Operationssaal im Transplantationszentrum eines deutschen Universitätsklinikums
Bildrechte: picture alliance/dpa | Waltraud Grubitzsch

2020 wurden in Deutschland 1909 Nieren transplantiert, doch es gab 7 338 Patienten auf der Warteliste für eine Nierentransplantation.

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Organspende vom Schwein: Was kann Xenotransplantation?

New Yorker Mediziner haben eine Schweineniere 54 Stunden mit einer hirntoten Frau verbunden. Die Niere habe "normal" gearbeitet, hieß es. Doch bis Tierorgane für Transplantationen beim Menschen Verwendung finden, sind noch viele Fragen zu klären.

Die Reaktionen der Fachwelt waren gemischt: Während manche Transplantationsmediziner überschwänglich von einem "wichtigen Fortschritt" sprachen, hielten andere den Eingriff, der bereits im September in einem Operationssaal im NYU Langone Health der New York Universität durchgeführt wurde, eher für einen Werbegag. Was war geschehen?

Schweineniere an Tote transplantiert

Ein Operationsteam unter der Leitung des Transplantationsmediziners Robert Montgomery hatte eine Schweineniere für 54 Stunden mit dem Blutkreislauf einer hirntoten Frau verbunden. Die Angehörigen der Toten hatte dazu ihr Einverständnis gegeben. Ziel des Experiments sei gewesen zu beweisen, dass die gentechnisch veränderte Schweineniere keine unmittelbare Immunattacke auslöse, hieß es von Seiten der beteiligten Mediziner. Das Organ war außerhalb des Körpers über eine Beinvene der Hirntoten angeschlossen worden, um es beobachten und regelmäßig Proben nehmen zu können.

Ein weiterer Schritt auf dem Gebiet der Xenotransplantation

Bekannt wurde der Eingriff durch eine Reportage der Zeitung "USA Today" sowie eine Einordnung der "New York Times". Eine wissenschaftliche Publikation oder klinische Studie mit nachvollziehbarem Datenmaterial liegt zu den Ergebnissen des Experiments noch nicht vor. Nach Angaben von Robert Montgomery, dem Leiter des Transplant Institute am Langone Health, habe die Schweineniere "fast sofort" angefangen zu arbeiten und Urin produziert.

Das ist insofern bemerkenswert, als bei menschlichen Spendernieren dies manchmal erst viel später einsetze, sagt Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie an der Freien Universität Berlin. Der Wissenschaftler sprach von einem "weiteren Schritt" auf dem Gebiet der Xenotransplantation, also der Übertragung von Zellen oder Organen von einer Spezies auf eine andere. Er machte aber auch klar, dass 54 Stunden zu kurz seien, "um Aussagen zur immunologischen Abstoßung oder zur möglichen Übertragung von Schweineviren zu treffen".

Experiment wurde aus Sicht von Wissenschaftler zu früh beendet

Dass die "hyperakute Abstoßungsreaktion" klar überwunden wurde, das ist auch für Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der Technische Universität München (TUM), offensichtlich. Allerdings sei dies zu erwarten gewesen, "da notwendige Modifikationen in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr ausführlich beschrieben wurden", so der TUM-Forscher. Viel interessanter sei jedoch, ob im weiteren Verlauf – nach Tagen oder Wochen – weitere Abstoßungsreaktionen auftreten würden. "Leider wurde der Versuch zu früh beendet, um Aussagen hierüber treffen zu können. Die heutige Herausforderung besteht gerade darin, auch diese Abstoßungsreaktionen zu überwinden und ein langzeitiges Überleben der Transplantate im Körper der Empfänger zu gewährleisten."

Genveränderte Schweine in den USA behördlich zugelassen

Die aufsehenerregende Xenotransplantation könnte die Hoffnung für viele Menschen nähren, die auf Spenderorgane angewiesen sind. Wissenschaftler versuchen seit geraumer Zeit, Organe in Schweinen zu züchten, die für Menschen nutzbar sind - neben Nieren auch Herzen oder Lungen. Im Dezember hatte die US-Zulassungsbehörde FDA die Genveränderung in einer Schweineherde für den menschlichen Verzehr und die Medizin zugelassen. Gezüchtet hatte die Schweine die US-Firma Revivicor. Den Schweinen fehlt ein Gen, das die Produktion des Zuckers Alpha-Gal steuert, der einen unmittelbaren Angriff des menschlichen Immunsystems auslöst. Die Niere eines solchen gentechnisch veränderten Revivicor-Schweins war nun bei dem New Yorker Eingriff zum Einsatz gekommen. Die FDA hatte bei der Zulassung der genveränderten Schweine allerdings auch mitgeteilt, dass mehr Dokumente nötig seien, bevor Transplantationen von Schweineorganen zu lebenden Menschen bewilligt werden könnten.

Gefahr durch Virusübertragung bei Xenotransplantationen

Während die akute Abstoßung artfremder Organe durch gentechnische Veränderungen sich also inzwischen verhindern lässt, sind andere Gefahren der Organspende durch Tiere derzeit noch nicht gebannt. Fachleute wie der Immunologe Joachim Denner verweisen auf das Risiko, Empfänger von Schweineorganen durch eine Transplantation mit Schweine-Retroviren zu infizieren. Auch hier versuchen allerdings bereits einige Biotechfirmen virenfreie Laborschweine zu züchten, deren Organe dann als Transplantate infrage kommen.

Grundlagen für erste klinische Anwendungen existieren bereits

Führende Wissenschaftler wie der Xenotransplantationsexperte David Cooper von der University of Alabama in Birmingham, USA, sind der Meinung, dass schon jetzt die Grundlagen für erste klinische Anwendungen gelegt sind. „Im Bereich der Xenotransplantation waren die Entwicklungen atemberaubend und wir stehen kurz vor einer klinischen Anwendung beim Menschen“, meint auch der TUM-Biotechnologe Konrad Fischer und verweist auf aktuelle Studien zu Experimenten mit Menschenaffen.

Ethische Bedenken bei artfremder Organtransplantation

Bleibt die Frage nach der ethischen Dimension von artfremder Organtransplantation. Während Herzklappen von Schweinen bereits seit Jahrzehnten erfolgreich beim Menschen eingesetzt werden, scheint es für viele fraglich, ob Schweine nur für den Zweck der Organtransplantation gezüchtet werden sollten. Das könne sich dann ändern, wenn Bedenken hinsichtlich des Tierschutzes ausgeräumt werden könnten, meint Karen Maschke, Forscherin bei der US-amerikanischen Denkfabrik „The Hastings Center“, die ethische Leitlinien und Politikempfehlungen für erste klinische Studien in den USA entwickelt.

Sollen wir tun, was wir können?

Auch Bruno Reichart, der als Herzchirurg 1981 die erste Herztransplantation in Deutschland durchführte, und heute als Co-Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereichs Xenotransplantation fungiert, warnt in der Süddeutschen Zeitung vor Aktionismus: „Xenotransplantation kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft dahintersteht.“

Seit dem 17. Jahrhundert, als mit Tiertransfusionen experimentiert wurde, hoffen Mediziner menschliches Leid durch Transplantationen von Tier zu Mensch zu lindern. Sollte dies in näherer Zukunft tatsächlich möglich sein, bleibt noch die Frage, die die Bioethikerin Karen Maschke auf den Punkt bringt: „Sollten wir das tun, nur weil wir es können?“

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