Passanten gehen durch die vorweihnachtlichen Fußgängerzone der Münchner Innenstadt.
Bildrechte: Peter Kneffel/dpa

Passanten gehen durch die vorweihnachtlichen Fußgängerzone der Münchner Innenstadt.

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Sparwut und Sparzwang: Ist Kleidungskauf aus der Mode?

Hallhuber, Reno, Görtz, Madeleine, Bleed, Peek & Cloppenburg – die Liste der Insolvenzmeldungen aus der Modewelt wird derzeit praktisch im Wochenrhythmus länger. Warum gehen gerade jetzt so viele pleite? Die Gründe sind vielfältig.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Modegeschäfte haben einst die Einkaufsstraßen in den deutschen Städten geprägt. Doch immer mehr Händler geben auf. Wenn es sich um inhabergeführte einzelne Läden handelt, meist unbemerkt. Zuletzt sind aber auch vermehrt größere Ketten in die Insolvenz gerutscht und teilweise auch Modehersteller.

Die Liste von zahlungsunfähigen Firmen wird immer länger: Peek & Cloppenburg, Galeria, Görtz und Reno, aber auch kleine Firmen aus Bayern wie zuletzt der Ökomode-Pionier Bleed aus Helmbrechts im Landkreis Hof, das Versandhaus Madeleine aus Zirndorf bei Fürth und die Münchner Kette Hallhuber. Warum häufen sich gerade jetzt die Pleiten?

Pleitewelle in Modebranche zeichnete sich ab

Für Branchenbeobachter kommt die Krise der Modebranche nicht überraschend. Seit vielen Jahren hat sich der Trend abgezeichnet. Sogenannte vertikale Bekleidungshändler hätten den Markt schon lange verändert, also Firmen wie H&M und Inditex mit der Kette Zara, die ihre Ware selbst herstellen und in den eigenen Filialen verkaufen, sagt Professor Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Zwischenhändler fielen weg. Die Kleidung könne also günstiger angeboten werden. Diese Unternehmen könnten auch viel flexibler agieren und kurzfristig Ware produzieren, so Heinemann. Die klassischen Bekleidungshäuser müssten dagegen über ein Jahr im Voraus Jacken, Mäntel, Hosen etc. ordern.

Hinzu kommt, dass mittlerweile viele bekannte Modehersteller ihre Marken nicht nur über den Handel vertreiben, sondern selbst Läden eröffnen oder übers Internet verkaufen.

Chinesische Billig-Modeversender Shein und Temu verschärfen Druck

Das Internet hat den Modeverkauf überhaupt sehr verändert. Selbst Branchenriesen wie H&M und Zara haben zuletzt Filialen geschlossen und setzen verstärkt auf den für sie kostengünstigeren Online-Vertrieb.

Im Web haben es neue Anbieter auch viel leichter, sich zu etablieren. So scheinen derzeit die chinesischen Konzerne Shein und Temu den Markt mit ihren aggressiv beworbenen Plattformen aufzurollen. In kürzester Zeit hätten diese es geschafft, mit ihren Billigangeboten Milliardenumsätze zu genieren, meint Handelsexperte Heinemann.

"Eine Jeans für 2,50 Euro bringt in Deutschland auch Billiganbieter wie Primark unter Druck, die ja auch schon unglaublich günstig sind. Und vielleicht kommt nächste Woche schon der nächste Onlineanbieter, der noch niedrigere Preise verlangt." Professor Gerrit Heinemann

Kaufzurückhaltung und warmer Herbst

Die sich verschärfende Konkurrenz trifft derzeit auf kaufunwillige Verbraucher, was erklärt, warum sich im Moment die Insolvenzen in der Modebranche häufen. Die Öko-Modefirma Bleed aus dem oberfränkischen Helmbrechts nannte den lange Zeit warmen Herbst letztlich "ihren Genickbruch". Der Handelsverband Bayern bestätigt, dass die Läden derzeit die Lager voll haben mit Winterware. Bei höheren Temperaturen kauft kaum jemand Mäntel oder warme Schuhe.

Hinzu kommt die allgemeine Sparsamkeit der Kunden, seit die Lebenshaltung durch die hohe Inflation für viele so teuer geworden ist. Auch die schwache Wirtschaftsentwicklung hält Käufer zurück. Die Bundesbürger vor allem in den unteren, aber auch in den mittleren Einkommensgruppen kaufen derzeit weniger, heißt es beim Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren (BTE). Etwas Mut mache immerhin der jetzige Wintereinbruch, so BTE-Geschäftsführer Axel Augustin.

Gestiegene Kosten für Unternehmen und starke Konkurrenz

Doch selbst, wenn aktuell die Deutschen aufgrund der Kälte wieder etwas häufiger warme Kleidung kaufen, viele Probleme bleiben. Die Kosten vor allem der stationären Händler sind deutlich gestiegen, insbesondere für Energie und Löhne, die Preise für Bekleidung aber kaum. Laut BTE liegen viele Unternehmen mit ihrem Umsatz unter dem Niveau von 2019, während die Kosten in die Höhe geschnellt sind.

Außerdem greifen die Deutschen aufgrund der hohen Inflation und der schwachen Wirtschaftsentwicklung noch stärker als sonst nach günstigen Anziehsachen. Davon profitieren neben den chinesischen Onlineplattformen Shein und Temo hierzulande die Discounter. Mit zu den größten Bekleidungsverkäufern in Deutschland zählen mittlerweile Aldi, Lidl und Co. Beträchtliche Marktanteile haben in den vergangenen Jahren auch Billig-Modeketten wie KiK, Takko, NKD und Primark hinzugewonnen, sagt der Handelsprofessor Heinemann.

Experte: Klassische Bekleidungshäuser verschwinden

Heinemann gibt sich überzeugt, dass sich die Marktbereinigung in der Modebranche noch verschärfen und sich am Ende ein Bild wie im Lebensmittelsektor zeigen wird. Hier kommen die vier Branchenriesen Edeka, Rewe, Aldi und Lidl auf fast 80 Prozent Marktanteil. Und so eine Konzentration werde auch die Modewelt erleben – "so sicher wie das Amen in der Kirche", meint der Handelsexperte. Kleine lokale Händler und klassische Bekleidungshäuser mit verschiedenen Marken unter einem Dach wird es seiner Meinung nach in zehn Jahren nur noch wenige geben.

Dieser Artikel ist erstmals am 3.12. auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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