In einer Schulklasse sitzen Jugendliche beim Schreiben eines Texts am Schreibtisch. Im Hintergrund steht die Lehrerin der Brückenklasse an der Realschule Freiham.
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In der Brückenklasse der Realschule Freiham lernen ukrainische Schülerinnen und Schüler Deutsch.

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Ukrainische Schüler in Bayern: Ein Jahr seit Kriegsbeginn

Seit dem russischen Überfall sind 30.000 junge Menschen aus der Ukraine nach Bayern geflohen und gehen hier in die Schulen. Wie funktioniert der Unterricht für die ukrainischen Schülerinnen und Schüler ein Jahr nach Kriegsausbruch?

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In der Brückenklasse der Realschule Freiham sitzen 17 junge Ukrainerinnen und Ukrainer und lernen Deutsch bei Georg Neumayr. Die Aufgabe, die er ihnen in der Woche vor den Faschingsferien stellt: Sie sollen über ihre besten Freunde schreiben.

Nach konzentriertem Schreiben liest Tatjana ihren Text über ihre beste Freundin Silvine vor: Silvine ist zwölf und wohnt in Saporischschja. Sie ist lustig, malt gerne, sie schauen gemeinsam gerne Filme an.

Schwerpunkt: Deutschunterricht für ukrainische Jugendliche

Es ist beeindruckend, wie gut manche der Schülerinnen und Schüler nach nicht einmal einem Jahr schon Deutsch sprechen können – eine für viele immerhin sehr schwer zu lernende Sprache. Das findet auch Timo, aber: "Ich wohne in Deutschland, ich lerne in Deutschland, ich mache Sport in Deutschland. Ich mache alles in Deutschland. Ich muss die deutsche Sprache lernen, weil: Ich bin in Deutschland."

Der Deutschunterricht ist dementsprechend auch der Schwerpunkt für alle der rund 30.000 ukrainischen Kinder und Jugendlichen, die nach Bayern geflohen sind und hier zur Schule gehen. Die Jüngeren von ihnen werden an den Grundschulen direkt ins kalte Wasser geworfen: in den normalen Unterricht, gemeinsam mit ihren Altersgenossen.

Das sei das sogenannte Sprachbad, erklärt Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler): "Gerade in dieser Altersstufe erlernt man eine Sprache relativ schnell. Mir ist es auch wichtig, dass man integriert ist."

Brückenklassen an weiterführenden Schulen

Für die Älteren dagegen gibt es seit diesem Schuljahr die sogenannten Brückenklassen. Gut 800 gibt es in ganz Bayern, an Mittel- und Realschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen. Dieses Angebot will der Freistaat auch im nächsten Schuljahr machen, hat Kultusminister Piazolo vor Kurzem angekündigt.

Der Weg der Brückenklassen habe sich bewährt, weil er den Schülerinnen und Schülern beide Möglichkeiten gebe, so der Minister: Einerseits können sie am Nachmittag den ukrainischen Distanzunterricht und damit die Schulkarriere in ihrem Heimatland weiterverfolgen. Andererseits gebe es aber auch die Option, in den Regelunterricht in der bayerischen Schule zu wechseln, sobald die Sprachkenntnisse das zulassen.

Zwischen Integration und Wunsch nach baldiger Rückkehr

Der Nachteil: In den Brückenklassen blieben die Jugendlichen oft unter sich und seien dadurch weniger gut integriert – zumindest nach Ansicht vieler Lehrkräfte. Vor Kurzem hat der Bayerische Philologenverband eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt. Demnach fanden drei Viertel der Lehrkräfte, dass die ukrainischen Kinder eher schlecht oder sogar sehr schlecht in ihrer jeweiligen Schule integriert seien.

Jürgen Böhm, der Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands, sagt dagegen, eine Vollintegration in den Unterricht überfordere einige Schülerinnen und Schüler. Er hält den Weg über die Brückenklassen für den besseren, da man auch hier entscheiden könne, ab wann welche Schüler in den Regelunterricht gehen könnten.

In Gedanken beim Heimatland Ukraine

Fakt ist: Die jungen Menschen sind aus einem kriegsverwüsteten Land geflohen. Oft seien sie mit dem Kopf nicht ganz beim Unterricht, sagt Georg Neumayr, Lehrer für Deutsch als Zweitsprache an der Realschule Freiham. Der Gedanke an die Heimat sei immer präsent.

Und das nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern. Auch ihre Lehrerin, Viktoria Sokruta, die neben Neumayr die Brückenklasse unterrichtet, denkt oft an ihre Heimat: "Wir vermissen unsere Verwandten, unsere Männer", sagt sie, aber: "Insgesamt geht es sehr gut, weil wenn man Arbeit und viel zu tun hat, dann hat man keine Zeit, um nachzudenken."

Lehrkräfte gesucht

Für Sokruta war es keine Frage, dass sie auch in Bayern weiter als Lehrerin arbeiten möchte. "Das ist mein Leben", erklärt sie: "Ich kann nicht ohne Arbeit, ohne Kinder." Man freue sich über jede Bewerbung, heißt es aus dem Kultusministerium. Zwar habe man mit 2.700 Lehrkräften schon viele Menschen gewinnen können, um die ukrainischen Schüler zu unterrichten – aber mehr wären besser.

2.700 Lehrkräfte: Dazu gehören Ukrainerinnen wie Viktoria Sokruta, Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache, die oft aus dem freien Markt gekommen sind, aber auch pensionierte Lehrkräfte, die für einige Stunden einspringen, sowie noch viele Kolleginnen und Kollegen von den Schulen.

Lehrkräftemangel verhindert Integration

Die Zahl ist dennoch beachtlich, gerade vor dem Hintergrund des immer drängender werdenden Lehrkräftemangels. Dieser ist zwar noch nicht an allen Schularten gleich stark angekommen. Gymnasien und Realschulen sind bisher einigermaßen gut versorgt. Aber auch hier gehen bald die geburtenstarken Boomer-Jahrgänge in Ruhestand, und aus den Universitäten kommen zu wenige junge Leute nach.

Deswegen fordert Jürgen Böhm vom Bayerischen Realschullehrerverband, jetzt möglichst viele Lehrkräfte für mobile Reserven, also Springerteams, einzustellen. Kolleginnen und Kollegen, die dabei helfen können, dass die ukrainischen Schülerinnen und Schüler auch in Zukunft gut integriert werden können.

Ukraine-Schüler in Bayern
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Rund 30.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler sind nach Bayern geflohen. Kultusministerium und Schulen ziehen eine positive Zwischen-Bilanz.

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