Vor der Seniorenresidenz Schliersee wehen Fahnen.
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Vor der Seniorenresidenz Schliersee wehen Fahnen.

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BR-Recherche zu Skandalheim: Opposition fordert Aufklärung

Die Berichte des Bayerischen Rundfunks zu den Missständen in der Seniorenresidenz Schliersee erschüttern Bayerns Politiker. Menschen sollen dort verwahrlost und fast verhungert sein. Über Konsequenzen aus dem Fall ist man sich uneins.

Über Parteigrenzen hinweg zeigen sich bayerische Politiker erschüttert von den Missständen, die seit mehr als zehn Jahren in der Seniorenresidenz Schliersee herrschten. BR-Recherchen brachten den Fall an die Öffentlichkeit.

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Der bayerische Pflegebeauftragte Peter Bauer (Freie Wähler) äußerte sich betroffen. Er sei erschüttert und wütend, schrieb Bauer auf BR-Anfrage. Bei ihm seien aber keine Beschwerden über die Seniorenresidenz Schliersee eingegangen. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bayerischen Landtag, Bernhard Seidenath (CSU), bezeichnete die BR-Berichte als besorgniserregend und alarmierend. Sie müssten nun durch offizielle Ermittlungen bestätigt werden.

Vertreter der Opposition sehen Staatsregierung in der Pflicht

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Dominik Spitzer, zeigen die BR-Recherchen deutlich, welche Konsequenzen das Versagen einer Behörde haben könne. Der Liberale ist der Ansicht, dass das Landratsamt Miesbach seiner Verantwortung nicht nachgekommen ist. Der FDP-Politiker sagt dem BR: "Alle Verfehlungen im Zusammenhang mit dem geschilderten Fall müssen schonungslos aufgeklärt und entsprechend geahndet werden."

Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Andreas Winhart, attestiert Behörden und Politikern vor Ort Fahrlässigkeit. Für die SPD-Gesundheitsexpertin Ruth Waldmann demonstriert der Fall der Seniorenresidenz Schliersee absolutes Kontrollversagen. Dafür seien nicht nur die Heimaufsicht Miesbach und das Landratsamt verantwortlich, Waldmann nimmt im BR-Interview die oberste Aufsichtsbehörde der Heimaufsicht, das bayerische Gesundheitsministerium, in die Pflicht.

Ähnlich beurteilt das ihr Kollege Andreas Krahl (Grüne). Für den gelernten Krankenpfleger tauchen Missstände in Altenpflegeheimen zu häufig auf, um diese als Einzelfälle zu betrachten. Der Abgeordnete fordert, Einrichtungen in Bayern gezielt auf ähnliche Probleme wie in der Seniorenresidenz hin zu prüfen. Der Fall Schliersee hat für Andreas Krahl aber auch eine Dimension, die weit über das sogenannte Skandalheim hinausgeht. "Wir erleben gerade im Bereich der Pflege grundsätzlich eine humanitäre Katastrophe, die niemand mitkriegt, weil niemand hinter die Kulissen blickt."

Parteipolitiker ziehen unterschiedliche Schlüsse aus Fall Schliersee

Die Freien Wähler stellen die Heimaufsicht nicht generell in Frage, sondern schlagen vor, sie durch mehr Personal zu verstärken. CSU und FDP dagegen bringen eine Zusammenlegung von Heimaufsicht und Medizinischem Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) ins Spiel. Für Bernd Seidenath (CSU) gibt es zu viele Doppelstrukturen; die FDP hofft, dass die Kontrolle der Heime so schlanker und schlagkräftiger wird. Die SPD schlägt vor, Pflegekräfte und Angehörige in das Kontrollsystem einzubeziehen. Nach Ansicht der Grünen muss die Heimaufsicht zu einer beruflichen Option für Pflegekräfte werden, die den Beruf verlassen hätten.

Pflegewissenschaftler fordern Reform der Heimaufsicht

Professorin Martina Hasseler von der Ostfalia Hochschule hält eine Reform der Heimaufsicht für wichtig. Man müsse an Prüfkriterien arbeiten und professionelle Pflege miteinbeziehen und außerdem verantwortungsbewusst mit Prüfergebnissen umgehen. Professor Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung in Köln fordert, dass Pflegefachkräfte in den Heimaufsichten die Entscheidungsgewalt bekommen sollten:

"Es kann nicht sein, dass jemand, der fachfremd ist und sich überhaupt nicht auskennt, Wunden nicht selber beurteilen kann, dass derjenige eine Kontrollfunktion übernimmt." Michael Isfort, Pflegewissenschaftler, dip Köln

Er übernehme schließlich auch keine Kontrollfunktion für Flughäfen, sondern für Pflege, weil er Pflegekraft sei. Das müsse eine Einstiegsqualifizierung sein, so Isfort.

Seniorenresidenz Schliersee ist womöglich kein Einzelfall

Insider vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Bayern (MDK) bezeichnen die Seniorenresidenz Schliersee im Gespräch mit dem BR als "krassen Fall" – allerdings gebe es im Freistaat Einrichtungen, in denen vergleichbare Pflegemängel herrschten. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Ruth Waldmann, geht davon aus, dass es weitere ähnlich gelagerte Fälle gibt:

"Kontrollen sind dazu da, um Missstände zu verhindern und aufzudecken. Das hat überhaupt nicht funktioniert." Ruth Waldmann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD

Deshalb sei es nicht auszuschließen, dass es an anderer Stelle auch nicht funktioniert hat. "Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass es mehrere solcher Häuser gibt, dann gibt es wirklich zusätzlich ein Systemversagen", sagt Waldmann.

Zur Seniorenresidenz Schliersee ermittelt die Staatsanwaltschaft München II. Sie prüft 17 Todesfälle sowie verschiedene Körperverletzungsdelikte gegen 88 Bewohner. Ob es zu einem Prozess kommen wird, ist offen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

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