Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) sind im Industriegebiet in Mecklenburg-Vorpommern zu sehen.
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EU-Staaten verständigen sich auf Notfallplan zum Gassparen

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EU-Staaten verständigen sich auf Notfallplan zum Gassparen

Die EU-Energieminister haben sich auf einen Gas-Einsparplan geeinigt. Das teilte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft mit. Der Plan soll vor allem Risiken reduzieren, die sich aus einem Stopp russischer Gaslieferungen ergeben würden.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Die EU-Staaten haben das Beschlussverfahren für einen Notfallplan zur Drosselung des Gaskonsums auf den Weg gebracht. Bei einem Sondertreffen der für Energie zuständigen Minister kam am Dienstag in Brüssel die notwendige Mehrheit für den Schritt zusammen, wie die tschechische EU-Ratspräsidentschaft bestätigte. Der Plan soll vor allem die Risiken reduzieren, die sich aus einer vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen ergeben könnten.

Grünen-Politiker: "Riesenmehrheit, nur Ungarn war dagegen"

Nach Angaben von Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold war die Entscheidung bei dem Energieministertreffen ganz klar. "Riesenmehrheit, nur Ungarn war dagegen", schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter und wertete die EU-Gaseinsparverordnung als einen beispiellosen Schritt. "Mitgliedsstaaten, die keinerlei russisches Gas importieren, zeigen sich solidarisch und verpflichten sich zum Konsumverzicht. Das gab es noch nie", kommentierte er.

Gasverbrauch freiwillig um 15 Prozent senken

Nach dem Text für die Rechtsverordnung, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sieht der Plan wie von der EU-Kommission vorgeschlagen vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben.

Im Vergleich zum ersten Entwurf der Kommission sind dafür allerdings deutlich mehr Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen und auch die Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen wurden erhöht. Letztere sollen nur vom Rat der Mitgliedstaaten und nicht von der EU-Kommission durchgesetzt werden können.

Konkret bedeutet dies, dass ein Kommissionsvorschlag für verbindliche Einsparziele die Zustimmung einer Gruppe von 15 der 27 EU-Länder braucht. Zudem müssten diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.

Ausnahmen für Länder wie Zypern, Malta und Irland

Ausnahmeregelungen sollen zum Beispiel vorsehen, dass Länder wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Bei anderen Staaten sollen zum Beispiel Anstrengungen zur Einspeicherung von Gas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.

Ob das geplante Einsparziel von insgesamt 45 Milliarden Kubikmeter Gas so erreicht werden kann, ist unklar. Die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft rechtfertigte am Dienstag am Rande des Energieministertreffens die vielen Ausnahmeregelungen. "Unterschiedliche Staaten sind in unterschiedlichen Positionen", erklärte der zuständige Minister Jozef Sikela. So fehlten beispielsweise in einigen Ländern Verbindungsleitungen und einige Länder müssten noch viel dafür tun, die Gasspeicher für den Winter ausreichend zu füllen.

Habeck will mehr als 15 Prozent einsparen

Die Bundesregierung will die Vereinbarung sogar noch übertreffen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warb am Dienstag in Brüssel für ein höheres nationales Sparziel. Vielleicht seien je nach Härte des Winters auch "16 oder 20 Prozent" zu schaffen, sagte Habeck. Man habe bereits "enorme Anstrengungen und enorme Erfolge erzielt" und werde weitere realisieren können, sagte er.

Das ursprünglich von der EU geplante Gesamt-Einsparziel von 45 Milliarden Kubikmeter Gas könne sieht Habeck durch die vielen Ausnahmen gefährdet. Er äußerte sich aber zuversichtlich, dass viele Länder wegen der hohen Gaspreise mehr sparen würden als vorgesehen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nannte als mögliche Maßnahmen die Optimierung der Einstellungen bei Gas-Heizungen oder den Wechsel ins Homeoffice über Weihnachten und Neujahr in großen Behörden, damit die Gebäude nicht beheizt werden müssten. Somit könne man die Situation auch ohne die "teilweise etwas ulkigen Hinweise, wie etwa beim Duschen", bewältigen, sagte Lindner gegenüber RTL/ntv.

  • Zum Artikel: "Energiesparen durch Homeoffice - Ein Plan mit vielen Fragezeichen"
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im ARD-Tagesthemen-Interview
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im ARD-Tagesthemen-Interview

Von der Leyen mit Kompromiss zufrieden

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) begrüßte die Einigung auf den Gas-Notfallplan als "entscheidenden Schritt, um Putins Drohung mit einer vollständigen Gasunterbrechung zu begegnen". Allerdings hatten die Mitgliedstaaten den am Freitag von ihr vorgelegten Solidaritäts-Mechanismus in tagelangen Verhandlungen aufgeweicht. Von der Leyen hatte vergeblich eine Sondervollmacht gefordert, um Sparziele direkt erzwingen zu können.

Weber: "Entscheidend ist, dass wir europäisch denken"

Der Chef der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), sagte am Abend bei BR24, er sei sehr zufrieden mit den Beschlüssen. "Wir Deutschen, [und] die Italiener sind ja die, die am meisten von russischem Gas abhängig sind. Insofern müssen wir in Vorlage gehen.“ Deutschland würde bereits jetzt Gas in dieser Größenordnung einsparen, gemessen an den Zahlen vom Vorjahr. Insofern könnten weitere Anstrengungen folgen. Entscheidend sei dabei aber, europäisch zu denken, so Weber. "Heute wurde ja ein Beitrag geleistet, dass wir es solidarisch schaffen, und das ist gut."

Weber gestand auch ein, dass es eben ein "Kompromiss" sei, auf den man sich geeinigt habe. In einigen Bereichen habe er sich mehr gewünscht, etwa eine verbindliche Lieferfähigkeit zwischen den Staaten. "Denken Sie mal an unser Nachbarland Tschechien, das keinen Hochseehafen hat und das beispielsweise auch keinen direkten Zugang zu Gas aus Norwegen hat. Die sind darauf angewiesen, dass Gas durchgeleitet wird – aus Belgien, aus Norwegen durch deutsche Leitungsnetze nach Tschechien. Dieses Prinzip von Solidarität, das wir Bayern übrigens auch brauchen, wenn es um den österreichischen Gasspeicher in Haidach in der Nähe von Salzburg geht, da müssen wir zusammenhalten, das gemeinsam angehen."

Weber sagte in dem Interview auch, dass er sich gemeinsame, europäische Einkaufsgemeinschaften für Energie wünschen würde. "Das würde billigere Produkte bringen, billigere Preise bringen. Da ist Deutschland leider Gottes noch nicht dabei, bei dieser Einkaufsgemeinschaft. Mehr Solidarität täte hier gut."

Deutsche Industrie forderte Zustimmung zu europäischem Gas-Notfallplan

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte die europäischen Energieminister zur Zustimmung aufgefordert: "Der EU-Notfallplan ist ein wichtiger Schritt für europäische Solidarität", erklärte Wolfgang Niedermark von der BDI-Hauptgeschäftsführung vorab. Auf Deutschland und Europa komme ein "langfristig andauernder Gasmangel zu". Unternehmen, staatliche Institutionen und Verbraucher müssten "Energie sparen, wo es nur geht".

"Die akute Energiekrise lässt sich nur gemeinsam europäisch lösen", betonte Niedermark vom BDI. Für Deutschland bedeute dies, selbst "so viel Energie bereitzustellen wie möglich", und zwar "aus allen verfügbaren Quellen". Dies wäre auch ein "wichtiges Signal zur Dämpfung der immer weiter steigenden Energiepreise".

Die Gesetzesänderung muss vor Inkrafttreten noch formell von den EU-Ländern besiegelt werden. Das Europaparlament hat kein Mitspracherecht.

Chef der Deutschen Energie-Agentur: "Ein perfider Wirtschaftskrieg"

Auch der Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), Andreas Kuhlmann, kritisierte im Gespräch mit der radioWelt auf Bayern 2 die angekündigte erneute Gasdrosselung. "Das ist ein perfider Wirtschaftskrieg", sagte Kuhlmann. "Mit dem konnten wir rechnen. Wir müssen uns jetzt auf unsere Kräfte konzentrieren."

Der dena-Chef warb dafür, Gas zu sparen, wo es möglich sei. Die Industrie habe bereits angekündigt, die Produktion zurückzunehmen. Kuhlmann betonte: "Wichtig ist aber, was wir in den Haushalten hinbekommen. Wir müssen unbedingt informieren – alle Haushalte, Schulklassen – wie viel man jetzt einsparen kann und muss, um einen Beitrag für Deutschland, aber auch für das eigene Portemonnaie zu leisten." Den Gas-Notfallplan nannte er eine begrüßenswerte Initiative.

Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber im Gespräch mit BR24.
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Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber im Gespräch mit BR24.

EU-Kommissarin: Jüngste Gaskürzung politisch motiviert

EU-Energiekommissarin Kadri Simson hält die vom russischen Konzern Gazprom für diese Woche angekündigte weitere Kürzung der Gaslieferung für politisch motiviert. Sie weist die Behauptung des Unternehmens zurück, die Lieferung müsse wegen der Wartung einer Turbine verringert werden. "Wir wissen, dass es dafür keinen technischen Grund gibt", sagt Simson. "Das ist ein politisch motivierter Schritt, und darauf müssen wir vorbereitet sein." Genau aus diesem Grund sei die präventive Reduzierung des Gasbedarfs eine kluge Strategie.

Halbierung der Gas-Liefermengen angekündigt

Nur sechs Tage nach der Wiederaufnahme der Gasversorgung aus Russland durch die Pipeline Nord Stream 1 soll die Liefermenge halbiert werden. Der russische Konzern Gazprom will die Gasmenge an diesem Mittwoch von 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität senken. Es sollen dann nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen, teilte das Unternehmen am Montag mit.

Europäische Perspektiven

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zum Artikel "EBU-Projekt Europäische Perspektiven"

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