Die Rückseite eines ausgefüllten Organspendeausweises. Das Zustimmungsfeld ist angekreuzt (Archivbild)
Bildrechte: picture alliance/dpa | Marie Reichenbach

Die meisten Menschen in Deutschland haben eine positive Haltung gegenüber der Organspende. Doch nur eine Minderheit hat einen Organspendeausweis.

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Organspenden: "Widerspruchslösung" auch in Deutschland denkbar?

In vielen Ländern Europas gilt jeder Mensch als potenzieller Organspender - sei denn, er hat der Regelung ausdrücklich widersprochen. Dort, wo die sogenannte "Widerspruchslösung" gilt, werden mehr Organe gespendet. Was spricht dafür und was dagegen?

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

"Die Organspende in Deutschland steckt in einer Dauerkrise" heißt es auf der Webseite der Tagung "Organspende in Deutschland, Österreich und der Schweiz". Fachleute und Interessierte treffen sich am heutigen Freitag in Lindau.

Laut der Veranstalter belegt Deutschland einen der hintersten Plätze bei der Zahl an Organspendern im Vergleich zur Gesamtzahl der Einwohner.

In vielen Ländern ist die Organspende anders geregelt als in Deutschland: So gilt etwa in Spanien, Frankreich, Italien, Irland und Österreich die sogenannte "Widerspruchslösung": Danach ist jeder Mensch nach seinem Tod automatisch potenzieller Organspender, falls die oder der Betreffende dies nicht zu Lebzeiten aktiv ausgeschlossen hat.

In Deutschland gilt hingegen die Zustimmungslösung: Die oder der Verstorbene muss aktiv ihr oder sein Einverständnis erklärt haben, dass nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen. Deutschland hat deshalb eine niedrige Rate an Organspenden und ist auf Importe angewiesen: Im Jahr 2022 zum Beispiel stammten von den 358 in Deutschland transplantierten Herzen 46 Spenderherzen aus Ländern mit Widerspruchslösung.

Zahl der Organspenden wieder auf Vor-Corona-Niveau

Im Jahr 2022 war die Zahl der Organspenden in Deutschland nach Angaben der "Deutschen Stiftung Organtransplantation" (DSO) stark gesunken. Im vergangenen Jahr stieg sie wieder um elf Prozent und lag damit auf dem Niveau von vor der Corona-Pandemie. 965 Menschen hatten nach ihrem Tod ein Organ oder mehrere Organe gespendet, 126 davon in Bayern. Ihnen wurden insgesamt 2.877 Organe entnommen. Dazu zählten 1.488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen und 52 Bauchspeicheldrüsen.

In den deutschen Transplantationszentren wurden im vergangenen Jahr insgesamt 2.985 Organe von verstorbenen Spendern aus Deutschland und Ländern aus dem Verbund der internationalen Vermittlungsstelle "Eurotransplant" übertragen. Auf den Wartelisten für eine Transplantation stehen in Deutschland knapp 8.400 Menschen, rund 1.200 in Bayern.

Positive Haltung zur Organspende, aber deutlich weniger Organspendeausweise

Eine repräsentative Umfrage ergab 2022, dass 84 Prozent der Menschen in Deutschland eine positive Einstellung zum Thema Organspende haben. Aber nur rund die Hälfte von ihnen besitzt einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung, in der festgehalten ist, ob ihnen Organe entnommen werden dürfen oder nicht.

Befürworter der Widerspruchslösung hoffen, dass mit deren möglicher Einführung die Zahl der Organspenden steigt. Der letzte Versuch dazu scheiterte Anfang 2020 im Bundestag. Nun ist sie wieder in der Diskussion. Im vergangenen Dezember hatte der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, die Widerspruchslösung ins Transplantationsgesetz aufzunehmen.

Warum sich Fachleute für die Regelung aussprechen

Für die Regelung spricht sich auch der fachliche Leiter der Organspende-Tagung in Lindau und Direktor des Transplantationszentrums am Universitätsklinikum Augsburg, Matthias Anthuber, aus. Sie gelte in rund 20 europäischen Ländern und habe dort zu einem Paradigmenwechsel geführt: "Die Organspende ist die Regel, und nicht wie in Deutschland die Ausnahme".

Der Leiter des Transplantationszentrums am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Bruno Meiser, ergänzt im Gespräch mit BR24, dass auch bei der Widerspruchslösung die Angehörigen nach der Haltung des Verstorbenen zur Organspende gefragt werden: "Aber Sie fragen nicht mehr nach dem mutmaßlichen Willen, der nicht bekannt ist und der die Menschen völlig überfordert, sondern Sie fragen: 'Ihr Angehöriger hat zu Lebzeiten nicht widersprochen. Sie können also davon ausgehen, er war einverstanden. Sind Sie auch einverstanden?'"

Selbstbestimmung bleibt auch bei Widerspruchslösung erhalten

Als Argument gegen die Widerspruchslösung wird oft das Recht auf Selbstbestimmung herangezogen. Dieses Grundrecht sieht Josef Franz Lindner, Professor für Medizinrecht an der Universität Augsburg, aber gewahrt. Der Einzelne könne selbstbestimmt "Ja" oder "Nein" sagen. Er muss sich keine abschließende Meinung bilden, kann die Entscheidung verschieben und in das Organspende-Register ein "Nein" eintragen. Diese Regelung gilt beispielsweise in Österreich, wo Patienten durchschnittlich etwa zwei Jahre auf eine neue Niere warten. In Deutschland sind es neun Jahre.

Eine andere Möglichkeit, die Situation zu verbessern, hätten die Krankenhäuser, erklärt Eckhard Nagel, Professor für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth. In Krankenhäusern gebe es Transplantationsbeauftragte, doch sie verkörperten nur einen ersten Schritt. Ihnen fehlten die Möglichkeiten, ihre Kolleginnen und Kollegen auf den Intensivstationen fortzubilden. Andere Länder seien Deutschland auch in diesem Punkt voraus.

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