Altkleider in einer Lagerhalle
Bildrechte: BR/Sabine Lindlbauer

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Wie Ultra Fast Fashion von Shein Jugendliche anspricht

Wegwerf-Mode ist nach Angaben der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eine der größten Belastungen für Umwelt und Klima. Der Konzern Shein etwa setzt auf Ultra Fast Fashion und befeuert den Trend mit einer App. Ein deutsches Gesetz hilft kaum dagegen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Ein Oberteil für 3,99 Euro, mit Glitzer für 4,49 Euro oder 12,99 Euro: Nicht einmal mehr zweimal, sondern nur noch durchschnittlich 1,7 Mal werden zum Beispiel Partytops getragen, bis sie im Abfall landen. "Textilien, also Fast Fashion oder jetzt schon Ultra Fast Fashion sind ein Sinnbild für lineare Geschäftsmodelle, die in Südostasien starten, wo Ressourcen ausgebeutet werden und eben leider auch Menschen", sagt Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace.

Ultra Fast Fashion: Kaum getragen, schon auf dem Müll

Lineare Wirtschaftsmodelle stehen, im Gegensatz zur Kreislaufwirtschaft, dafür, dass Produkte nicht recycelt oder wieder verwertet werden, sondern früh auf dem Müll landen. "Und das ist wirklich etwas, was wir uns eigentlich nicht mehr leisten können, weil die Ultra-Fast-Fashion-Produkte nicht nur Sondermüll sind, sondern eben doch einfach die Ressourcen dieses Planeten ausbeuten."

Ultra Fast Fashion - das sind noch schnellere Produktzyklen, kürzere Trends und eine verkürzte Lebensdauer von Textilien. Ein Name steht wie kaum ein anderer dafür: Shein, ausgesprochen She-In.

Shein setzt auf soziale Medien und Influencerinnen und Influencer

Die App des Mode-Unternehmens Shein zielt auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Sie werden mit kurzen Mode-Clips in den sozialen Medien gezielt und immer wieder angesprochen. Und sie erhalten, sofern sie die App auf dem Smartphone haben, dreimal täglich Pushnachrichten: "Party machen mit Shein, vervollständige jetzt dein Party-Outfit. Minus 45 Prozent." Oder: "Alles unter 1 Euro. Ja, es ist wahr. Zögere nicht."

Auch Influencerinnen und Influencer befeuern den Hype um Shein. Wie Greenpeace ausgewertet hat, stehen in der App teilweise täglich zwischen 6.000 und 9.000 neue Produkte zum Verkauf.

Shein: Das steckt hinter dem Ultra-Fast-Fashion-Giganten aus China

Wer recherchiert, findet schnell die Fakten: Shein ist ein gigantischer Konzern aus China, dessen Unternehmenswert bei knapp 50 Milliarden US-Dollar liegen soll. Über 100 Millionen Mal wurde die App im Google Play Store heruntergeladen – und sie soll die erfolgreichste Fashion-Site der Welt sein, vor Nike.

Hinter dem Erfolg liegt, auch das wird schnell klar, ziemlich viel Schlechtes: giftige Chemikalien in den Kleidungsstücken, schlechte Qualität und Massenware mit Tausenden neuen Produkten an einem Tag, die in die ganze Welt verschifft werden. Die Schweizer NGO Public Eye hat aufgedeckt, dass die Zulieferer vor allem im chinesischen Ghoungzhou produzieren und die Arbeitsbedingungen dort häufig unmenschlich sind - Kinderarbeit nicht ausgeschlossen.

Analyse: Giftige Chemikalien in vielen Textilien nachgewiesen

In Sachen Chemikalien hat Greenpeace einen Verstoß gegen EU-Richtlinien nachgewiesen: Bei einer chemischen Analyse von 47 Textilien im Labor wurde in 32 Prozent der Textilien giftige Stoffe "in besorgniserregenden Mengen" nachgewiesen, etwa Formaldehyd. In einem Schuh steckten die Weichmacher Phthalate. "Die Ergebnisse machen klar, dass Shein keine Übersicht über das Chemikalienmanagement in den eigenen Zulieferbetrieben hat", kritisiert Greenpeace-Expertin Wohlgemuth. Es sei dann eben nicht nur auf der Haut, wenn man diese Chemikalien trage oder die Dämpfe einatme, die zum Beispiel krebserregend sind oder Nierenschäden hervorrufen können. Auch Menschen in den Produktionsländern, gerade in Indien, China oder Bangladesch, kämen oft komplett ungeschützt mit diesen Chemikalien in sehr großen Mengen in Berührung.

Shein-Shopping verbieten? Streitpunkt in Familien

Familien, die versuchen, nachhaltig zu konsumieren, kaufen nicht bei Shein: Das wäre logisch, ist in der Praxis aber nicht immer so einfach. Shein ist Thema auf den Pausenhöfen. Auch Mütter, die über Vinted alte Kleidung verkaufen oder in Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft die abgelegten Klamotten der Kinder verschenken oder tauschen, werden von Kindern oft mit der App konfrontiert. Anja, Mutter einer 13-Jährigen, hat lange in der Modebranche gearbeitet. Bei Shein einzukaufen hat sie ihrer Tochter verboten - dass ihre Tochter aber mit Freundinnen in Fast-Fashion-Läden wie New Yorker zum Shoppen geht, kann auch sie nicht immer verhindern.

Bei Miriam, Mutter eines 12-Jährigen, ist Shein noch kein Thema. Sie sucht die Mode für ihren Sohn selbst aus. Im Freundeskreis gebe es keine älteren Kinder als ihren Sohn, sodass sie neu kauft, dabei aber auf Qualität achtet und die abgelegten Hosen und Shirts weiter verschenkt. Bettina, ebenfalls mit 13-jähriger Tochter, hat bereits bei Shein bestellt, musste aber feststellen, dass einige Textilien sehr stark nach Plastik stanken - ein Eindruck, den viele andere auch teilen.

Shein ist nicht mehr bei allen "in"

"Ich habe bei Shein bestellt, da bin ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass in der heutigen Zeit so etwas noch möglich ist. Klar macht man sich Gedanken, warum etwas günstig ist. Aber dass es solche Dimensionen hat, darauf wäre ich nie gekommen", sagt Renate. Seit sie und ihre Kinder recherchiert haben, wird nicht mehr bei Shein bestellt - man könne die Informationen sehr schnell bekommen, sagt sie. Ihre 14-jährige Tochter meint, der Hype sei im Freundeskreis längst vorbei, weil viele zu diesen Bedingungen nicht konsumieren wollten.

Auch Luka und seine Familie bestellen deshalb nicht mehr bei Shein. Er sucht Kleidung häufig direkt im Laden aus, damit er probieren kann. Er weist aber auch daraufhin: "So teuer finde ich aber auch nicht so gut, weil man muss auch Geld sparen fürs Essen und so." Sein aktuelles Outfit, eine Cargohose und ein T-Shirt, hat er beim Besuch in Kroatien gekauft. "Mir ist wichtig, dass die Sachen keine Löcher haben, wenn wir second hand kaufen", sagt Luka.

Ultra Fast Fashion: Das Lieferkettengesetz greift nicht

Seit dem Jahr 2011 läuft bei Greenpeace die Kampagne "Detox My Fashion". Die Kampagne habe Erfolge gezeigt und sei vielleicht sogar die Grundlage für das deutsche Lieferkettengesetz, sagt Viola Wohlgemuth. Fast-Fashion-Brands wie Zara und H&M hätten über Jahre darauf hingearbeitet, ihre Lieferketten zu entgiften und transparenter zu gestalten. Doch Fast Fashion habe Ultra Fast Fashion erst möglich gemacht - und Konzerne wie Shein würden jetzt in neue Dimensionen vorstoßen: noch billiger, schneller, schlechter und giftiger produzieren.

Das Lieferkettengesetz sei zwar ein Fortschritt, so Wohlgemuth, aber: "Es bezieht sich aber im Moment in Deutschland nur auf Betriebe, die in Deutschland einen festen Sitz und über 3.000 Mitarbeitende haben. Und Shein hat keine Mitarbeiter in Deutschland, die sitzen in China, die produzieren dort." Die EU müsse Fast Fashion entschleunigen und ihre Gesetze zu gefährlichen Chemikalien durchsetzen. "Das ist eine Grundvoraussetzung für die Verwirklichung einer kreislauforientierten Textilwirtschaft und das Ende von giftigen Geschäftsmodellen wie bei Shein."

Völlig machtlos sind Verbraucherinnen und Verbraucher dennoch nicht. Wohlgemuth von Greenpeace ermutigt dazu, den eigenen Einfluss zu nutzen, im Umfeld Vorbild zu sein. Weniger konsumieren, Kleidung tauschen, darüber sprechen - damit könne man einen positiven Beitrag leisten. Vor allem, da inzwischen jeder und jede Deutsche durchschnittlich nicht mehr nur 60 Kleidungsstücke pro Jahr kauft, sondern wegen Fast Fashion deutlich mehr.

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