Zuletzt blieben Arztpraxen bereits aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Ampel-Regierung geschlossen.
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Zuletzt blieben Arztpraxen bereits aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Ampel-Regierung geschlossen (Archivbild).

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Ärzteprotest: Heute bleiben viele Praxen zu

Wenn der Arzt die Praxis nicht öffnet: Noch ein Protesttag im Gesundheitswesen, diesmal geht er vom Virchowbund aus, der Vereinigung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Sie wollen Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf ihre Lage hinweisen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Deutschlandweit wollen Tausende Ärztinnen und Ärzte in einer bundesweiten Protestaktion ihre Praxen am heutigen Montag geschlossen halten. Der Virchowbund als Verband der niedergelassenen Haus- und Fachärzte hatte zu der Aktion aufgerufen, weitere knapp 20 Ärzteverbände sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten sich angeschlossen, sagte ein Sprecher des Virchowbunds am Freitag.

Wie viele Praxen wo genau nicht öffnen, könne man nicht sagen. Es werde damit gerechnet, dass es sich um eine fünfstellige Zahl handele. Damit starte die Kampagne "Praxis in Not" in eine neue Phase.

Protest gegen die Politik von Gesundheitsminister Lauterbach

Der Protest richtet sich den Angaben zufolge gegen die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). "Die Praxen sind durch verschiedenste Regelungen, insbesondere aber auch durch Beschränkungen der Abrechnungsmöglichkeiten, so stranguliert mittlerweile, dass sie Leistungen einschränken müssen, weil sie das nicht mehr finanzieren können", sagt der Virchowbund-Vorsitzende Dirk Heinrich zu BR24.

Das eine ist die Belastung durch Bürokratie. Rund 60 Tage im Jahr verbringen Praxen mit Papierkram, statt sich in dieser Zeit um Kranke zu kümmern. Das andere ist die Abrechnung: Für jede Behandlung gibt es Geld von der Krankenkasse. Insgesamt ist die Summe jedoch gedeckelt. Wenn die Praxen mehr behandeln, bekommen sie ihre Kosten nicht voll erstattet.

Bis zuletzt gab es noch eine Ausnahme. "Das hat man in der letzten Regierung mit der Neupatientenregelung gelockert, dass für neue Patienten alles bezahlt wird, was tatsächlich an Leistungen erbracht wird." Das Ziel war, einen Anreiz zu schaffen, dass Praxen mehr neue Patienten aufnehmen. Aber diese Regelung, beklagt Dirk Heinrich, wurde in diesem Jahr abgeschafft: "Dieses Geld fehlt jetzt und das bedeutet logischerweise weniger Termine."

Es geht in erster Linie ums Geld

Termine werden knapper, die Wartezeiten länger – hält der Virchowbund dagegen. Der Ärzteverband sieht die Praxen unter Druck, weil die Kosten steigen: durch höhere Gehälter fürs Personal und steigende Preise für Energie und Material. Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV sind deshalb die Honorare angepasst worden.

"Wir haben die Honorare der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gerade erst neu verhandelt, und haben uns mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, also der Standesvertretung der Ärztinnen und Ärzte, auf einen üppigen Anstieg der Honorare geeinigt. Und darin enthalten ist auch der Inflationsausgleich", heißt es von einem GKV-Sprecher.

Die Honorare sind um 3,85 Prozent gestiegen. Die Inflation liege allerdings höher, betont der Virchowbund, bei fünf bis sechs Prozent. Auch da bleibt demnach ein Minus. Kein Wunder aus Sicht der Praxen also, dass sie keinen Nachwuchs finden. Stattdessen kaufen zunehmend Finanzinvestoren Praxen auf und trimmen sie dann als Ketten auf Gewinn.

Dirk Heinrich macht diese Entwicklung große Sorgen: "Sie versorgen natürlich schon auch Patienten, aber mit einem anderen Fokus. Der Fokus liegt häufig auf dem Verkauf von individuellen Gesundheitsleistungen. Es werden Termine nur so vergeben, solange der Patient noch irgendwie Geld bringt."

Da sind sich die Praxen und der Bundesgesundheitsminister einmal einig: Auch er will den Einfluss der Investoren begrenzen und plant dafür gesetzliche Regelungen. Auch mit den Bundesländern laufen Gespräche, mehr Studienplätze für Medizin anzubieten, um das Nachwuchsproblem anzugehen. Doch die Fachärzte und Hausärztinnen sind überzeugt: Das löst sich nur mit besseren Bedingungen für die Arztpraxen.

Not- und Bereitschaftsdienst soll organisiert werden

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung soll ein flächendeckender Not- und Bereitschaftsdienst organisiert werden. In Nordrhein-Westfalen wies die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein darauf hin, dass andere Praxen vor Ort vertretungsweise die ambulante Versorgung übernehmen wollten. Patientinnen und Patienten sollten auf entsprechende Praxis-Aushänge und Angaben auf den Praxis-Anrufbeantwortern achten.

Der Virchowbund sprach von einem "Auftakt zu weiteren Protestaktionen". Unterstützer seien viele Berufsverbände, von HNO-Medizinern über niedergelassene Chirurgen, Orthopäden, Augenärzten bis hin etwa zu Internisten. "Wir sind ausgeblutet. Seit 30 Jahren zwingen Politik und Kassen die Arztpraxen zu schmerzhaften Sparmaßnahmen. Wir können nicht mehr", hieß es in dem Aufruf auf der Virchowbund-Homepage.

Hausärzteverband beteiligt sich nicht an Praxisschließungen

Der Bayerische Hausärzteverband hat darauf hingewiesen, dass er sich nicht am Aufruf anderer Ärzteverbände zu Praxisschließungen am heutigen Tag beteilige. Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, der Münchner Allgemeinmediziner Wolfgang Ritter, sagte dem Bayerischen Rundfunk, seine Kolleginnen und Kollegen seien in die Planung des Protesttages nicht eingebunden worden. Deshalb hätten sie die Perspektive der Hausärzte nicht einbringen können.

Außerdem sei es fraglich, ob es Sinn habe, Proteste mit Praxisschließungen auf einen Brückentag zu legen, den ohnehin viele Praxen und Patienten als verlängertes Wochenende nutzen, sagte Ritter. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) erklärte gegenüber dem BR, sie sei in die Organisation des Aktionstages nicht eingebunden gewesen.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund eines Kommentars von Nutzer "Merkur" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt. Auch die Überschrift haben wir angepasst.

Bei den heutigen Praxisschließungen handelt es sich rechtlich betrachtet nicht um einen Streik im klassischen Sinn, da niedergelassene Ärztinnen und Ärzte kein Streikrecht haben. Streiken kann nur, wer abhängig beschäftigt ist. Wenn Ärztinnen und Ärzte eine Kassenzulassung beantragen, verpflichten sie sich, im Rahmen des sogenannten Sicherstellungsauftrages, Kassenpatienten und -patientinnen in einem bestimmten Umfang zu versorgen. Dennoch dürfen sie natürlich ihre Praxen auch schließen – wie etwa an Brückentagen oder in Urlaubszeiten.

Was sie nicht dürfen: Ihre Praxen in großer Zahl aus berufspolitischen Gründen koordiniert schließen und damit Engpässe in der Versorgung verursachen. Das ist heute nicht der Fall, da ohnehin viele Praxen wegen des Brückentags geschlossen geblieben wären. Da zusätzlich über Notfall-Vertretungen kein grundlegendes Problem in der Versorgung der Bevölkerung vorliegt, sind die Schließungen rechtlich unproblematisch. 💬

Patientenschützer: Schließungen treffen Schwache und Kranke

Die Praxisschließungen riefen dennoch Kritik hervor. "Jede Berufsgruppe kann für bessere Bezahlung kämpfen. Doch Praxisschließungen treffen in erster Linie kranke und schwache Menschen", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, der dpa. Hingegen bleiben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Krankenkassen nach seiner Einschätzung von den Aktionen der Kassenärzte unberührt.

"Für andere Freiberufler wäre es undenkbar, sich gegen ihre Kunden zu stellen. Das macht deutlich, dass Patienten im Gesundheitssystem nicht mal den Status eines Kunden in der Wirtschaft haben", kritisierte Brysch in Dortmund.

Mit Informationen von dpa

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