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Verband: Warum die Kassenärzte vor dem Kollaps stehen

Vor einem "Kollaps" warnt die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), wenn nicht deutlich mehr Geld an die Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten fließt. Delegierte der KVB fahren deshalb am heutigen Freitag zu einer Krisensitzung nach Berlin.

Über dieses Thema berichtet: Wirtschaft und Börse am .

Seit dem 9. August verhandelt die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen darüber, wie die Honorare kommendes Jahr angehoben werden. Die Ärzteseite fordert einen Aufschlag auf den sogenannten "Orientierungspunktwert" von 10,2 Prozent. Dieser Punktwert ist die zentrale Stellschraube, wenn es darum geht, um wie viel die Honorare steigen. Die Kassen haben in der ersten Verhandlungsrunde ein Plus von 2,1 Prozent angeboten.

Kostendruck durch Inflation

Die Teuerungsrate von aktuell mehr als sechs Prozent belaste die Praxen stark, erklärt die KVB. Denn Ärzte und Psychotherapeuten könnten die Teuerung nicht ausgleichen, indem sie höhere Preise verlangen. Die Kassen und das Bundesgesundheitsministerium verweisen gleichzeitig darauf, dass die Einnahmen der Praxen in den vergangenen Jahren zügig gestiegen seien.

Verhandlungen mit begrenztem Spielraum

Die Verhandlungen zwischen den Kassenärzte-Verbänden und den Kassen laufen jedes Jahr im Spätsommer nach einem ähnlichen Muster wie Tarifverhandlungen: Die Ärzteseite rechnet vor, wie hoch ihrer Ansicht nach der zusätzliche Geldbedarf ist. Die Kassen machen eine Gegenrechnung auf und verweisen darauf, dass ihnen nur so viel Geld zur Verfügung steht, wie sie an Beiträgen einnehmen.

Kein Streikrecht für Praxis-Ärzte

Der Verhandlungs-Spielraum der Ärzteseite ist dabei begrenzt. Kassenärzte haben kein Streikrecht. Als im vergangenen Jahr der Orientierungspunktwert für das Jahr 2023 nach zähen Verhandlungen um rund zwei Prozent angehoben wurde, sorgte das bereits für viel Verärgerung bei den Kassenärzten und -psychotherapeuten. Aber die Möglichkeit zu protestieren, etwa mit Praxis-Schließungen, haben sie nicht.

Denn seit rund 90 Jahren gilt in Deutschland: Wer sich um eine Kassenzulassung bewirbt und sie erhält, hat hinterher das Recht, alle Kassenpatienten zu behandeln. Die Kassen dürfen keine Exklusivverträge mit einzelnen Ärzten schließen. Im Gegenzug müssen Kassenärzte auch alle Kassenpatienten behandeln.

Protest-Ankündigung

Auch wenn der Handlungsspielraum der Ärzteschaft eingeschränkt ist, wollen Ärzteverbände möglichst viel Öffentlichkeitsarbeit machen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Spitze der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns erklärt: "Die Stimmung bei Ärzten, Psychotherapeuten sowie Praxispersonal ist auf dem Tiefpunkt angelangt." Die Arbeit in Praxen werde immer unattraktiver, warnt die KVB. Die flächendeckende Versorgung der Patienten gerate in Gefahr.

Einzelne Berufsverbände geben sich besonders kämpferisch. So wettert der Bayerische Facharztverband (BFAV), die Arbeit seiner Mitglieder werde "in unerträglicher, respektloser Art diskreditiert und kaputtgespart". Der BFAV will in den nächsten Wochen auch Patienten auf seine Sicht der Dinge hinweisen.

Ärger über Info-Blatt des Ministeriums

Für besonderen Ärger bei Ärzteverbänden sorgt ein Papier mit Zahlen zur wirtschaftlichen Situation der Arztpraxen, das das Bundesgesundheitsministerium an verschiedene Medien verschickt hat. Darin wird unter anderem aufgelistet, dass die Ausgaben für die Behandlung von Patienten in Arzt- und Psychotherapeuten-Praxen deutlich gestiegen seien: von rund 32 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf rund 46 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Das Ministerium nennt diesen Anstieg um rund 44 Prozent "enorm".

Ärzteverbände wie der BFAV bezeichnen die Daten aus dem Ministerium als "Halbwahrheiten". Mehrere Verbände haben bei Bundeskanzler Olaf Scholz schriftlich protestiert. Ihrer Ansicht nach mischt sich das Ministerium mit dem Info-Blatt in die Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung ein und überschreitet damit seine Kompetenzen.

Im Video: Hausärztin fordert mehr Geld im Topf und mehr Nachwuchs:

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