Kinderkurheim Villa Phönix
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Misshandelt und missbraucht: Neue Vorwürfe ehemaliger Kurkinder

Der BR berichtete im November 2023 über Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in der früheren Asthma-Kinderheilstätte Bad Reichenhall. Nun berichten weitere Betroffene. Die Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München verspricht Aufarbeitung.

Über dieses Thema berichtet: Katholische Welt am .

Als Judith Schröder (ihr Name ist geändert) sechs Jahre alt war, litt sie an schweren Asthma-Anfällen. Ihre Kinderärztin riet ihr 1969 zu einer Kur in der Kinderheilstätte Bad Reichenhall. Über das Erlebte berichtete Judith Schröder ihrer Familie erst 30 Jahre später, nachdem sie eine Therapie begonnen hatte.

Vorwürfe von Gewalt und Vergewaltigungen im Keller

Sie sei auf Kur von mehreren Männern im Keller geschlagen und vergewaltigt worden, sagt Judith Schröder. Darunter sei ein Mitarbeiter des Heims gewesen: "Der Haupttyp hat immer wieder gesagt, dass er mich umbringt, wenn ich irgendetwas erzähle", so Schröder.

Ihre Mutter hat 2023 die BR-Dokumentation "Misshandelt und missbraucht – Horror im Kinderkurheim" gesehen: Drei Kurkinder hatten darin Vorwürfe der Gewalt und des sexuellen Missbrauchs erhoben, als Haupttäter nannten sie einen Mann, den sie für einen Pfleger hielten. Daraufhin wandte sich ihre Tochter Judith an den BR.

Ehemalige Betreuerinnen bestreiten Vorwürfe

Man habe die Kinder liebevoll betreut, kontern zehn ehemalige Mitarbeiterinnen im Gespräch mit dem BR. Die 87-jährige Anneliese Huber sagt: "Rund um die Uhr waren die Kinder bei uns beaufsichtigt. Das hätten wir doch merken müssen." Im Heim habe es kein männliches Personal gegeben.

Nach der Veröffentlichung der Doku wandte sich nicht nur Judith Schröder an den BR – auch weitere ehemalige Kurkinder gaben Einblick in ihre Geschichte. Einige schildern positive Erinnerungen an die Kinderheilstätte. Es wurden aber auch neue Vorwürfe geäußert: Ein heute 68-Jähriger, der Anfang der 1960er-Jahre dort war, erinnert sich an eine "Strafskala" bei Vergehen – Kinder seien z.B. in eine dunkle Kammer gesperrt worden. Ein heute 75-Jähriger berichtet, Kinder hätten ihr eigenes Erbrochenes aufessen müssen. Und eine Frau schreibt, sie habe während ihrer Kur 1958 "Demütigungen", "Ohrfeigen" und "Essenszwang" erlebt.

Aufarbeitung durch einen Historiker

Die Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising, in deren Trägerschaft das ehemalige Kinderkurheim von 1948 bis 1986 war, hat inzwischen einen Historiker mit der Aufarbeitung beauftragt. Er habe eine Personalliste von 1957 gefunden, auf der drei männliche Mitarbeiter verzeichnet seien, so der Zwischenstand des Verbands. Bei der Kriminalpolizei sei 1973 ein Fall von "Kindesmisshandlung" angezeigt worden. Zu Vorwürfen sexuellen Missbrauchs hätten sich keine Hinweise in den Akten gefunden. Im Frühjahr 2024 werde voraussichtlich das definitive Gutachten veröffentlicht.

Forderungen der Betroffenen

Judith Schröder hofft, dass die Betroffenen im Rahmen der historischen Aufarbeitung gehört werden. Die Katholische Jugendfürsorge teilt auf BR-Anfrage allerdings mit: "Eine Befragung von ehemaligen Kindern ist derzeit nicht vorgesehen". Inzwischen hätten drei ehemalige Kinder der Heilstätte Bad Reichenhall einen Missbrauch angezeigt. Judith Schröder will das demnächst auch tun.

Im Video: Horror in Kinderkurheim in Bad Reichenhall

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