Grippeimpfung für Kinder hat nur 30 Prozent Wirksamkeit. Trotzdem empfehlen viele Kinderärzte die Impfung.
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Eine Grippeimpfung für Kinder hat nur 30 Prozent Wirksamkeit. Trotzdem empfehlen viele Kinderärzte die Impfung.

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Grippeimpfung für Kinder: besser als ihr Ruf

Über Weihnachten hatte jedes sechste Kind unter 14 Jahren eine akute Atemwegserkrankung. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte spricht sich für Grippeimpfungen für alle Kinder aus, obwohl ihre Wirksamkeit bei Kindern bei nur 30 Prozent liegt.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Im aktuellen Wochenbericht des Robert Koch-Instituts heißt es, dass derzeit vor allem Kinder im Schulalter und junge Erwachsene von der Grippe betroffen seien. Von Oktober bis Jahresende 2023 wurden rund 16.600 Fälle gemeldet. Für viele Eltern stellt sich daher die Frage, soll man seine Kinder impfen lassen oder nicht. Die Positionen:

Stiko empfiehlt keine Impfung für gesunde Kinder

Die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts vertritt zur Grippeimpfung eine differenzierte Haltung: Sie rät Menschen ab 60 Jahren, Schwangeren sowie Kindern ab sechs Monaten und Erwachsenen mit bestimmten Vorerkrankungen zu einer Grippeimpfung. Außerdem gesunden Menschen, die durch ihren Beruf ein höheres Risiko haben, sich zu infizieren, wie zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte oder Pflegekräfte. Von Kita- oder Schulkindern ist allerdings nicht die Rede, obwohl sie in ihren Einrichtungen eng zusammenkommen und damit auch einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) wünscht sich auch für Kinder ohne Vorerkrankungen eine Impfempfehlung der Stiko. Denn: Auch gesunde Kinder können unter einer Grippeinfektion leiden. Vorstandsmitglied Jakob Maske, der in Berlin selbst als Kinder- und Jugendarzt arbeitet: "Wir sehen eben auch jedes Jahr sehr schwer kranke Kinder, auch Kinder, die an der Grippe sterben. Das versuchen wir natürlich zu vermeiden, und da ist die Impfung eben doch sehr hilfreich." Dieser Meinung ist auch der Münchner Infektiologe am Haunerschen Kinderspital, Johannes Hübner: "In den meisten Fällen sind es keine lebensbedrohlichen Infektionen bei Kindern. Aber wir sehen immer wieder schwere Verläufe. Und wenn wir die verhindern können, dann finde ich, sollten wir das auch tun."

Jedes Kind in Bayern kann gegen Grippe geimpft werden

Der Freistaat Sachsen hat unabhängig von der Stiko eine eigene Impfempfehlung herausgegeben. In Bayern ist es so geregelt, dass Eltern ihr Kind in jedem Fall gegen Grippe impfen lassen können, auch wenn es bisher keine Stiko-Empfehlung für gesunde Kinder gibt: "Es ist in Bayern so, dass über die Kassenärztliche Vereinigung alle Kinder geimpft werden können. Da ist es anders als in anderen Bundesländern, wo wirklich nur die Kinder mit Risikofaktoren, mit Vorerkrankungen geimpft werden können", so Dominik Ewald, der bayerische Landesvorsitzende des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte e. V. Würde sich die Mehrheit der Menschen impfen lassen, würde das zu einer Herdenimmunität führen: "Das betrifft sowohl jüngere Kinder als auch die Älteren, zum Beispiel die Großeltern, die wir damit mit schützen."

Grippeimpfung nur 30 Prozent Wirksamkeit bei Kindern

Eine Impfung gegen Masern gehört zu den wirksamsten Schutzimpfungen überhaupt. Wer als Kind zwei Dosen Masernimpfung bekommen hat, ist zu 99 Prozent ein Leben lang davor geschützt, diese Kinderkrankheit zu bekommen. Auch Impfungen gegen Mumps, Röteln und Windpocken halten ein Leben lang. Viele andere Impfungen müssen immer wieder aufgefrischt werden, weil ihre Schutzwirkung nachlässt. Bei der Grippe ist es so, dass jedes Jahr ein neues Vakzin auf den Markt kommt, da sich das Virus ständig verändert und die Impfung angepasst werden muss.

Trotz aller Bemühungen erreicht die Grippeimpfung bei Kindern nur eine Wirksamkeit von etwa 30 Prozent. Kinder- und Jugendarzt Johannes Hauner beobachtet aber trotzdem bei allen geimpften Kindern einen gewissen Schutz: "Das Kind mag sich zwar infizieren, aber die Infektion verläuft dann milder." In der Regel ist bei geimpften Kindern keine Einweisung ins Krankenhaus notwendig. Andere brauchen dagegen manchmal wegen der Influenza Sauerstoff: "Wir haben immer wieder Kinder, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Todesfälle sind sehr selten, aber die gibt es auch, gerade bei Kindern mit einem Immundefekt. Eine klassische Influenza ist eine schwere Erkrankung." Bei der außergewöhnlich starken Grippewelle 2017/2018 starben nach Schätzungen etwa 25.100 Menschen in Deutschland. Die meisten davon - 87 Prozent – waren aber älter als 60 Jahre.

Die Herstellung der Grippeimpfung ist langwierig

Das Grippevirus tritt, wenn bei uns Sommer ist, zuerst auf der dann winterlichen Südhalbkugel auf, also beispielsweise in Australien oder Neuseeland. Anschließend kommt es über Indonesien, Malaysia und China nach Europa. Die Weltgesundheitsorganisation WHO analysiert zu Beginn eines jeden Kalenderjahres die Grippestämme, die in Südostasien auftreten, und gibt dann eine Empfehlung, wie der Impfschutz der kommenden Wintersaison in Europa aussehen sollte.

Das Problem: Die Herstellung der Grippeimpfung ist langwierig und unflexibel. Sie kann sich nicht schnell an ein verändertes Virus anpassen. Denn die Herstellung des Grippe-Vakzins dauert vier bis sechs Monate. Das aktuelle Grippevirus aus Südostasien wird in Hühnereiern vermehrt. Dann entfernt man sämtliche Bestandteile des Eis, sodass nur das Virus übrigbleibt. Johannes Hübner: "Dieses Virus wird mit Formaldehyd abgetötet und dieses abgetötete Virus wird dann als ein Totimpfstoff gespritzt. Das ist die Art und Weise, wie seit vielen Jahrzehnten Influenzavirus-Impfungen hergestellt werden."

Der Vier-Komponenten-Impfstoff soll Wirksamkeit erhöhen

Ein Influenzavirus enthält verschiedene Stämme, die mit A- und B-Stämmen bezeichnet werden. In der Grippewelle 2023 in Australien waren mit rund 60 Prozent vor allem Influenza-A-Stämme für die Erkrankungen verantwortlich. Auf Influenza-B-Stämme entfielen 40 Prozent. Auch der aktuelle Impfstoff enthält vier Komponenten: zwei Influenza-A und zwei Influenza-B-Typen. Damit erhoffen sich Forschende eine breite Abdeckung der Virusstämme, die dann in der Grippesaison im Winter auf die Bevölkerung zukommen können.

Meist liegt die Wirksamkeit der saisonal eingesetzten Influenza-Impfstoffe bei etwa 40 Prozent, bei Kindern etwa bei 30 Prozent. Auch wenn dieser Wert nicht sehr hoch ist, empfehlen die meisten Ärztinnen und Ärzte die Grippeimpfung, die als gut verträglich und lange erprobt gilt. Das heißt, der Nutzen überwiegt möglichen Schaden, den eine Influenza anrichten kann. Der Totimpfstoff gegen Grippe wird in der Regel in den Muskel gespritzt. Eine einmalige Impfung pro Jahr ist ausreichend. Der Schutz setzt etwa zwei Wochen nach der Impfung ein.

Für Kinder ist auch eine Nasenspray-Impfung möglich

Für Kinder ab zwei bis 17 Jahren gibt es auch die Möglichkeit, einen Lebendimpfstoff über ein Nasenspray aufzunehmen. Das vermeidet den Piecks, den manche Kinder fürchten. Es sei auch nicht so, dass ein Lebendimpfstoff über die Nase zwangsläufig zu größeren Nebenwirkungen führe, betont der Kinder- und Jugendarzt Jakob Maske: "Das passiert tatsächlich in der Praxis nicht, weil die Viren so stark abgeschwächt sind, dass sie keine Erkrankung auslösen können." Zu beachten ist, dass nicht alle Krankenkassen die Kosten für einen Lebendimpfstoff übernehmen. Er fristet deshalb weiterhin ein Nischendasein, obwohl er genauso wirksam ist wie der gespritzte Totimpfstoff. Kinder, die das erste Mal gegen Grippe geimpft werden, benötigen mit dem Spray allerdings nicht nur einen, sondern zwei Impftermine im Abstand von mindestens vier Wochen, um den gewünschten Schutz zu erzielen.

Unternehmen wie Biontech, Moderna, Sanofi und Curevac arbeiten an Influenza-Vakzinen, die auf der mRNA-Technologie beruhen. Diese ist bekannt durch Corona-Impfstoffe und können eine hohe Wirksamkeit erreichen. Einige Entwicklungen befinden sich bereits in klinischen Studien der Phase 3. Außerdem möchte man ein Vakzin finden, das gleichzeitig gegen Grippe- und Coronaviren vorgeht. Aber noch ist unklar, wann mit solchen Kombinationsimpfstoffen zu rechnen ist. Bei Grippe gibt es nach wie vor nur die klassische Impfmöglichkeit.

Grippeimpfung auch im Januar noch sinnvoll

Einige Experten rechnen im Februar 2024 mit einer erneuten Grippewelle. Deshalb kann es auch jetzt noch sinnvoll sein, gegen Influenza zu impfen. Gerade nach der Pandemie sei durch Schulschließungen, Abstandsregelungen und Maskenpflicht bei Kindern und Jugendlichen eine Art "Immunitätslücke" entstanden, so das Argument der Impfbefürworter. Das heißt, junge Menschen haben weniger Infekte als sonst üblich durchgemacht und sind jetzt schlechter vor Erregern geschützt. Auch deshalb könne eine Grippeimpfung das Immunsystem unterstützen.

Video: Streit über Grippe-Impfung bei Kindern

Die Zahl der gemeldeten Grippe-Fälle steigt allmählich an. Jetzt fordert der Verband der Kinder- und Jugendärzte, alle jungen Menschen gegen Influenza zu impfen. Unter Experten ist das jedoch umstritten.
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Die Zahl der Grippe-Fälle steigt an. Jetzt fordert der Verband der Kinder- und Jugendärzte, alle jungen Menschen gegen Influenza zu impfen.

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