Früher ein überzeugter Grüner, heute ganz auf FDP-Kurs: Er hält den Atomausstieg für den "größten politischen Unsinn".
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Früher ein überzeugter Grüner, heute ganz auf FDP-Kurs: Er hält den Atomausstieg für den "größten politischen Unsinn".

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AKW Isar II: Ex-Grüner demonstriert für Weiterbetrieb

Der Streit um die Kernenergie ist seit der Energiekrise noch einmal voll aufgeflammt. Manch frühere Atomkraftgegner sehen Kernkraft als Rettung fürs Klima. Einen Monat vor der Abschaltung von Isar II treffen in Landshut alte Grundsätze aufeinander.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Liest man die Biografie des Mannes mit Hut, der am Samstagnachmittag durch die Altstadt von Landshut geht, scheint auf den ersten Blick klar, für welche Seite er sich gleich entscheiden würde. Direkt vor dem Rathaus stehen rund 100 Menschen, die gegen die Kernenergie demonstrieren und sich schon auf Mitte April freuen. Denn in gut einem Monat endet das Atomzeitalter in Deutschland. Mit Isar II, rund zehn Kilometer Luftlinie von der Landshuter Innenstadt entfernt, wird auch das letzte bayerische Kernkraftwerk heruntergefahren. 

Früheres Gründungsmitglied der Grünen jetzt für Atomkraft

Doch Norbert Mann geht schnellen Schrittes an dieser Kundgebung vorbei. Im Juni wird er 80 Jahre alt, er ist aus München angereist. "Eigentlich habe ich mich schon gar nicht mehr auf der Straße gesehen", sagt er. Doch an diesem Samstag will er eben doch noch einmal aktiv werden, aus "voller Überzeugung", wie er betont. Er schließt sich rund fünfzehn Menschen an, die wenige Meter weiter für den Erhalt der Atomkraft protestieren. Warum das ungewöhnlich ist, bringt Norbert Mann so auf den Punkt: "Ich bin Gründungsmitglied der Grünen."  

Vor 43 Jahren wird er an die Spitze der Partei gewählt, bildet fortan zusammen mit Petra Kelly und August Haußleiter ein Sprecher-Dreigespann. Die jungen Grünen wollen für eine soziale, basisdemokratische und gewaltfreie Politik stehen. Vor allem aber für eine ökologische. Grundsätze, die sich bis heute nicht verändert haben. Und auch die Anti-Atomkraft-Bewegung ist seit diesen Anfängen Teil der Grünen. Schon im ersten Parteiprogramm steht die Forderung nach einem sofortigen Bau- und Betriebsstopp aller Atomkraftwerke. Als die Grünen dann im Bündnis mit der SPD erstmals in Regierungsverantwortung stehen, wird der erste Atomausstieg auf den Weg gebracht. Im Jahr 2000 war das.  

Vor 26 Jahren Abkehr von den Grünen - Wechsel zur FDP

Den Grünen, für die Norbert Mann auch im Bundestag saß, hat er längst den Rücken gekehrt. "Meine früheren Parteifreunde haben in meinen Augen unser gemeinsames Ziel, nämlich das Klima zu schützen, verraten." Vor mehr als zwanzig Jahren ist er ausgetreten. Und zur FDP gewechselt. Die Partei sei ihm zu links geworden, heißt es auch von den Grünen. Mann habe der Partei vorgeworfen, durch linke Ideale eine breite politische Basis zu verhindern. Die Anti-Atomkraft-Ausrichtung habe er in seinen frühen politischen Jahren aber unterstützt.  

Ex-Grüner: "Größter politischer Unfug"

Heute steht Gründungsmitglied Norbert Mann mit einem gebastelten Schild auf der Straße: "Weil es ums Klima geht: AKW verlängern". Die Botschaft, eher behelfsmäßig gekrakelt. In seinen Worten umso deutlicher: "Ich halte es für den größten politischen Unfug, der in diesem Augenblick in unserem Land passiert. Nämlich in einem Krieg, den Europa gerade erlebt und in dem wir dringend auf CO2-freie, klimafreundliche Energie angewiesen sind, die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten." An die Adresse der Grünen sagt Norbert Mann: "Es tut mir in der Seele weh, dass mit dem richtigen Anliegen die falsche Politik betrieben wird."

Verärgerung über Reaktivierung der Kohlekraftwerke

Es brauche einen vernünftigen Weg zur Klimaneutralität, findet der 80-Jährige heute. "Einen, der auch die Wirtschaft nicht außen vorlässt." Ihm erscheine es geradezu religiös, wenn andere weiterhin so vehement am Ende der Kernenergie festhalten, während zeitgleich in Deutschland Kohlekraftwerke reaktiviert würden. Die Verärgerung über die vorübergehende Reaktivierung einzelner Kohlekraftwerke ist an diesem Nachmittag vielleicht das einzige, das die Teilnehmer beider Protestbewegungen eint – die Gegner und die Befürworter der Atomkraft.  

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Rückblick: Großdemonstration für den Ausstieg aus der Kernenergie 2011 in München. Kernkraftgegner fürchten heute den Ausstieg vom Ausstieg.

"Atomkraft ist nicht sauber, der Dreck liegt woanders"

Vor dem Landshuter Rathaus schwingen mehrheitlich Fahnen von Grünen, ÖDP oder auch von der Umweltorganisation Greenpeace. Eine Trommlergruppe spielt gegen den eisigen Wind an und vorne, an einem Bühnenwagen, prangt ein Banner: "Countdown für Isar II". 35 Tage sind es an diesem Tag noch. Aufgerufen zur Kundgebung hatte das "Bündnis für Atomausstieg" um Mitgründerin Hedwig Borgmann. Für sie gehört die Anti-Atomkraft-Bewegung zur "DNA der Grünen", denen sie auch angehört.

Sauber sei die Technologie eben nicht: "Da blendet man einige Dinge aus. Es ist nicht sauber, der Dreck liegt woanders. Schauen Sie auf den giftigen Uran-Abbau, die Suche nach einem Atommüll-Endlager für viele hunderttausend Jahre." Hinzu käme der jahrzehntelange Rückbau der stillgelegten Kernkraftwerke. All das müsse einfließen in die CO2-Bilanz.

Kohle für Notsituation, aber nicht mehr

Damit wolle sie die Kohle nicht schönreden. "Leider mussten wir in diesem Winter darauf stärker zurückgreifen. Die Kohle muss natürlich trotzdem so schnell wie möglich vom Netz. Ganz schnell." Zeitweise eine Notsituation überbrücken, das sei in Ordnung, so Borgmann. "Mehr aber auch nicht."

"Schreckgespenst" der Kernkraftgegner: Ausstieg vom Ausstieg

Viele Teilnehmer der Anti-Atomkraft-Bewegung fürchten jetzt, dass genau diese Notsituation zum "Ausstieg vom Ausstieg" führen könnte, also zum längeren Verbleib in der Kernenergie. Knapp fünf Wochen vor dem durch das Kanzler-Machtwort festgelegten Ausstiegsdatum wollen sie noch einmal laut werden.

Forderungen von Union, FDP und AfD, die Laufzeit der Kernkraftwerke mit neuen Brennelementen zu verlängern, sorgen bei der Anti-Atomkraft-Bewegung für Zweifel. "Ich würde es sehr begrüßen, wenn am 15. April Schluss wäre. Sicher bin ich mir aber noch nicht", sagt eine Demonstrantin. Zuviel werde gerasselt und gefordert, sagt ein anderer: "Niemals hätte ich gedacht, mit meiner Fahne (‚Atomkraft – Nein Danke‘ Anm. d. Red.) noch einmal hier zu stehen. Wir müssen noch einmal daran erinnern, dass es wirklich vorbei ist.“ Es gebe viele Gründe, weiter Präsenz zu zeigen, sagt ein Anhänger der Grünen. Schließlich seien ja auch die Befürworter der Atomkraft nicht weit. 

  • Zum Artikel: Laut Energie-Professor ist Atomkraft "teuerster Strom aller Zeiten"

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