Für Patienten ist es oft schwer zu erkennen, wer tatsächlich Inhaber einer Praxis ist. (Symbolbild)
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Für Patienten ist es oft schwer zu erkennen, wer tatsächlich Inhaber einer Praxis ist. (Symbolbild)

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Kommerzialisierung: Wenn Finanzinvestoren Arztpraxen übernehmen

Immer mehr "Private-Equity-Gesellschaften" kaufen Arztpraxen auf und setzen auf wirtschaftlichen Gewinn. Das sorgt für Kontroversen. Wird die Versorgung von Patienten zunehmend zu einem Spekulationsgeschäft?

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Vor vier Jahren wagte die Zahnärztin Vesna Jelic den Schritt in die Selbständigkeit. Sie betreibt eine Praxis und verwirklichte sich damit einen Lebenstraum, wie sie sagt: "Für mich ist es eine Berufung. Ich liebe es, schöne Lächeln zu zaubern und ich liebe die Freiheit, das genau so zu tun, wie ich das möchte und auch die Verbindung mit den Patienten so zu gestalten, wie es mir lieb ist. Das ist für mich das Wertvollste." Um diese Freiheit zu haben, musste Vesna Jelic viel unternehmerischen Mut und Kapital aufbringen, denn der Markt ist hart umkämpft.

Umstrittene Player: Private-Equity-Gesellschaften

Immer mehr 'Private-Equity-Gesellschaften' kaufen Arztpraxen auf. Sie beschaffen ihr Kapital überwiegend über Fonds, die den Anlegern hohe Renditen versprechen. Mit dem so eingesammelten Geld kaufen sie Arztpraxen im ganzen Land und bauen diese zu Ketten aus. Ihr Ziel: möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften. Dient die ambulante Gesundheitsversorgung als Geschäftsfeld für gewinnorientierte internationale Investments? Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) sieht eine große Gefahr für Patientinnen und Patienten.

KVB kritisiert "Rosinenpickerei"

"Es passiert, dass Rosinenpickerei betrieben wird, weil natürlich die Renditeerwartungen der Investoren befriedigt werden müssen", erläutert Peter Heinz, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVB. "Dann werden Leistungen, die der Patient eigentlich aus medizinischen Gründen benötigt, gegebenenfalls nicht mehr in dem Maße angeboten, wie sie benötigt würden, weil sie nicht lukrativ sind. Weil im Hintergrund ein Ökonom, ein Betriebswirtschaftler, Entscheidungen trifft, damit Rendite-Erwartungen möglichst erfüllt werden können." Interessensvertreter der Investoren bestreiten diese Vorwürfe vehement. Es lägen keine Nachweise vor, die dies eindeutig belegen würden.

Wem gehört die Praxis? Für Patienten oft nicht erkennbar

Wie viele Praxen inzwischen im Besitz von Investoren sind, ist unbekannt. Auch für Patienten ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, ob die Praxis einem Arzt oder einem Investor gehört. Zum Schutz der Patienten fordern Vertreter der Kassenärzte deshalb eine Kennzeichnungspflicht für investorengeführte Praxen.

Eine Gefahr besteht laut KVB darin, dass Patienten, wenn investorenbetriebene Versorgungszentren eine marktbeherrschende regionale Stellung haben, etwa bei der Suche nach einer Zweitmeinung bei einer Praxis des gleichen Unternehmens landen. "Dann bekommt der Patient nicht eine wirkliche zweite Meinung. Er bekommt die Unternehmensmeinung bestätigt. Und das sehen wir als große Gefahr. Der Patient muss transparent wissen, in wessen Hände er sich letzten Endes begibt", mahnt Heinz.

Veränderungen durch Investoren

Bevor Vesna Jelic den Schritt in die Eigenständigkeit gewagt hat, war sie angestellte Zahnärztin in einer Praxis, in die sich irgendwann ein Investor eingekauft hatte. Damit kamen Veränderungen. "Es wurden neue Zahnärzte eingestellt. Dann wollte man Arbeitsteilung machen. So, dass der eine nur Wurzelbehandlungen macht, der andere nur Parodontitis, der andere nur Implantate setzt", berichtet Jelic. "Das hat den Patienten die freie Arztauswahl genommen, was für mich das größte Problem war."

Fachlich waren sie und ihre Kollegen gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte. Doch der wirtschaftliche Druck belastete ihre Arbeit. "Es wurden Einsparungen gemacht", sagt Jelic. "Es wurde entschieden, das Ganze so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten. Wenn es sich um Materialien gehandelt hat, die im Mund von Patienten verwendet werden, war es dann für mich zu viel des Guten. Da habe ich dann auch nicht mehr mitgemacht."

Patienten-Versorgung zunehmend Spekulationsgeschäft?

Waren früher überwiegend Zahnärzte im Visier der Spekulanten, sind es nun auch Augenärzte, Radiologen oder Hausärzte. Laut einer Untersuchung im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns rechnen Private-Equity-geführte Versorgungszentren im Schnitt 10,4 Prozent mehr Honorar ab als Einzelpraxen. Bei Zahnarztbesuchen ist es sogar noch mehr. Ein Gewinn für Investoren, aber nicht für Patienten, kritisiert die Bayerische Landeszahnärztekammer.

"Die zahnärztliche Versorgung ist sicherlich nicht besser, sondern orientiert sich an Umsatzvorgaben und Honorarvorgaben, um entsprechende Provisionen zu erzielen. Was dann vielleicht zur Folge hat, dass man die eine oder andere Behandlungsleistung mehr macht, ohne dass sie unbedingt notwendig ist", erläutert Rüdiger Schott, der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB).

Private-Equity-geführte Praxen: Sitz häufig in Steueroasen

Von Seiten der Investoren heißt es: Die gute Rendite ergebe sich durch die Effizienz und gute Verwaltung der Praxen. Eine Überbehandlung komme keinesfalls vor, so der Bundesverband für nachhaltige Zahnheilkunde gegenüber der BR-Redaktion mehr/wert.

Fakt ist: Über 80 Prozent der Private-Equity-geführten Praxisstandorte in Bayern haben laut eines Gutachtens im Auftrag der KVB ihren rechtlichen Sitz in Offshore-Finanzzentren wie den Kanalinseln Guernsey und Jersey, gefolgt von Luxemburg und den Kaimaninseln. Durch komplizierte Firmengeflechte werden Schlupflöcher genutzt, um Steuern niedrig zu halten oder zu umgehen. Vorbei an deutschen Steuerbehörden fließen so Beitragsgelder der Krankenkassen in Steueroasen. "Im Prinzip zahlen wir zweimal. Einmal als Steuerzahler, weil Steuern verloren gehen, und zum anderen als Patient für die Dinge, die er vielleicht gar nicht braucht", kritisiert Schott.

Angekündigter Gesetzentwurf steht noch aus

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte Ende 2022 angekündigt, im ersten Quartal dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorzulegen, "der den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet." Dann sei auch Schluss damit, "dass ein Promi-Arzt seinen Namen für Dutzende Praxen hergibt, in denen junge Ärzte Hamsterradmedizin mit unnützen Behandlungen in schlechter Qualität betreiben, um absurde Profitziele zu erreichen", führte Lauterbach damals an. Inzwischen ist das erste Quartal vorbei. Ein Gesetzentwurf aus Berlin liegt bis heute nicht vor. Man arbeite daran, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

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