Der Profibergsteiger Luis Stitzinger bei einer Mount-Everest-Expedition 2015 (Archivbild).
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Der Profibergsteiger Luis Stitzinger bei einer Mount-Everest-Expedition 2015 (Archivbild).

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Höhenbergsteiger stirbt in Nepal: Nachruf auf Luis Stitzinger

Der Ostallgäuer Bergführer Luis Stitzinger war einer der besten deutschen Höhenbergsteiger. Am Dienstag kam die Nachricht, dass ihn ein Sherpa-Team tot im Himalaya fand. Alpine Eitelkeit und Draufgängertum waren dem 54-Jährigen fremd. Ein Nachruf.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Luis Stitzinger war einer der besten deutschen Höhenbergsteiger und Extremskifahrer. Fünf Tage lang wurde er vermisst am Kangchendzönga, dem dritthöchsten Achttausender ganz im Osten von Nepal. Schlechtes Wetter und Neuschnee hatten die Suche nach ihm zunächst behindert. Seit Dienstagabend steht fest: Er lebt nicht mehr. Die genaue Todesursache ist noch unklar.

Egoistischer Ehrgeiz war Luis Stitzinger fremd

Alpine Eitelkeit und egoistischer Ehrgeiz waren Luis Stitzinger fremd, Draufgängertum am Berg erst recht. Der 54-jährige staatlich geprüfte Berg- und Skiführer und erfahrene Expeditionsleiter, aufgewachsen in Halblech im Ostallgäu, war seit seiner Kindheit mit dem Gebirge vertraut, galt als äußerst umsichtig und vorsichtig. Einer, der den Mut zur Umkehr immer dabeihatte, aber nie die Sucht, Rekorde zu brechen.

Von gravierenden Unfällen am Berg war er verschont geblieben, egal, ob allein an den höchsten Bergen der Welt unterwegs oder als Expeditionsleiter mit vielen Teilnehmern.

Geschockte alpine Community

Auch die alpine Community ist geschockt über den Tod von Luis Stitzinger am Kantsch, wie der Achttausender im Bergsteigerjargon genannt wird. Extremkletterer Stefan Glowacz trauert und betont, dass er selten einem "so liebenswerten und sympathischen Menschen" begegnet ist.

Auch die Garmischer Extrembergsteigerin und Leiterin der Himalayan Database in Kathmandu, Billi Bierling, hat ihn gut gekannt. Sie glaubt: "Der Kangchendzönga war wohl auch wirklich noch sein Traum. Das ist ein wunderschöner Berg und da wollte er immer hoch. Vielleicht war er da ein bisschen zu sehr getrieben, zu sehr fokussiert und hat nicht so richtig auf seinen Körper gehört."

Sportwissenschaftler mit präziser Selbsteinschätzung

Seinen Körper kannte Luis Stitzinger als studierter Sportwissenschaftler eigentlich gut. Seine Arbeit über Ess-Störungen im Sportklettern wurde übrigens mit Preisen ausgezeichnet. An präziser Selbsteinschätzung hat es Luis Stitzinger nie gemangelt, gerade auch bei Touren im Himalaya, wie er schon vor Jahren erzählt hat: "Ich weiß, dass ich mich am Anfang eher etwas langsam akklimatisiere, aber ich spritze mir nichts oder ich mache keine künstliche Vermehrung roter Blutkörperchen, die ich mir dann wieder einspritzen lasse."

Es war die absolute, aber immer reflektierte Leidenschaft für die Berge, die ihn antrieb. In zwei Jahrzehnten stand er auf neun Achttausendern, im Jahr 2000 auf dem Cho Oyu, zuletzt im Jahr 2019 auf dem Mount Everest, den er von der tibetischen Nordseite aus bestieg. Dazwischen lagen unzählige Unternehmungen für verschiedene renommierte Expeditionsveranstalter.

Überleben im Höhengewitter

2012 war er mit drei Freunden und seiner Ehefrau Alix von Melle, selbst eine erfolgreiche Höhenbergsteigerin, am Manaslu unterwegs, dem achthöchsten Berg der Erde. Und hatte Riesenglück: 180 Meter unterhalb des Gipfels musste die Gruppe umkehren, da sie von einem Höhengewitter und Whiteout überrascht wurde. Und davon haben Luis Stitzinger und Alix von Melle dann im Bayerischen Rundfunk berichtet. Der Berg habe "schon einen entsprechenden Ruf dafür", sagte er, "aber man ist da trotzdem nicht so drauf eingestellt und das ist dann natürlich schon dramatisch. Also ich habe die Ski hochkant auf dem Rucksack getragen und habe dann immer die statische Elektrizität in den Schultern gespürt, wie sie wahrscheinlich durch die Ski weitergeleitet worden ist und habe mich dann nur hingeworfen und in Schutz begeben." Quasi als "Blitzdetektor" habe er seine Ski genutzt.

Luis ging voran, das GPS in der Hand, hinter ihm die anderen Teilnehmer, darunter auch seine Frau Alix von Melle - Sie erinnerte sich: "Wir haben das nur gesehen und wie die Dominosteine haben wir uns auch alle umfallen lassen. Und das ganze wirklich so sechs, acht oder zehn Mal auf dem Abstieg eben von diesem weiten Gipfelplateau".

Bescheidener Erstbesteiger und Teamplayer

Von sieben Achttausendern ist Luis Stitzinger mit den Skiern abgefahren, die er wohlgemerkt auch selbst hinaufgetragen hat. Als erster Mensch wagte er die Abfahrt über die zentrale Diamirflanke am Nanga Parbat. 50 Grad Steilheit am Gasherbrum II waren für ihn, einen der weltweit besten "Big Mountain Skier", kein Problem. Ohne Ski gelang ihm in den chinesischen "Himmelsbergen" am Rande der Takla-Makan-Wüste die Erstbesteigung des gut 7.100 Meter hohen Kokodak Dome. Und doch blieb er auch danach bescheiden: "Natürlich ist es keine alltägliche Situation, dass man einen Berg erstbesteigen darf und dass es so etwas überhaupt noch gibt heutzutage. Bei der Gruppe sind alle Teilnehmer auf den Gipfel gekommen, was aber primär der Verdienst jedes Einzelnen natürlich selber war, weil man muss auf den Gipfel immer noch selber hinaufgehen und kann da nicht raufgetragen werden."

Keine Frage, Luis Stitzinger war ein alpiner Teamplayer. Einer, auf den man sich - nicht nur am Berg - immer verlassen konnte. Jetzt hat er uns verlassen. Viel zu früh.

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