Im größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt. (Archivbild)
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Wirecard-Prozess: Bricht der Ex-Chefbuchhalter sein Schweigen?

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Wirecard-Prozess: Bricht der Ex-Chefbuchhalter sein Schweigen?

Bislang hat der Ex-Chefbuchhalter Stephan von Erffa im Wirecard-Prozess geschwiegen. Doch nun macht das Gericht Druck: Ihm bleibe nur noch wenig Zeit für ein Geständnis, das sich positiv auf eine mögliche Verurteilung auswirken könnte.

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Es war immer dieselbe Antwort, die von der Verteidigung kam, wenn nach einer Aussage des früheren Wirecard Chefbuchhalters gefragt wurde: Ja, er werde aussagen, aber erst zu gegebener Zeit, nicht jetzt – über 15 Monate lang änderte sich diese Angabe nicht.

Doch nun wächst der Druck auf Stephan von Erffa, den Ex-Chefbuchhalter der 2021 untergegangenen Wirecard AG, bald ein Geständnis abzulegen. Ihm wird unter anderem Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Betrug vorgeworfen. Das Gericht hat deutlich gemacht, dass ihm nur noch begrenzte Zeit bleibt, um "Pluspunkte im Falle einer Verurteilung" zu sammeln.

So gab der Vorsitzende Richter Markus Födisch in der Verhandlung am Mittwoch ein Rechtsgespräch wieder, das vergangenen Freitag hinter verschlossenen Türen stattgefunden hatte. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger hatten sich dabei getroffen, um von Erffas Position in dem Verfahren zu erörtern.

Richter: "Geeigneter Zeitpunkt", um zu gestehen

Fast 40 Minuten lang verlas Födisch in der Verhandlung das Gesprächsprotokoll, stellenweise ratterte er es derart schnell herunter, dass Beobachter im Saal mit ihren Notizen kaum hinterherkamen. Das Dokument ist ungewöhnlich detailliert, die "Genauigkeit des Protokolls übertrifft ein normales", befand auch der Richter selbst.

In dessen Kern steht die Haltung des Gerichts, dass nun "ein geeigneter Zeitpunkt" für von Erffa gekommen sei, um "Aufklärungshilfe zu leisten". Jetzt könne er "durch ein Geständnis noch etwas gewinnen", zitierte Födisch sich selbst aus dem Gespräch.

Juristische Verständigung: Geständnis wirkt strafmildernd

Damit steht im Fall des angeklagten Ex-Buchhalters eine sogenannte juristische Verständigung im Raum. Diese würde von Erffa im Gegenzug für ein umfassendes Geständnis zusichern, dass ein gewisses Strafmaß nicht überschritten wird. Vergangenes Jahr war der Audi-Prozess um den früheren Vorstandschef Rupert Stadler ebenfalls mit einer solchen Verständigung zu Ende gegangen.

Gericht nennt Bewährungsstrafe für von Erffa "illusorisch"

Das mögliche Strafmaß nahm auch im Rechtsgespräch vergangene Woche viel Platz ein, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Demnach versuchte die Verteidigung von Erffas auszuloten, ob eine Bewährungsstrafe möglich wäre. Der Vorsitzende Richter bezeichnete diese jedoch als "illusorisch" und stellte stattdessen eine Freiheitsstrafe im einstelligen Bereich in Aussicht.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich den Angaben zufolge nicht konkret äußern, machte aber immerhin klar: Sie würde wohl eine zweistellige Freiheitsstrafe fordern, sofern der Angeklagte keine Vorwürfe einräumt.

Von Erffas Verteidigung wollte sich bislang hinsichtlich eines möglichen Geständnisses nicht festlegen, sondern erst darüber beraten. Zugleich signalisierte sie aber grundsätzlich Interesse an einer Verständigung.

Verteidigungsstrategie ging nicht auf

Ein Grund dafür könnte auch sein, dass ihre Verteidigungsstrategie inzwischen bröckelt. Denn einen wesentlichen Pfeiler davon hat das Gericht in dem Gespräch ebenfalls beiseite gewischt. Die Verteidiger hatten infrage gestellt, ob ihr Mandant aufgrund einer angeblichen psychischen Erkrankung überhaupt schuldfähig sei.

Dem hat das Gericht eindeutig widersprochen. Auf Grundlage eines eigens erstellten psychiatrischen Gutachtens gebe es "keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer Störung, welche Einfluss auf Verhalten und Vorsatz gehabt haben könnte", sagte der Vorsitzende Richter.

Welche Folgen hätte ein Geständnis für Ex-Wirecard-Chef Braun?

Sollte von Erffa die Vorwürfe tatsächlich einräumen, stellt sich auch die Frage, welche Rolle er dem mitangeklagten Ex-Wirecard-Chef Markus Braun zuschreibt. Dieser bestreitet vehement, etwas von dem 1,9-Milliarden-Euro-Betrug gewusst zu haben und sieht sich selbst als Opfer.

Der dritte Angeklagte Oliver Bellenhaus, früher Wirecard-Statthalter in Dubai, belastet Braun dagegen schwer und sieht ihn als Kopf der betrügerischen Bande. Bellenhaus wurde kürzlich aus der Untersuchungshaft entlassen, was Prozessbeobachter als Zeichen werten, dass das Gericht seinen Aussagen Glauben schenkt.

Geständnis könnte Wirecard-Prozess beschleunigen

Der Wirecard-Strafprozess läuft bereits seit Dezember 2022. Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten vor, eine kriminelle Bande gebildet, Umsätze erfunden und Zahlen gefälscht zu haben. Mittlerweile seien schon Zeugen bis Februar 2025 geladen, erklärte Richter Markus Födisch in der Verhandlung. Sollte sich von Erffa äußern, könnte dies aus Sicht des Gerichts das Verfahren jedoch erheblich verkürzen.

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