Der Musikwissenschaftler Adje Both spielt auf einer Nachbildung einer Flöte aus Geierflügelknochen, die im Original 38.000 Jahre alt ist.
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Eiszeitliche Instrumente zählen zu den ältesten künstlerischen Zeugnissen der Menschheit.

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Prähistorische Instrumente: So klingt der Sound der Steinzeit

Die eiszeitlichen Instrumente, die Archäologen in den Höhlen der Schwäbischen Alb gefunden haben, waren ein Sensationsfund. Doch wie haben sie geklungen? Und wann wurden sie gespielt? Forscher haben das ausprobiert.

Über dieses Thema berichtet: Radiowissen am .

Wie klingt eine eiszeitliche Flöte aus einem Knochen eines Schwans? Wie die aus einem Gänsegeierknochen oder aus Mammutelfenbein? Diese prähistorischen Musikinstrumente sind zwischen 30.000 und 40.000 Jahre alt und wurden auf der Schwäbischen Alb im Lonetal gefunden. Sie sind die bisher ältesten bekannten Kunstwerke des Menschen.

Steinzeitliche Instrumente aus Knochen

Auf ihnen spielen kann man heute nicht mehr, zu wertvoll sind die Fundstücke, die nur so groß wie ein Kugelschreiber sind. Doch Musiker haben sie mittlerweile nachgebaut und ausprobiert:

"Bei keiner dieser Flöten hat man ein Mundstück gefunden. Bei der ältesten Flöte aus dem Gänsegeierknochen könnte man ein Mundstück vermuten, aber das ist sehr schwierig anzuspielen. Von daher könnte es auch sein, dass da noch ein Rohrblatt drauf war. So richtig genau weiß man es nicht. Und diese Elfenbeinflöte kann ich auch als Kerbflöte spielen oder als Schrägflöte, es gibt verschiedene Möglichkeiten." Gabriele Dalferth, Musikerin

Ideales Tal für Steinzeitmenschen

Das Lonetal ist ein idyllisches Tal, in der letzten Eiszeit erstreckte sich hier eine Tundra, wie man sie aus Lappland kennt. Alpengletscher reichten bis an die rund 20 Kilometer entfernte Donau heran. Die Täler der Alb dienten als Wanderkorridore für große Tierherden: Wildpferde, Steppenbisons, Rentiere, Mammute. Hier lebten auch große Raubtiere, Löwen, Hyänen und Wölfe. Für den Menschen, Homo sapiens, war das Lonetal am Ende der Eiszeit offensichtlich ein lohnendes Gebiet, auch, weil hier zahlreiche Höhlen sind, die sich als Wohnstätte geeignet haben. Zum Beispiel die Vogelherdhöhle bei Günzburg:

"Hier befinden wir uns am Originalschauplatz, wo vor vierzigtausend Jahren die ersten figürlichen Kunstwerke der Menschheit geschaffen wurden." Patricial Däubler, Leiterin Archäopark Vogelherd

In der Höhle wurden ein Mammut und ein Höhlenlöwe gefunden, jeweils aus Mammutelfenbein. In der Nähe, in der Hohle-Fels-Höhle bei Blaubeuren, wurde die berühmte Venus gefunden, die 35.000 - 40.000 Jahre alt und bislang die älteste menschliche Darstellung weltweit ist.

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Eiszeitliche Frauenfigur "Venus vom Hohen Fels", aus Mammutelfenbein.

Zersplitterte Flöten aus der Eiszeit

Figürliche Darstellungen aus der Steinzeit sind für Archäologen etwas ganz Besonderes, doch die Funde der Instrumente sind noch seltener. 2017 wurden sechs Fundstätten der Schwäbischen Alb in die UNESCO-Liste des Welterbes aufgenommen, der Fund der Flöten dürfte dabei den Ausschlag gegeben haben. Insgesamt wurden dort acht Flöten gefunden, vier aus Vogelknochen, vier aus Elfenbein. Meistens waren sie in zahlreiche Fragmente zersplittert und mussten wieder zusammengesetzt werden.

Auch diese Fundstücke sind um die 40.000 Jahre alt und damit etwa doppelt so alt und besser bestimmbar als die bis dahin schon bekannten Funde. Was genau auf ihnen gespielt wurde und zu welchen Anlässen, darüber lässt sich nur spekulieren. Dass der Fundort jeweils innerhalb der Höhlen war, könnte aber ein Hinweis sein. Die Flöten sind nicht sehr laut, aber wenn man die Akustik der Felswände nutzt, kommt der Klang zur Geltung.

"Diese Flöten zu spielen erfordert schon viel Übung, weil diese Durchmesser sehr klein sind. Es gibt immer verschiedene Öffnungen, man muss jede Flöte individuell anspielen. Wer diese Flöten gespielt hat, der musste sich intensiv damit auseinandersetzen. Dann konnte er richtig schöne Töne damit erzeugen." Gabriele Dalferth, Musikerin

Eiszeitliches Orchester musiziert

Doch Flöten waren sicherlich nicht die einzigen Musikinstrumente, die die prähistorischen Menschen benutzt haben. Man kann mit allerlei anderen Gegenständen aus dieser Zeit Musik machen: Feuersteine aneinanderreiben oder klopfen, aus einem Schneckenhaus eine Rassel und aus einem Rentier-Geweih einen Trommelschlegel bauen. Es gibt Schwirrhölzer, die Töne von sich geben, wenn man sie schnell schwingt wie ein Lasso.

"Wir haben keine Schriftquellen. Wir haben nur diese Objekte. Wir haben auch keine Bildquellen: Es gibt keine Wandmalereien, auf denen man solch eine Rassel in der Hand eines Menschen sieht und sofort sehen könnte, in welchen Zeremonien die Rasseln gespielt worden sind. Das wissen wir alles nicht. Wir kennen den Fundort und vielleicht noch die Form der Rassel, den Klang der Rassel. Alles Weitere ist dann im Grunde genommen schon Spekulation." Dr. Adje Both, Musikwissenschaftler

Sprache und Musik gehören zusammen

Was man allerdings weiß: Die frühen Menschen erweisen sich aufgrund der neuen Funde als weiterentwickelt und komplexer strukturiert, als man es ihnen bis dahin zugetraut hat. Auch Höhlenmalereien sind Hinweise darauf. Ein Instrument lernt man nicht einfach so, man benötigt auch viel Übung und Geschick, um aus einem dünnen Schwanenknochen eine Flöte zu schnitzen - und wahrscheinlich gehört zu all dem auch schon Sprache und Gesang.

"Der Gesang hinterlässt überhaupt gar keine Spuren, es gibt keine Aufnahmen, es gibt keine Darstellungen. Also eine sehr spannende Frage, aber sehr schwer zu beantworten: Seit wann gibt es Gesang?" Dr. Adje Both, Musikwissenschaftler

Auch hier könnten Höhlen den Musikarchäologen Hinweise geben, zum Beispiel: Haben sie gut geklungen? Und:

"Es gibt eigentlich kaum Kulturen, die überhaupt gar keine Musik kennen, oder überhaupt gar nicht singen – das gibt’s eigentlich nicht. Sondern es scheint tatsächlich ein Merkmal des Menschseins zu sein: Der Mensch musiziert." Dr. Adje Both, Musikwissenschaftler

Die Musik der frühen Menschen muss nicht zwangsläufig grob und primitiv gewesen sein. Das zeigt zum Beispiel eine der ältesten noch bestehenden Musikkulturen der Welt: die der Pygmäen aus dem zentralafrikanischen Regenwald. Schon vor 5.000 Jahren traten sie als "Tänzer der Götter" vor Ägyptens Pharaonen auf, mit polyphonen und komplexen Gesängen, die in Europa so erst im 15. Jahrhundert aufgetaucht sind.

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Auch mit nachgebauten Flöten aus Vogelknochen kann man Musik machen, im Vordergrund: prähistorisches Original aus Mammutelfenbein.