In Eichstätt leben im Priesterseminar "Collegium Orientale" auch Ukrainer - allein oder mit Familie.
Bildrechte: BR

In Eichstätt leben im Priesterseminar "Collegium Orientale" auch Ukrainer - allein oder mit Familie.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Ein Jahr Ausnahmezustand: Ukrainer in Eichstätt

Diese Einrichtung ist einzigartig in Deutschland: Im Eichstätter "Collegium Orientale" studieren Männer aus den Ostkirchen. Sie kommen aus verschiedenen Nationen und gehören unterschiedlichen Konfessionen an. Unter ihnen sind auch viele Ukrainer.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Sie sitzen in einem Probenraum zusammen und singen: Ein Lied über ihre Heimat, die Ukraine. Es handelt vom Frieden und Schicksal. Die Mitglieder des Chors im Priesterseminar Collegium Orientale in Eichstätt proben, denn am Abend werden sie bei dem wöchentlichen Friedensgebet auf dem Eichstätter Residenzplatz singen. Dieses Mal tragen sie ein Musikstück vor, das normalerweise nicht zum Repertoire des christlichen Chors gehört. Doch ihre Normalität hat sich seit dem 24. Februar 2022, seit Beginn des Kriegs in der Ukraine, enorm verändert.

Krieg ist immer präsent

Oleksandr Petrynko ist Rektor des Collegiums Orientale und stammt selbst aus der Ukraine. Der Krieg ist für die ukrainischen Studenten, die Mitarbeiter und für ihn selbst immer präsent: "Mein Leben hat sich sehr verändert. Das erste, was ich nach dem Aufstehen mache, nach einem kurzen Gebet, ich schaue auf die Nachrichten. Das ist etwas Neues in meinem Leben und das gilt nicht nur für den Anfang des Tages, sondern auch während des Tages. Ich schaue immer wieder." Schließlich betreffe der Krieg ihn persönlich, aber er wolle natürlich auch informiert sein, als Rektor und als Mensch.

Ein Priesterseminar mit Besonderheiten

Das Collegium Orientale gibt es seit 1998 in Eichstätt. Es ist ein Priesterseminar für Studenten der Ostkirchen und in dieser Form einzigartig. Weltweit ist es das einzige Seminar, das auf alle katholischen Ostkirchen sowie die orientalischen und orthodoxen Kirchen ausgerichtet ist. Auch, dass verheiratete Priesteramtskandidaten und Priester hier studieren können, ist eine Besonderheit.

Toleranz im Priesterseminar hat hohen Stellenwert

Derzeit leben rund 50 Studenten, teilweise mit ihren Familien, im Collegium. Viele von ihnen kommen aus der Ukraine, andere aus Polen, Kasachstan, Indien oder Georgien. Auch die Konfessionen sind unterschiedlich. Manche gehören beispielsweise der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche oder Syro-Malankarischen Kirche an. Auch Mitglieder der orthodoxen Kirchen leben im Eichstätter Collegium, sie gehören beispielsweise der Ukrainisch Orthodoxen Kirche oder der Russisch Orthodoxen Kirche an.

Daher wird Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Nationen und Konfessionen traditionell großgeschrieben. "Wer das nicht mitbringt, ist hier fehl am Platz", hält Rektor Petrynko fest. Daran hat auch der Krieg in seiner Heimat nichts verändert. Auch die Studenten wollen offen auf andere zugehen. "Man darf den Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Und wir müssen immer das Gespräch suchen", erzählt ein Student.

Hilflosigkeit: Große Sorge um die Familien in der Heimat

Bei allen ukrainischen Studenten ist die Sorge um Familie und Freunde in der Heimat groß. Zum Glück seien noch keine nahen Angehörigen unter den Opfern der Kollegiaten. Die allermeisten rufen täglich ihre Familien an. Aber auch das sei derzeit schwierig: "Es gibt in der Ukraine viele Stromausfälle. Wir müssen immer den richtigen Moment abpassen, um anrufen zu können", erzählt Mykola Vytivskyi. Den Kriegsbeginn hat er in Kiew erlebt, dort war er zu einem Praktikum.

Lange Zeit fühlte er sich dort nützlich. Jetzt kämpft er immer wieder mit einem Gefühl der Hilfslosigkeit. "Diese Unruhe ist zum Alltag eines Ukrainers geworden. Vor allem wenn man im Ausland ist. Man hat überhaupt kein Gefühl mehr, etwas unter Kontrolle zu haben. Man hat nicht mehr das Gefühl, dass man das Leben seiner Verwandten irgendwie retten kann", erzählt er. Einigen seiner Kommilitonen gehe es ähnlich. Die Hilflosigkeit begleite sie in ihrem Alltag.

Solidarität und Unterstützung an allen Ecken

Zu Beginn nahmen sie Flüchtlinge bei sich im Collegium auf. Sie unterstützen Hilfstransporte und helfen als Dolmetscher aus. Nahezu wöchentlich beteiligen sie sich seit einem Jahr am Eichstätter Friedensgebet auf dem Residenzplatz in der Stadtmitte.

Friedensgebet in Eichstätt

Kurz vor 18 Uhr versammeln sich rund 60 Menschen auf dem Platz. Die ukrainischen Studenten haben ihre Liedzettel dabei, halten kleine blau-gelbe Fahnen in den Händen. Auf dem Boden vor ihnen stehen Laternen mit Kerzen. Sie stimmen ihr Lied an. Die wöchentlichen Treffen stehen für ihre Solidarität. Für die Ukrainer ist das wichtig. "Für mich ist es extrem emotional, wenn ich die Deutschen sehe, wenn ich dann mehr Ukrainer sehe als Deutsche, dann bin ich begeistert", erzählt einer. Auch Mykola Vytivskyi ist dabei: "Ich glaube, dieses gemeinsame Gebet ist etwas, das ein Wunder bewirken kann." Ihre Hoffnung ist noch da, die auf Frieden in ihrer Heimat.

Ikone und Kerze in einer Kappe
Bildrechte: BR/ Daniela Olivares
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Für die Ukrainer im Eichstätter Collegium Orientale herrscht noch lange kein Alltag, denn der Krieg ist immer präsent.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!