Lehrkräfte sind derzeit Mangelware. Um den Beruf attraktiver zu machen, muss auch die Ausbildung reformiert werden.
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Lehrkräfte sind derzeit Mangelware. Um den Beruf attraktiver zu machen, muss auch die Ausbildung reformiert werden.

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Lehrkräftemangel: Hilft eine Reform der Lehrerausbildung?

An Bayerns Schulen fehlt Lehrpersonal, was Lehrkräfte wie Schüler gleichermaßen belastet. Damit mehr junge Menschen sich für den Lehrerberuf entscheiden, muss die Ausbildung reformiert werden, sagen Experten. Doch bis dahin ist es ein langer Weg.

Über dieses Thema berichtet: Das Campusmagazin am .

Die Ausbildung der Lehrkräfte in Bayern steht in vielerlei Hinsicht in der Kritik. Viele Lehramtsstudierende bemängeln, dass die ersten Studienjahre zu theorielastig und fachspezifisch seien. "Insgesamt ist das Lehramtsstudium realitätsfern", sagt Lena Schäffer, Vorsitzende der Studierenden im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes e.V. (BLLV). Im Referendariat würden die angehenden Studierenden dann plötzlich mit dem harten Schulalltag konfrontiert.

Studium zu fachwissenschaftlich

Auch Stefan Seitz, zuständig für die Lehrerausbildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, kann sofort benennen, was er am Lehramtsstudium ändern würde. Er findet vor allem die starke Fachwissenschaftlichkeit kritikwürdig, die in den Lehramts-Studiengängen in Bayern dominant sei: "Beispielsweise lernen die Studierenden im Fach Deutsch - egal für welche Schulart - sehr viel über das Mittelhochdeutsche", sagt Seitz.

Und wer Religion für das Grund- und Mittelschul-Lehramt studiere, beschäftige sich mit Bibelexegese. "Das mag zwar für die eigene Bildung sehr wertvoll sein, aber mit der Unterrichtsrealität in den jeweiligen Schularten hat das so gut wie nichts zu tun."

Praktika geben zu wenig Einblicke

Stefan Seitz ist an der Universität Eichstätt-Ingolstadt für den Praxisbezug im Lehramtsstudium zuständig. Die Praktika sind die ersten Kontakte der angehenden Lehrkräfte mit dem Schulalltag, lange vor dem Referendariat. Frühe Praxisvermittlung klingt an sich sinnvoll, aber auch hier hakt es, sagt der Leiter des Praktikumsamtes. "Da geht’s leider vielfach mehr darum, dass man seine Stunden absolviert, das wird wie auf einer Checkliste abgehakt", sagt Stefan Seitz. Dabei sollten eigene Unterrichtsversuche gemacht werden, aber das richtige Lehrerleben erlebten die Studierenden im Praktikum viel zu wenig, sagt der Experte.

Seitz versucht, zumindest den Kontakt zu allen Schulen zu halten, an denen seine Studierenden Praktika machen. In Eichstätt und Ingolstadt könne man sich das leisten, weil man eine kleine Uni sei – die Studentenzahlen sind übersichtlich. An den "Massenunis" sei das nicht möglich. Von einer intensiven Betreuung der Lehrerpraktikanten an den sowieso schon unterbesetzten Schulen ganz zu schweigen.

Lehramtsstudierende besser integrieren

Aber nicht nur bei der Praxisrelevanz gibt es Verbesserungsbedarf. Am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg haben Wissenschaftler Lehramtsstudierende zu deren Zufriedenheit befragt. Die Leiterin des Instituts, Cordula Artelt, sieht dabei vor allem Probleme darin, wie die Studentinnen und Studenten der Lehrämter in den Wissenschaftsbetrieb integriert sind. "Als Lehramtsstudent ist man in verschiedenen Fächern an verschiedenen Fakultäten unterwegs. Es gibt nicht so eine klare Heimat, wie es bei jemandem ist, der einen Master macht in Physik oder Mathematik oder Psychologie."

Dabei geht es Cordula Artelt vor allem darum, wie gut die Studierenden sozial und organisatorisch an der Universität integriert sind. Das habe zwar nicht direkt etwas mit der Lehrerausbildung zu tun, könne aber das Zünglein an der Waage sein, wenn sich ein Student oder eine Studentin zum Abbruch des Studiums entschließt. Zwar ist die Abbrecherquote bei Lehramtsstudierenden nicht besonders hoch. Doch jeder einzelne Studienabbrecher fehlt später als Lehrkraft an den Schulen.

Tatsächlich gibt es hier bereits Lösungsansätze, wie Schools of Education und Lehrerbildungszentren, die an bayerischen Unis eingerichtet sind. "Hier beschäftigen sich Personen explizit mit der Lehrkräfteausbildung, beispielsweise wie Prüfungsordnungen aufeinander abgeglichen sind", erklärt Cordula Artelt.

Expertenkommission erarbeitet Reformvorschläge

Die bayerische Staatsregierung hat einige Probleme der Lehrerausbildung bereits erkannt - vermutlich auch, weil der Lehrermangel inzwischen so groß ist, dass dringend etwas passieren muss. Im Koalitionsvertrag sind einige allgemein gehaltene Vorschläge enthalten. Eine Expertenkommission, in der auch die Bamberger Bildungsforscherin Artelt sitzt, erarbeitet zudem seit vergangenem Sommer konkrete Reformideen.

Welche Fortschritte die Expertenkommission zur Lehrerbildung macht, ist allerdings derzeit nicht zu erfahren. Die Mitglieder, Vertreterinnen und Vertreter der Lehrerverbände, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Lehrerbildung an den bayerischen Universitäten und ein Mitglied der bayerischen Landesstudierendenvertretung, haben sich strikte Verschwiegenheit auferlegt – offiziell, damit sie unvoreingenommen und unabhängig diskutieren können.

Stefan Seitz von der Universität Eichstätt-Ingolstadt zeigt dafür nur begrenztes Verständnis: "Ich weiß nicht, ob man damit versucht, die Öffentlichkeit zunächst einfach außen vorzuhalten, damit aus der Gesellschaft nicht bestimmte Ansprüche gestellt werden. Auf der anderen Seite: Wenn ein Startschuss gegeben ist und dann hört man nichts mehr, ist es natürlich etwas ungünstig, weil die Neugier umso mehr wächst."

Vom Ausland lernen

Helfen könnte den Kommissionsmitgliedern der Blick ins Ausland. In manchen Ländern läuft einiges besser, darauf haben die jüngsten Ergebnisse der PISA-Bildungsstudie wieder hingewiesen. Der Lehrer und Redakteur beim Deutschen Schulportal, Alexander Brand aus Hamburg, hat sich die Lehrerausbildung in verschiedenen Ländern angeschaut. Gerade beim Referendariat, also dann, wenn die angehenden Lehrer erstmals länger die Uni verlassen und ganz eigenständig unterrichten, sieht er noch Luft nach oben. "Wir haben in Deutschland das Referendariat, wo man ein bisschen zum Einzelkämpfer erzogen wird", sagt Alexander Brand.

In Finnland sei das Referendariat hingegen im Studium integriert und dort würden Praxisphasen im Team absolviert. "Das heißt, ein Tandem aus angehenden Lehrkräften hält gemeinsam Unterricht, plant gemeinsam Unterricht, besucht sich gegenseitig im Unterricht und spricht über Unterricht."

Vorbilder auch in anderen Bundesländern

Auch Seitz ist dafür, sich an guten Beispielen zu orientieren. Und dafür müsse man nicht einmal ins Ausland gehen: "Es gibt nördliche Bundesländer, die haben sogenannte Praxissemester oder verlängerte Praxisphasen während des Lehramtsstudiums", sagt Seitz. Dort könne man viel tiefer in die Welt einer Lehrkraft eintauchen, als es derzeit während der Praktika in Bayern möglich sei. Und auch wenn die Lehrerausbildung grundsätzlich in den einzelnen Bundesländern schwer vergleichbar sei, so könne man doch sehr wohl voneinander lernen, sagt Seitz.

Ob die Kommission Ideen zur Lehrerbildung wie jene aus Finnland aufgreift, wird sich wohl im Laufe des Jahres zeigen. Was die Staatsregierung davon aufgreift, wird man danach sehen. Und wie sich das Ganze mit der derzeitigen Personalnot an den Schulen umsetzen lässt, das bleibt eine spannende Frage.

Im Video: Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) will den Lehrerberuf wieder attraktiver gestalten

Drei Frauen in gelber Jeansjacke.
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In Bayern fehlen rund 4.000 Lehrkräfte. Lehramtsstudierende sehen das Problem in der mangelhaften Ausbildung.

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