Rauende und dampfende Erde: die Phlegräischen Felder westlich von Neapel.
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Rauende und dampfende Erde: die Phlegräischen Felder westlich von Neapel.

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Die Erde bebt: Wie gefährlich ist der Vulkanismus bei Neapel?

Die Region um den Vulkan Vesuv in Süditalien ist ein geologischer Unruheherd. Nun beobachten Seismologen besonders viel Bewegung und vulkanische Aktivität unter der Oberfläche einer Gegend namens Phlegräische Felder. Nimmt die Bedrohung wirklich zu?

Im Westen der italienischen Großstadt Neapel dampft und zischt es aus der Erde. Schon griechische Siedler gaben der Region vor mehr als 2.000 Jahren den Namen Phlegraía pedía – auf Deutsch: brennende Felder. Unter einer Fläche von rund 150 Quadratkilometern sitzt ein sogenannter Supervulkan, in dem Magma heiße Flüssigkeiten und Gase nach oben drücken. Bräche der Supervulkan aus, würden ganz Italien und Europa das zu spüren bekommen. Denn dann würde nicht nur eine riesige Aschewolke ganz Italien bedecken und viele Teile Europas, sondern da große Teile dieses Vulkans unter Wasser sind, würde es wohl auch eine riesige Tsunamiwelle geben.

Große Kräfte unter der Erdkruste

Die Kräfte, die drei Kilometer unter der Oberfläche arbeiten, haben das Städtchen Pozzuoli zuletzt rund einen Meter nach oben gedrückt, mit der Folge, dass es im Hafen für Bootsbesitzer schwer wird, ihre Boote an der Kaimauer festzumachen. Der Seismologe Nicola Alessandro Pino sieht darin ein Warnzeichen: "Das ist ein Zeichen dafür, wie hoch der Druck ist, wenn mehr als drei Kilometer Erdkruste um mehr als einen Meter angehoben werden." Immerhin hält er fest: "Wir haben die höchste jemals gemessene Erhebung. Wir liegen etwa zehn Zentimeter über der von 1984."  

1.000 Erdstöße pro Monat

Mehr als 1.000 Erdstöße pro Monat registrieren Seismologen in den Phlegräischen Feldern. Die meisten sind so schwach, dass die Anwohner sie nicht bemerken. Ende September aber sorgte ein Erdbeben, das mit 4,2 eine mittlere Stärke erreichte, für Unruhe. Seitdem wird nicht nur in Italien darüber diskutiert, ob ein neuer, großer Ausbruch bevorsteht.

Im Jahr 1538 entstand durch eine Eruption ein kompletter neuer Berg. Der Schaden in der damals - im Vergleich zu heute - dünn besiedelten Region war allerdings gering. Als Katastrophe, die in ganz Europa Schaden anrichtete, gilt eine Eruption vor rund 39.000 Jahren. Die gigantischen Mengen an Staub und Asche, die damals in die Atmosphäre geschleudert wurden, könnten nach Einschätzung von Wissenschaftlern zum Niedergang der Neandertaler beigetragen haben.

Meerestemperatur von 70 Grad Celsius

"Wir gehen gerade von der elastischen in die unelastische Phase über. Wenn ich einen Stock nehme und ihn verbiege, hat er zunächst eine elastische Phase, in der er sich verbirgt. Und wenn ich ihn dann loslasse, dann geht er zurück. Wenn ich ihn weiter biege, beginnt er zu knacken, ich höre Risse", verdeutlicht Seismologe Nicola Alessandro Pino.

Im Fall der Phlegräischen Felder wäre der knackende Ast die brechende Erdkruste. So geschehen im März 1970. Damals bebte die Erde und Häuser wurden beschädigt. Ortsansässige mussten evakuiert werden. Davor hatte sich der Boden um fast einen Meter gehoben, so wie jetzt. Stellenweise erwärmte sich das Meer auf über 70 Grad. Die Menschen waren in Sorge, Wissenschaftler aus aller Welt reisten an. Ähnliches geschah in den 1980er-Jahren. Der Druck entlud sich damals in Erdbeben. Dann sank die Erde wieder ab.

Die Katastrophe könnte kommen - oder auch nicht

Doch seit 20 Jahren steigt der Druck wieder. Der Stock ist also wieder gespannt, um es in den Worten von Seismologe Nicola Alessandro Pino zu sagen: "Das bedeutet, dass die Kruste mit größerer Wahrscheinlichkeit aufbricht. Das bedeutet nicht, dass wir unbedingt auf eine Eruption zusteuern, die zu einem katastrophalen Ereignis führt". Auszuschließen ist das aber auch nicht.

Ein denkbares Szenario wären kleinere Erdbeben, Gase könnten entweichen, der Druck könnte abnehmen, die Erde sich wieder setzen. Denkbar wäre aber auch die Katastrophe: Der Druck entlädt sich in einer gewaltigen Eruption. Ganz Neapel und die Region darum würden zerstört. Mehr als 100.000 Menschen wohnen hier.

Seit Jahren nicht mehr im grünen Bereich

Der Vulkanologe Maurizio di Vito, der mit Kollegen die Erdstöße in den Phlegräischen Feldern vermisst, warnt aber vor Panikmache: "Grundsätzlich ist die Lage seit elf Jahren unverändert, damals wurde die Alarmstufe Gelb ausgerufen. Es gibt Momente mit größeren Erschütterungen und auch Momente, in denen diese Aktivitäten wieder abnehmen."

Seit elf Jahren ist die Situation südlich von Neapel also nicht mehr im grünen Bereich – aber Anlass, von der Warnstufe gelb auf die nächsthöhere Stufe orange oder gar rot zu gehen, sieht der italienische Zivilschutz derzeit nicht. Die italienische Regierung hat allerdings neue Notfallpläne ausarbeiten lassen. Und der Bürgermeister von Pozzuoli, Luigi Manzano, versichert, Politik und Verwaltung hätten die Lage im Griff, denn der Notfallplan werde fortlaufend aktualisiert: "Wir überwachen alles und wir tun alles, was die Verwaltung tun kann - auch zusammen mit dem nationalen und regionalen Zivilschutz. Und vor allem versuchen wir, das Risiko zu verringern, indem wir mit dem Risiko in der Region richtig umgehen."

Gefährlich - aber schön

Doch was ist der richtige Umgang? Viele Anwohner der Phlegräischen Felder sehen es mit einer gewissen Gelassenheit, dass der Boden unter ihren Füßen in den vergangenen Monaten wieder öfter bebt und die gesamte Gegend von gewaltigen unterirdischen Kräften nach oben gedrückt wird. "Seit Menschengedenken ist hier in Pozzuoli kein Haus eingestürzt", sagt ein Anwohner, es gebe aber Schäden an den Gebäuden. Und eine Frau auf der Straße ergänzt: Sie lebe schon seit 70 Jahren hier und werde nicht weggehen. Denn Pozzuoli, der Hauptort der Phlegräischen Felder, sei einfach schön.

Mit dieser Botschaft geht auch der Tourismusbeauftragte der Stadt an die Öffentlichkeit. Fillipo Monaco schreibt auf seiner Facebook-Seite, es gebe keinen Grund, warum die derzeit große Zahl schwacher Erdbeben den Tourismus bremsen sollte. Der sogenannte Bradisismus könnte sogar eine Erfahrung sein, wirbt der Lokalpolitiker.

Und auch der Bürgermeister von Pozzuoli, Luigi Manzano, versichert, alles sei im Griff! An der Stelle, wo bei früheren Erdbeben viele Häuser zerstört wurden, baut die Stadt jetzt sogar ein neues Feriendorf mit Aussicht auf: "Die Sache ist: Wenn nachts die Erdstöße kommen, haben die Leute schon ein bisschen Angst. Aber das ganze Jahr und eigentlich immer leben wir damit."

Dieser Artikel ist erstmals am 22. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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