Der Staat hat offenbar Mitglieder der "Letzten Generation" abgehört.
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Aktivisten der "Letzten Generation" in Bayern (Symbolbild)

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Abhörung von Aktivisten: "Klarer Eingriff in Pressefreiheit"

Der Staat hat offenbar Mitglieder der "Letzten Generation" abgehört. Unter Bedingungen ist das erlaubt. Wenn aber, wie wohl geschehen, auch Journalisten abgehört werden, sind die Hürden noch höher. Experten sehen einen Eingriff in die Pressefreiheit.

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Ende Mai hat die Generalstaatsanwaltschaft München Räume der Gruppierung "Letzte Generation" durchsuchen lassen. Der Vorwurf lautete "Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung".

Wie die "Süddeutsche Zeitung" nun unter Berufung auf interne Unterlagen berichtete, sollen auf Betreiben der Münchner Staatsanwaltschaft auch Telefonanschlüsse der "Letzten Generation" abgehört worden sein, darunter die Festnetznummer der Pressestelle. Sie hätten auch Genehmigungen eingeholt, um die Standortdaten von Handys zu ermitteln, Mailboxen von Aktivisten abzuhören und deren E-Mails "in Echtzeit" mitzulesen.

Die Anweisung für die Lauschaktionen kam nach Angaben der SZ von der Generalstaatsanwaltschaft München. Eine Anfrage des BR dazu blieb bislang unbeantwortet. Für das Abhören von Gesprächen mit Journalisten gibt es hohe gesetzliche Hürden.

Journalisten sind Berufsgeheimnisträger

Ob Rechtsanwälte, Mitglieder eines Parlaments, Journalisten oder Geistliche – sie alle haben eines gemeinsam: Sie zählen laut Strafprozessordnung zu den sogenannten Berufsgeheimnisträgern. Somit sind Journalisten bei der Beschaffung brisanter Informationen grundsätzlich geschützt. Dennoch sind Abhörmaßnahmen möglich, aber nur dann, wenn es um eine – Zitat - "Straftat von erheblicher Bedeutung" geht. Konkreter ist dieser Artikel 160a der Strafprozessordnung nicht formuliert, somit ist der Begriff "erhebliche Bedeutung" dehnbar.

Bei Abhören von Pressestellen werden Journalisten mit abgehört

Der in der Strafprozessordnung formulierte besondere Schutz bezieht sich auf Maßnahmen gegen Medienvertreter - wie etwa das Abhören von deren Telefonen. Aber auch die Pressestelle einer Organisation dürfte diesen presserechtlichen Schutz genießen.

Denn in der Strafprozessordnung ist von Ermittlungsmaßnahmen die Rede, von der Berufsgeheimnisträger wie Journalisten betroffen wären. Da Pressestellen üblicherweise von Medienvertretern angerufen werden, wären sie von Abhörmaßnahmen ebenfalls betroffen - die "Letzte Generation" hat etwa Journalisten häufig kurz vor Aktionen über den jeweiligen Ort informiert. Da Journalisten also in vielen Fällen Telefongespräche mit der Pressestelle geführt haben, müsste es Teil einer richterlichen Abwägung sein, ob abgehört werden darf oder nicht.

Medienanwältin bezweifelt Rechtmäßigkeit

Im Fall der "Letzten Generation" hat Renate Schmid, Anwältin für Medienrecht, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abhöraktion. "Möglicherweise haben die gar nicht abgewogen, und wenn sie abgewogen haben, dann wurde hier meiner Meinung nach eine falsche Abwägung getroffen", sagte sie im Gespräch mit dem BR. Schließlich sei die Pressefreiheit als hohes Gut im Grundgesetz verankert. Journalisten hätten zudem ein in der Strafprozessordnung verankertes Recht auf Zeugnisverweigerung vor Gericht. Darum könne sie sich nicht vorstellen, dass im aktuellen Fall die Pressefreiheit zurücktreten müsse: "Für mich ist es ein klarer Eingriff in die Pressefreiheit", so Schmid.

BJV-Vorsitzender sieht Eingriff in Pressefreiheit

Auch der Landesvorsitzende des Bayerischen Journalistenverbands (BJV), Harald Stocker, äußerte im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abhöraktion. Es habe seines Wissens zwei Beschlüsse des Oberlandesgerichtes zur Abhörung der Telefonnummer gegeben, so Stocker. Beim ersten sei es zu der Abwägung gekommen, ob der Schutz der Öffentlichkeit und des Staates so hoch wiege, dass Journalisten abgehört werden dürften. "Aus unserer Sicht war das schon nicht gegeben", beurteilt Stocker. Beim zweiten Mal habe diese Abwägung aber gar nicht stattgefunden.

Darüber hinaus habe der Bericht der ersten Abhörung schon ergeben, dass diese Telefonnummer nicht ergiebig sei. "Damit ist eigentlich der Beweis erbracht, dass die Abwägung zu keiner Zeit in die Richtung ausschlagen kann, dass man Journalisten mit abhört", fasst Stocker zusammen. "Das war in dem Fall ein ganz klarer Eingriff in die Pressefreiheit. Wir haben Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ersten Abhöraktion - wie gesagt, es kann immer sein, dass mal Journalistengespräche mit aufgezeichnet werden, die muss man dann halt löschen und darf sie auf keinen Fall dokumentieren und mit in die Unterlagen nehmen." Auch Stocker wies in diesem Zusammenhang auf den Umstand der Berufsgeheimnisträger und darauf hin, dass Journalismus unter besonderem Schutz des Grundgesetzes stehe.

Ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit liegt Stocker zufolge vor, wenn die eigenen Telefonnummern von Journalisten direkt abgehört werden. Andere Telefonnummern abzuhören, sei eine Abwägungsfrage, aber wenn eine Nummer abgehört werde, die als Kontaktnummer für Journalisten ins Internet gestellt wurde, wie es hier der Fall gewesen sei, sei das ebenfalls ein Eingriff in die Pressefreiheit: "Wir müssen uns die Frage stellen, inwieweit der Schutz der Pressefreiheit gewährt ist, weil wer will denn da anrufen, außer Journalisten?" Journalistengespräche dürften nicht aufgezeichnet und auf keinen Fall dokumentiert werden.

Die Folgen für den Journalismus seien enorm, so Stocker. "Journalismus ist eine wichtige Infrastruktur in der Demokratie. Es muss jedem klar sein: Wenn der Staat unsere Telefonate abhört mit der Idee, dass Menschen vielleicht Journalisten gegenüber offener sind, dann können wir unserer Aufgabe nicht mehr nachgehen." Denn viele Informanten und Whistleblower würden ihre Informationen nicht mehr an Journalisten geben, wenn sie Angst haben müssten, dass diese überwacht werden, erklärt Stocker. 

BJV-Chef Harald Stocker bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Abhöraktion
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BJV-Chef Harald Stocker bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Abhöraktion

Letzte Generation: Aktion "verstörend"

Laut dem Bericht der SZ wurde die "Letzte Generation" ab Oktober 2022 monatelang unbemerkt abgehört. Dass bei der Pressestelle vornehmlich Journalisten anrufen, sei der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen.

Die Sprecherin der "Letzten Generation", Carla Hinrichs, deren privates Handy auch abgehört worden sein soll, bezeichnete die Abhöraktion als "verstörend". Die möglicherweise gleichfalls betroffene Aktivistin Imke Bludszuweit nannte es "absurd und erschreckend, welche Geschütze hier aufgefahren werden, um friedlichen Protest zu unterdrücken".

Die Letzte Generation erklärte weiter, ob die Überwachung noch anhalte, sei unklar. Ungeachtet des Vorgehens gegen die Bewegung werde die Gruppe "ihren Protest auch in der nächsten Woche in ganz Deutschland auf die Straße tragen".

Sprecher der Bundestags-Grünen: "Schwerwiegender Vorfall"

Auch der Sprecher der Grünen im Bundestag für Medienpolitik, Erhard Grundl, sprach von einem "schwerwiegenden Vorfall", wenn die Vermutung unwidersprochen im Raum stehe, dass Polizei und Justiz gezielt Abhöraktionen gegen Journalistinnen und Journalisten angeordnet hätten. Dies widerspräche der Pressefreiheit. Der bayerische Justizminister und der bayerische Innenminister müssten sich deswegen erklären, so Grundl.

Polizeigewerkschaften: Abhören von Aktivisten "einwandfrei"

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) nannte die Telefonüberwachung der Letzten Generation dagegen "rechtlich einwandfrei". "Niemand steht über dem Gesetz, auch die Letzte Generation nicht", erklärte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. "Strafprozessuale Maßnahmen richten sich nach dem Tatverdacht und der Schwere der Straftaten, die den Verdächtigen vorgeworfen werden. Da dürfen Sympathie für vermeintlich gute Ziele keine Rolle spielen." Die Abhörmaßnahmen seien "durch unabhängige Richter genehmigt" und könnten "jederzeit überprüft werden, auch nachträglich und in Bezug auf ihre Verwertbarkeit".

Mit Informationen von AFP

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