Passanten, Kleiderständer vor Geschäften und geparkte Autos in der Neuburger Innenstadt
Bildrechte: BR / Susanne Pfaller

In der Neuburger Innenstadt ist der Leerstand deutlich gesunken. Hier sind alle willkommen: Autos, Radler, Fußgänger und Kinderwagen.

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Gegen den Leerstand: So werden Innenstädte attraktiver

Geschlossene Geschäfte machen Innenstädte unattraktiv. Der Handelsverband warnt eindringlich davor, dass deutschlandweit immer mehr Läden in Stadtzentren leer bleiben. In Ingolstadt, Pfaffenhofen und Neuburg ist der Trend gegenläufig. Wie geht das?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Erst vor einem Jahr hat Polsterer Oliver Huß im Zentrum von Pfaffenhofen eine Werkstatt aufgemacht. In einer sogenannten B-Lage, einer Gasse hinter dem Hauptplatz. Doch er hat keinen Grund zur Klage. Im Gegenteil: Seine Auftragsbücher sind voll. "Ich muss mich sogar sputen, dass ich fertig werde", sagt der Handwerker. Gerade näht er an einem Stoff für einen Stuhl. Gerne bringen die Kunden aber auch ganze Sitzgarnituren, darunter "Erbstücke von der Oma. Also alles, was so in den Wohnstuben noch rumsteht".

Leerstandsquote im Einzelhandel bei 20 Prozent

Wie kann das sein, wenn überall die Innenstädte "sterben"? Matthias Scholz, Geschäftsführer der Wirtschafts- und Servicegesellschaft Pfaffenhofen, setzt auf eine neue Mischung in der Innenstadt. Er wünscht sich mehr Handwerker und andere Dienstleister, um die Leerstände in seiner Stadt zu füllen. Denn natürlich spürt auch Pfaffenhofen die Auswirkungen von Online-Handel und Corona. Zudem sitzt die Kreisstadt zwischen München und Ingolstadt und damit "zwischen zwei Großstädten mit eigener Sogwirkung". Dazu kommt, dass aktuell mehrere Einzelhändler ans Aufhören denken und keinen Nachfolger haben.

Wirtschaftsförderer Scholz verfolgt bundesweit, wie sich die Innenstädte entwickeln. Nach der jüngsten Studie des Immobilienverbands Deutschland IVD lag die bundesweite Leerstandsquote im Einzelhandel 2021 bei 20 Prozent. Dies entspricht einer Steigerung um rund ein Drittel im Vergleich zum Vor-Pandemie-Niveau.

Positiv-Beispiele aus dem nördlichen Oberbayern

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern bezeichnet die Situation in den "Innenstädten und Ortszentren durch multiple Krisen angespannt". Sie verweist auf den Strukturwandel, die Rezession, die Warenhausschließungen und den Arbeitskräftemangel.

Doch es gibt auch Gegenbeispiele. Sowohl für Mittelstädte als auch für Großstädte: Pfaffenhofen, Neuburg und Ingolstadt im nördlichen Oberbayern versuchen, ihre Innenstädte mit neuem Leben zu füllen. Alle drei haben ihre Leerstandsquoten deutlich gesenkt.

Pfaffenhofen setzt auf Handwerker und andere Dienstleister

Für Pfaffenhofens Wirtschaftsmanager Scholz ist es besonders wichtig, Alternativen zum Einzelhandel zu finden. Sie sollen die frei werdenden Räume füllen. Dafür führt er Gespräche und vermittelt Fördermöglichkeiten.

Ein halbes Jahr waren zum Beispiel die Räumlichkeiten frei, bevor Polsterer Huß aus München kam und einzog. Auch ihm hat Wirtschaftsmanager Scholz mit einem Fördermodell geholfen, zudem hat er mit dem Vermieter gesprochen: "Der Vermieter hat sich auf einen reduzierten Mietpreis eingelassen." Den Rest haben ein Jahr lang der Freistaat Bayern und die Stadt Pfaffenhofen finanziert. Doch seit diesem Jahr läuft die Polsterei ohne Fremdhilfe.

Scholz setzt darauf, dass noch weitere Handwerker und Dienstleister in die Innenstadt kommen: "Wir haben Zahntechniker und Physiotherapeuten, das eine oder andere Versicherungsbüro. Um die Art der Dienstleistung geht es in dem Moment eigentlich gar nicht so sehr. Ich mag Sachen, die Frequenz bringen, wo man sieht, dass da was los ist. Davon noch mehr!"

Bis auf zehn Prozent konnte Scholz den Leerstand drücken. Doch problematisch bleiben große leer stehende Flächen. "300 Quadratmeter über zwei Etagen mietet keiner mehr. Hier habe ich einen hohen Personalaufwand – und das in Zeiten von Personalmangel."

Ingolstadt und die große Galeria-Fläche

Bei der Zahl lächelt Georg Rosenfeld leicht. Der Wirtschaftsreferent in Ingolstadt kämpft mit anderen Größenordnungen. In seiner Fußgängerzone steht das Galeria-Haus seit Herbst 2020 leer. "Wir sind da bei knapp 5.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Das sind immerhin 20 Prozent der Verkaufsfläche in der Innenstadt."

Noch zeichnet sich hier keine Lösung ab. Denn auch in Ingolstadt ist Geld mittlerweile knapp und kein Privatinvestor in Sicht. Denn klar ist auch hier: Horizontaler Einzelhandel über mehrere Etagen läuft nicht mehr, analysiert Rosenfeld: "Wir beobachten den Trend, dass man mehr zur Mischnutzung geht, dass man Konzepte entwickelt, wo man im Erdgeschoss und vielleicht noch in der ersten Etage Einzelhandel hat. Aber das sollte man mit Dienstleistungen kombinieren, vielleicht mit Kultur, auch mit Wohnnutzung." Doch so ein Kombinationskonzept ist für einen Investor wesentlich arbeitsintensiver als eine Vermietung der Gesamtfläche, wie es bislang möglich war. So erklärt man sich am ehemaligen Galeria-Standort Ingolstadt den anhaltenden Leerstand.

Eigentümer-Stammtisch und Fördermodelle

Bei der Behebung anderer Leerstände, vor allem in den sogenannten B-Lagen, war Ingolstadt dagegen erfolgreicher. Um die City zu beleben, organisiert die Stadt seit Jahren einen Eigentümer-Stammtisch, an dem Immobilien-Eigentümer auf kurzem Weg besprechen können, wo sich welche Möglichkeiten auftun.

Ähnlich wie Pfaffenhofen berät und unterstützt auch Ingolstadt Neugründer. Über 20 dauerhafte Ansiedlungen hat diese Standortförderung schon gebracht. Diese Modelle haben so dazu beigetragen, dass auch Ingolstadt seine Leerstandsquote gedrückt hat – von knapp 20 auf 13 Prozent. Wirtschaftsreferent Rosenfeld setzt zudem auf die weitere Umwandlung von Ladenflächen in Wohnraum sowie auf eine Verschönerung der Innenstadt. Auch das studentische Leben des Hochschulstandorts soll im Innenstadtbereich sichtbarer werden.

Beispiel: die Färberstraße in Neuburg 1970 und heute

Neuburg: Verkehrsoffene Zone mit nur 6 Prozent Leerstand

In der Mittelstadt Neuburg muss man ungenutzte Läden regelrecht suchen. Hier hat eine gemeinsame Aktion von Stadt, Hauseigentümern, Gewerbeverbänden und Bürgerinitiativen Erfolg. Per Umfrage wurden die Wünsche der Bürger erfragt. Und die lauten laut Stadtsprecher Bernhard Mahler: "Vielfältigkeit, Aufenthaltsqualität, Erreichbarkeit, Freundlichkeit." Nach drei Jahren Arbeit inklusive zahlreicher Renovierungen an den Häusern und einer neuen Verkehrspolitik ist die zentrale Einkaufszone kaum wiederzuerkennen. Mahler: "Sie ist freundlicher, offener, barrierefrei."

Die beiden zentralen Straßen bilden einen "Mixed Space", das heißt: Hier sind alle Arten von Verkehrsteilnehmern zugelassen. Das, so Mahler, mache "den großen Unterschied. Wir sperren niemanden aus. Das bedeutet natürlich auch, dass Autos da sind – in Schrittgeschwindigkeit. Aber natürlich auch viele Fußgänger, Sitzbereiche, Fahrradfahrer und vieles mehr."

Erhöhte Aufenthaltsqualität und Vielfältigkeit

Mit diesem Konzept hat die Stadt ihren Leerstand in den einstelligen Bereich gebracht. Aktuell liegt er bei sechs Prozent. Ungenutzte Räumlichkeiten werden schnell wiederbelebt. In der zentralen Färberstraße folgte zum Beispiel auf einen Modehändler ein Asia-Shop, in dem man auch essen kann. In einem ehemaligen Wollgeschäft hat sich eine Babyfotografin niedergelassen. Ein Schallplatten-Flohmarkt hat mittlerweile einen eigenen Laden und immer öfter offen. Im neuen Feinkostgeschäft um die Ecke kann man die Leckereien an gemütlichen Tischchen gleich vor Ort verzehren.

Idee aus San Francisco: mobile Sitzecken

Damit die Menschen weiter in die Innenstadt strömen, holt Neuburg im Frühjahr mobile Sitzecken aus dem Winterlager. Die Idee hat sich Neuburg in San Francisco abgeschaut. Diese "Parklets" erhöhen die Verweildauer. Das habe sich bei ihrem ersten Einsatz im vergangenen Jahr bereits gezeigt, versichert Stadtsprecher Mahler.

Leer stehende Geschäfte in unattraktiven Lagen werden zu Wohnraum umgebaut. In einer der Nebenstraßen lässt sich das gerade beobachten. Dort werden aktuell große Schaufenster zugemauert beziehungsweise auf normales Fenstermaß verkleinert. Dort sollen bald Menschen einziehen und ihrerseits wiederum die Innenstadt beleben.

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