finden sich Brückenschläge zwischen der Weihnachts-Historie und der heutigen Zeit? Was macht die deutsche Weihnacht genau aus? Welche Symbole stehen dafür? Der Weihnachtsbaum, der Adventskalender und natürlich der Nikolaus und das Christkind. Und der Krampus oder Knecht Ruprecht. Oder ein anderer Begleiter der Gabenbringer, wie der Hutscheklos, Hörnersnickel, die eiserne Berta, Hollerfrau, der Pelzmärtel, die Luzie, die Strohberta, Kinderfresser, der Butzen-Bercht …

Ein ziemliches Durcheinander – aber genau dafür ist das Weihnachtsmuseum forschend tätig, soll Legenden, Sagen und deutsche Weihnachtstraditionen erfassen, einordnen und sortieren.

"Die deutsche Weihnacht, die deutsche Weihnachtstradition näherzubringen – also nicht nur den Nussknacker, die Pyramide, das Räuchermännchen, sondern was heißt das eigentlich, 'deutsche Weihnacht', das heimelige Weihnachten oder wie man es in alten Kinderbüchern nachlesen kann – das gelingt uns gut." Harald Wohlfahrt

Der dreifache Vater ist inzwischen Seniorchef des Unternehmens, das er in den zurückliegenden 45 Jahren zum Weltmarktführer für Christbaumschmuck gemacht hat und zum "Botschafter der deutschen Weihnacht". Mit Läden in sechs Ländern bis in die USA und Ständen auf mehr als 50 Weihnachtsmärkten weltweit.

Dritte Generation übernimmt

Mit der Pandemie drohte das alles zu enden. Die Coronajahre sind harte Schläge für das Familienunternehmen. Der staatliche Rettungsschirm und ein abgeschlossenes Insolvenzverfahren können die Pleite und eine drohende Übernahme abwenden. In den nächsten Jahren soll die dritte Generation der Familie Wohlfahrt die Führung übernehmen, Harald Wohlfahrt plant den Ruhestand. Solange lebt er nach wie vor den Traum vieler Kinder, an 365 Tagen im Jahr Weihnachten zu haben. Was wünscht sich so jemand zum Fest?

"Frieden. Jeder sollte sich in Frieden üben, aber Frieden braucht mehrere Parteien und man sollte bei sich selber anfangen. Und ich glaube, nur der Frieden bringt uns weiter." Harald Wohlfahrt

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