Symbolbild für Supraleitung: Stromleitungen führen zwischen Strommasten über Felder.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Viola Lopes

Strom will transportiert werden, hier mit Stromleitungen. Dabei gibt es immer Verluste. Supraleiter aber können verlustfrei Strom transportieren.

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Stromtransport ohne Verlust: Forscher entdecken neue Supraleiter

Supraleiter können Strom ohne elektrischen Widerstand leiten - bisher aber nur, wenn es sehr kalt ist. Nun haben US-Forscher ein Material präsentiert, das den verlustfreien Transport bei Raumtemperatur ermöglicht. Es wäre eine technische Revolution.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Supraleitende Materialien ermöglichen verlustfreien Stromtransport, da sie elektrischen Strom ohne jeglichen Widerstand leiten. Mithilfe von Supraleitern könnten Stromkabel tausende von Kilometern lang werden. Das ist relevanter denn je in Zeiten der erneuerbaren Energien, die nicht unbedingt dort erzeugt werden, wo sie gebraucht werden. Wir könnten Magnetschwebebahnen bauen, die hocheffizient auf Supraleitern durch die Landschaft gleiten, oder unsere bildgebenden Verfahren in der Medizin mit Magnetresonanztomographen (MRT) verbessern. Seit Jahrzehnten suchen Forscherteams auf der ganzen Welt nach einem perfekten Material für Supraleiter, das auch bei Raumtemperatur und ohne teure Kühlverfahren funktioniert. Nun will einem US-Forscherteam genau das gelungen sein: Im Fachmagazin "Nature" stellt es ein Material vor, das auch noch bei knapp 21 Grad Celsius elektrischen Strom ohne Widerstand leiten kann.

"Das ist ein absoluter Durchbruch – wenn das Ergebnis wirklich echt ist", sagt Toni Helm vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, der nicht an der Studie beteiligt war.

Ist die jahrzehntelange Suche zu Ende?

Supraleiter gibt es bereits, tatsächlich wurden sie schon vor mehr als 100 Jahren entdeckt. Der Haken bei Supraleitern ist bislang aber, dass sie nur bei extrem tiefen Temperaturen funktionieren. So können zahlreiche Materialien zu einem Supraleiter gemacht werden, wenn man sie bis knapp über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius herunterkühlt.

Zwar gibt es seit den 1980er-Jahren sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter. Aber auch diese auf Kupferverbindungen basierenden Materialien mögen es kalt, auf bis zu 196 Grad Celsius müssen sie gekühlt werden, beispielsweise mit flüssigem Stickstoff. Trotz dieser Hürde gibt es mehrere Versuche, derartige Hochtemperatur-Supraleiter als Stromkabel zu verwenden: Das Projekt "AmpaCity" verlegte bereits 2014 ein derartiges Kabel in Essen. Und die Stadtwerke München loten seit 2020 mit dem Projekt "SuperLink" den Bau des weltweit längsten Supraleiter-Stromkabels aus: zwölf Kilometer lang soll es werden. Die Tatsache, dass beim Stromtransport keine teuren Energieverluste entstehen, würden den Aufwand und die Kosten durch die Kühlung wieder wettmachen.

Neuer Supraleiter besteht aus Lutetium, Wasserstoff und Stickstoff

Das Team um Ranga Dias von der University of Rochester hat nun ein supraleitendes Material vorgestellt, das auch bei angenehmen Zimmertemperaturen funktioniert: Es ist ein Gemisch aus einem Metall der Seltenen Erden namens Lutetium, Wasserstoff und Stickstoff. Erst mischt man das Material zusammen – und dann drückt man sehr fest zu, indem man es in eine Diamantpresse steckt. Derartige Verbindungen aus zwei Elementen plus Wasserstoff werden schon länger von Forscherteams auf der ganzen Welt als potenzielle Supraleiter erforscht: Sie sollen auch noch bei hohen Temperaturen supraleitend sein, brauchen dafür aber extrem hohen Druck von bis zu zwei Megabar.

Im Fachartikel beschreibt das Team um Dias nun, dass ihr neues Material bei einem Druck von 10 Kilobar und einer Temperatur von 20,85 Grad Celsius supraleitend wurde, das heißt, keinerlei elektrischen Widerstand mehr gezeigt hat. Nun entspricht ein Druck von 10 Kilobar immer noch dem 10.000-fachen des atmosphärischen Drucks und ist nicht im Alltag anzutreffen. "Aber es ist ein Druck-Bereich, in dem man relativ einfach gute Experimente machen kann", sagt Toni Helm. Noch nicht einmal eine Diamantpresse – über die nur wenige Forscherteams auf der Welt verfügen – würde man dazu brauchen. Toni Helm sagt: "Dann können wir wirklich über technische Anwendungen nachdenken."

Studie wurde 2020 zurückgezogen

Aber ist dieses Forschungsergebnis wirklich echt? Denn schon im Jahr 2020 hatte die Forschergruppe um den Physiker Ranga Dias ein ähnlich spektakuläres Ergebnis verkündet: Damals wollte sie supraleitende Eigenschaften bei einem Materialgemisch aus Wasserstoff, Kohlenstoff und Schwefel nachgewiesen haben, bei einer Temperatur von 15 Grad Celsius und einem Druck, der dem 2,6-millionenfachen Atmosphärendruck entspricht. Die Nachricht ging um die Welt, die Entdeckung wurde als Durchbruch gefeiert.

Im Jahr 2022 hat das Fachjournal "Nature" diese Studie trotz Protest aller beteiligten Autoren zurückgezogen: Es gab Hinweise, dass die Forschenden die Darstellung einer ihrer Messungen aufgehübscht hatten, die die supraleitenden Eigenschaften belegen sollten. Das heißt: Das Ergebnis wird nicht als echt betrachtet. Erschwerend kommt hinzu, dass es seitdem keiner anderen Forschergruppe gelungen ist, das Experiment erfolgreich zu wiederholen.

Nun also veröffentlichen die Forscher ein noch spektakuläreres Ergebnis als im Jahr 2020, untermauert durch einen aufwendigen Überprüfungsprozess durch Fachkolleginnen und -kollegen und mit noch mehr Messungen, die die Echtheit ihrer Ergebnisse belegen soll. Dazu kommt: Es genügt nicht, bei einem angeblichen Supraleiter nur nachzuweisen, dass sein elektrischer Widerstand Null ist. Ein Supraleiter hat die Eigenschaft, Magnetfelder aus seinem Inneren zu verdrängen - so würde auch eine supraleitende Magnetschwebebahn funktionieren, die dann reibungslos dahingleitet. Und gerade hier sind die Ergebnisse im neuen Fachartikel nicht eindeutig.

Neues Supraleiter-Material: Wunder oder Wunschdenken?

Somit ist die schlechte Nachricht: Sollte sich dieser Fund nicht unabhängig bestätigen, geht die Suche nach einem Supraleiter bei Raumtemperatur mal wieder in die nächste Runde.

Die gute Nachricht: "Theoretisch könnte das jeder nachmachen und damit auch den eindeutigen Nachweis der Supraleitung erbringen", sagt Toni Helm. Der Fachartikel lasse zumindest darauf schließen, dass das angeblich supraleitende Material weder besonders schwierig herzustellen sei noch die experimentellen Bedingungen besonders exotisch seien. Toni Helm geht davon aus, dass Forscherteams auf der ganzen Welt sich auf dieses Ergebnis stürzen werden, um das Experiment zu wiederholen. Sollte es wirklich echt sein, "dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es eine andere Gruppe reproduziert", so Helm.

Erst dann könnte ein wissenschaftlicher Durchbruch gefeiert werden – und der jahrzehntelange Traum von einem Supraleiter bei Raumtemperatur mit technischem Anwendungspotenzial würde in Erfüllung gehen können.

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