Zwei Monate war der Forschungseisbrecher "Polarstern" diesen Sommer in der zentralen Arktis unterwegs. In mehreren Etappen ist er von der Eiskante bis zum Nordpol vorgedrungen. Die Meeresbiologin Antje Boetius hat die Expedition geleitet und berichtet im BR-Interview, dass das Meereis immer unberechenbarer werde.
Eigentlich hatten die Forscherinnen und Forscher dieses Jahr mit einer sehr starken Eisschmelze im Untersuchungsgebiet gerechnet. Denn der Sommer 2023 auf der Nordhalbkugel war geprägt von Hitze-Extremem: In Kanada und Sibirien wüteten riesige Waldbrände, das Grönlandeis taute im Rekordtempo, im Oberflächenwasser der Ozeane wurden Rekordtemperaturen gemessen. Doch die Expedition sei auf ungewöhnlich dickes Eis gestoßen.
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Ungewöhnliche Wetterlage verändert Arktiseis
Die Erklärung: Ein Tiefdruckgebiet hatte die Eismassen auf dem Polarmeer anders verteilt als normal. Grund zur Entwarnung sei das jedoch nicht, im Gegenteil. Im BR24-Interview betonte die Forscherin: "Wir merken, dass das Meereis des arktischen Ozeans immer mehr zum Spielball von Wind und Wetter wird. Und das ist eine Warnung. Das ist das, weswegen wir Alarm schlagen."
Die ungewöhnlichen Eisbedingungen hätten große Auswirkungen auf das Ökosystem, erklärte sie weiter. Unter dem Eis in der Arktis sei normalerweise viel Leben. Als Beispiel führte die Meeresbiologin sogenannte Algenwälder an, die darunter hängen. Dieses Jahr sei das anders gewesen. "Es war erschreckend, weil das Eis von unten tot war. Das, was wir da kennen, diese Untereis-Wälder, die waren einfach weg, auf einer riesigen Fläche." Eine Fläche größer als Europa, so Boetius, die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven ist.
Bisher unbekanntes Leben auf Unterwasser-Vulkanen
Gleichzeitig hat das Forscherteam in tiefen Meeresregionen auch bisher unentdecktes Leben dokumentiert. Auf Unterseebergen fanden sie ausufernde Schwammgärten und bis zu einem halben Meter hohe Seeanemonen - trotz Kälte und Dunkelheit. Die Expedition zeige, wie wichtig es sei, auch ferne Regionen wie die Arktis im Blick zu haben: "Was dort geschieht, bleibt nicht dort. Das betrifft auch uns, und wir wiederum wirken durch unser Verhalten auf diese fernen Lebensräume."
Das Meereis schwindet nach wie vor um zwölf bis dreizehn Prozent pro Jahrzehnt. Boetius wies zudem darauf hin, dass noch heißere Sommer bevorstehen. Auch das Wetterphänomen El Niño beginne erst und werde seine stärkste Auswirkung in den nächsten Monaten haben.
Das Arktis-Eis ist noch nicht verloren
Gleichwohl seien die Beobachtungen in der Arktis dieses Jahr nicht nur Grund zur Sorge, so die Institutsdirektorin. Dass eine so große Veränderung auf einer so großen Fläche in einem Jahr zu sehen ist, zeige ihr auch: "Es lohnt sich immer zu kämpfen, wenn wir Menschen um ein Gleichgewicht zwischen Klima und Natur kämpfen, kann es auch wieder gut werden." Man dürfe sich nicht vorstellen, es sei eh alles zu spät.
Und dann sei da noch die Erfahrung, auf einem Schiff, mit so vielen Menschen zwei Monate zusammenzuarbeiten: Männer, Frauen, jung, alt, aus allen möglichen Ländern. "Jeder verlässt sich auf den anderen, es gibt keinen Streit – und dann ist man gestärkt von diesem Gedanken, dass wir so gut zusammenarbeiten können, wenn wir ein gemeinsames Ziel haben." Anstatt sich in kleinteiligen Streits zu verlieren, müssten alle mehr Veränderungsmut haben.
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