Getöteter Greifvogel
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Tatort Natur: Neue Greifvogel-Kripo in Bayern

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Tatort Natur: Neue Greifvogel-Kripo in Bayern

Im Frühjahr 2021 sind mit Carbofuran vergiftete Greifvögel in Niederbayern aufgefunden worden. Da dies immer wieder passiert, haben die Behörden reagiert und in Straubing eine neue "Greifvogel-Kripo" ins Leben gerufen.

Über dieses Thema berichtet: UNKRAUT am .

Viele Jahre engagierten sich der Landesbund für Vogelschutz (LBV) und die Gregor Louisoder Umweltstiftung, um das Augenmerk auf die Vergiftung von Greifvögeln zu lenken, eine Form von Umweltkriminalität, die kaum wahrgenommen wurde: Rund 100 Vergiftungsfälle wurden offiziell beim Landesamt für Umweltschutz in Augsburg in den letzten 25 Jahren registriert, in knapp 20 Fällen konnten Giftköder nachgewiesen werden. Aufklärungsquote: null.

Informationsplattform "Tatort Natur"

Dagegen haben die Naturschützer für ihre entwickelte Melde- und Informationsplattform "Tatort Natur" allein in den letzten zwei Jahren schon 75 gemeldete Fälle. Darunter gezielte Vergiftungen mit dem seit 2007 verbotenen Insektizid Carbofuran.

Noch vor dem Mäusebussard trifft es am häufigsten den in Bayern streng geschützten Rotmilan. Die Vergiftungen finden im Wesentlichen während der Brutzeit statt. Wenn aber der Brutpartner ausfällt, geht die ganze Brut verloren. Deswegen wird dieses Projekt mit Nachdruck betrieben, um Eingriffe in die Population streng geschützter Arten verhindern zu können, so Dr. Andreas von Lindeiner, Landesbeauftragter Naturschutz beim LBV.

Durchbruch bei Behörden und Polizei

Als "Citizen Science" Projekt hat "Tatort Natur" mit seiner Meldeplattform das Ziel, höchstmögliche Bekanntheit zu erlangen. Seit diesem Jahr hat der LBV den Auftrag vom Bayerischen Landesamtes für Umwelt, die Dokumentation von Fällen illegaler Großvögel-Vergiftungen zu erstellen. Ein großer Durchbruch, so müssen nun erstmals Fälle mit Verdacht auf Vergiftung als Straftat verfolgt werden.

Ein zweiter großer Erfolg: Anfang Juni bekommt das Polizei-Präsidium Niederbayern den Auftrag, eine "Greifvogel-Kripo" zu gründen und bis April 2021 einen Handlungsleitfaden für die bayerische Polizei zu erstellen. Ein entscheidender Schritt wird sein, so Werner Sika, Leitender Polizeidirektor des Polizei-Präsidiums Niederbayern, alle Polizeibeamten und -beamtinnen in Bayern zu sensibilisieren und Spezialwissen zu generieren, das dann in die bayerische Polizei hineintragen wird.

Die Initiative ist einmalig in Bayern: so eine enge Kooperation gab es noch nie. Ein Thema sind Hundestaffeln, um Giftspuren bis zum Täter zurückzuverfolgen, und eine prompte akribische Spurensicherung, wie bei einem Kriminalfall.

Giftköder: Wer tut so etwas?

"Raubzeug, Raubvogel, Beifang", solche Worte sprechen für Franziska Baur Bände. Sie zeugen von einer Zeit, als das Schädling-Nützling-Denken offizielle Doktrin war und die "Räuber" zur Förderung der "Nutzvögel" sogar offiziell bekämpft wurden. Franziska Baur, Projektmanagerin "Tatort Natur", bewegt vor allem, wie die Täter vorgehen. Die Objekte - zum Beispiel abgehackte Köpfe und Gliedmaßen - würden teilweise demonstrativ ausgelegt, auch in der Nähe von Naturschützern. "Da steckt teils dann schon ein bisschen Wahnsinn drin."

Generell geht es der gelernten Biologin vor allem um einen Bewusstseinswandel: zu einer friedlichen Koexistenz der Arten und dem Bewusstsein für illegale Vergehen an Wildvögeln. Sie möchte die Menschen sensibilisieren: für ein komplexes, ineinander verwobenes Ökosystem, das es zu bewahren gilt.

"Was mich am meisten aufregt, ist, dass wir an andere Länder große Erwartungen haben, dass sie ihre Tiere schützen, und selbst hier im eigenen Land unsere Tiere nicht vor solchen Gräueltaten schützen. Da sehen wir einen großen Verbesserungsbedarf. Im internationalen Vergleich hinkt Bayern wirklich hinterher, was die Ermittlungsverfahren betrifft." Franziska Baur, Projektmanagerin Tatort Natur

Zu wenig Geld für toxikologische und kriminalistische Untersuchung

Eine Spurensicherung bräuchte es wie bei einem humanen Kriminalfall. Wichtig: der unmittelbare Nachweis des Giftes im Tierkörper - sonst ist eine Verfolgung vor Gericht unmöglich. Es ist die Mission von Toxikologe Prof. Dr. Hermann Ammer hier mit dem LBV und der Polizei weiterzukommen.

Je mehr das Bewusstsein für rechtswidrige Vergiftungen wächst, desto mehr Proben von Wildvögeln werden am Institut für Veterinärpharmakologie in München eingereicht. Einerseits ist das ein Zeichen, dass sich die Dinge bewegen, andererseits kämpft Prof. Hermann Ammer allein auf weiter Flur. Das Labor ist nachgefragt wie nie, denn nur wenige in Europa können so gut Giftstoffe nachweisen. Zwischen 60 und 80 mutmaßlich vergiftete Wildvögel pro Jahr landen in der Toxikologie. Dass es noch keine eigenen Gelder gibt für diese kriminalistische Dienstleistung, kompensiert er mit Leidenschaft für die Sache. "Wer gibt schon 20.000 Euro für einen vergifteten Greifvogel aus?", meint er.

Die große Herausforderung, ist, Stoffe noch besser nachzuweisen, die extrem flüchtig und nur in geringfügigen Organproben enthalten sind. Seine Arbeit bedeutet immer Kratzen an der untersten Nachweisgrenze. Hierfür braucht es viel Fachverstand und findige Methoden, die verbessert werden wollen.

Die Vision des Toxikologen

Ammers Wunsch: mitzuwirken beim Aufbau eines europäischen Tatort Natur-Netzwerkes. Dafür aber braucht es mehr Ressourcen für seinen Traum vom professionelleren Labor. So wie in Andalusien, dort ist die Struktur ähnlich der bei menschlichen Mordfällen.

Davon ist Bayern noch weit entfernt, doch der Freistaat wacht langsam auf. Bis April 2022 will die Polizei einen Handlungsleitfaden und ein Konzept für bayerische Polizisten erstellt haben. Und auch der LBV plant weitere Kampagnen. Denn alle haben ein Ziel: mehr Zusammenarbeit, damit die Aufklärungsquote sich bald ändert.

Straftaten erkennen: Tipps und Handlungsempfehlungen

Für Spaziergänger: Liegt ein Tier an einer Stelle, wo es eigentlich nicht hingehört? Hat es möglicherweise tote Insekten am Schnabel, verkrampfte Fänge, das gesamte Bild ist irgendwie merkwürdig? Bei Vergiftungsverdacht steht Selbstschutz an oberster Stelle. Jeglicher Hautkontakt mit dem Köder oder Opfer muss vermieden werden - es besteht Lebensgefahr! Bitte die Polizei verständigen oder den Giftnotruf. Verletzte Tiere sind unverzüglich tierärztlich zu versorgen und artgerecht unterzubringen.

Gift - Umgehender Notruf an die 110

  • Verdächtige Köder: mit bläulichem Granulat/rosa Flüssigkeit präparierte Teile von Geflügel, Wild, Wurst, "Gifteier"
  • Mehrere Opfer, oft in Ködernähe
  • Nahrungsreste/Schleim/Blut an Schnabel/Maul
  • Verfärbung der Mundschleimhaut, chemischer Geruch
  • Verkrampfte Fänge oder Gliedmaßen
  • Tote Aaskäfer, Fliegen oder Maden am Kadaver

Weitere Informationen auf: www.tatort-natur.de/was-tun. Bei der Gregor Louisoder Umweltstiftung München und auf der Internetseite des LBV.

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