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Diesel-Gutachten: Acht Abschalteinrichtungen in Daimler-Motor

Daimler hat wiederholt betont, dass es in seinen Diesel-Modellen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen gibt. Der Autobauer hat sogar gegen Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamtes geklagt. Ein neues Gutachten könnte Daimler jetzt in Bedrängnis bringen.

25.000 Halterinnen und Halter von Diesel-Fahrzeugen haben den Automobilhersteller aus Stuttgart auf Rückabwicklung des Autokaufs und Schadenersatz verklagt: In den Autos ist nach ihrer Auffassung eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. In 95 Prozent der bereits entschiedenen Fälle haben Gerichte die Klagen abgewiesen – häufig mit der Begründung, die Behauptung sei "ins Blaue hinein" aufgestellt, greifbare Hinweise auf eine unzulässige Abschalteinrichtung lägen nicht vor. Bei solchen Klagen auf Schadenersatz liegt die Beweislast bei den Klägern.

Software-Gutachter: Acht Abschalteinrichtungen in Motorsteuerungs-Software

Ein neues Gutachten kommt nun zu dem Ergebnis, dass Daimler in der Motorsteuerungssoftware einer Diesel-Variante insgesamt acht mutmaßlich unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut hat. BR Recherche und dem Spiegel liegt das 30-seitige Papier vor. Dafür hat der Software-Entwickler Felix Domke die Steuerungssoftware einer E-Klasse ausgelesen, die von einem Diesel-Motor Typ OM642 angetrieben wird. Der E350 (Baujahr 2015) ist mit einem SCR-Katalysator ausgestattet. Dieser reinigt die Abgase des Fahrzeugs mit Hilfe des Harnstoffs AdBlue, das in einen separaten Tank gefüllt werden muss. Beauftragt wurde Domke von der Anwaltsfirma Milberg aus den USA, die in mehreren europäischen Ländern zahlreiche Klagen gegen Daimler eingereicht hat.

Felix Domke ist in der Autobranche kein Unbekannter: Als im Herbst 2015 der VW-Diesel-Skandal aufflog, hatte der IT-Experte die Software zur Motorsteuerung seines eigenen VW-Diesels unter die Lupe genommen. Dabei konnte er nachweisen, wie der Wolfsburger Konzern bei der Manipulation der Motoren vorgegangen war.

In einer aufwendigen Untersuchung analysierte Domke dieses Mal die Motorsteuerungssoftware der E-Klasse in verschiedenen Fahrsituationen. Dafür legte er nach eigenen Angaben rund 10.000 Kilometer zurück. Er verglich die ursprüngliche Software zudem mit einem Update, das Daimler inzwischen für diesen Motor entwickeln musste. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat seit 2019 mehrere Daimler-Diesel-Modelle wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückgerufen, darunter auch solche mit dem analysierten Motor. Gegen die Bescheide hat der Konzern beim zuständigen Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht in Schleswig Klage eingereicht.

Analyse: AdBlue-Verbrauch systematisch gedrosselt

Die neue Software-Analyse des IT-Experten Domke zeigt, dass sich sechs der acht gefundenen Abschalteinrichtungen auf die Reinigung der Abgase durch den SCR-Katalysator auswirken. Die Eindüsung des Harnstoffs AdBlue wird drastisch reduziert, was dem Gutachten zufolge "einen wesentlich höheren NOx-Ausstoß nach sich zieht".

Besonders auffällig sei, dass die Software in den deutlich schmutzigeren Modus wechselt, sobald der durchschnittliche Verbrauch des Harnstoffs AdBlue eine bestimmte Menge überschreitet: "Diese Verbrauchslimitierung erscheint mir als die bisher dreisteste Abschalteinrichtung, die ich kenne", sagt der Abgasexperte Prof. Kai Borgeest von der Technischen Hochschule Aschaffenburg im Gespräch mit BR und Spiegel. Er kenne keine Rechtfertigung, die AdBlue-Dosierung von einem Durchschnittsverbrauch abhängig zu machen, ergänzt er. Dieses Vorgehen sei "besonders arglistig".

Weitere entdeckte Abschalteinrichtungen bewirken, dass das Fahrzeug in einen schmutzigeren Modus wechselt, wenn der SCR-Katalysator bestimmte Altersgrenzen erreicht. Einer dieser "Alterungsfaktoren" ist extrem niedrig angesetzt. Die Folge: Schon nach wenigen Tausend Kilometern reinigt das SCR-System die Abgase nicht mehr richtig. Somit arbeitet die Abgasreinigung nur bei fabrikneuen Fahrzeugen, die für die Typgenehmigung getestet werden, effektiv.

  • Zum Artikel "Deutsche Umwelthilfe verklagt BMW und Daimler"

Kartell-Absprachen: EU verlangte Millionen-Bußgeld von Auto-Konzernen

Wie VW und Audi versuchte auch Daimler, den AdBlue-Verbrauch im normalen Fahrbetrieb zu drosseln. Dahinter stand das Ziel, lästiges Nachfüllen von AdBlue zu verhindern. Zugleich sparte der Konzern Platz, weil er kleinere Tanks für den Harnstoff einbauen konnte. Die EU-Kommission hatte im Juli dieses Jahres gegen den Volkswagen-Konzern, BMW und Daimler wegen Kartell-Absprachen ein Bußgeld in Höhe von rund 875 Millionen Euro verhängt. Die Hersteller, so die Kommission, legten gemeinsam "die Größen der AdBlue-Tanks und die Reichweiten fest und erreichten ein gemeinsames Verständnis zum zu erwartenden durchschnittlichen AdBlue-Verbrauch". Da Daimler die Kommission im Nachhinein über diese Absprache informierte, erließ diese den Stuttgartern das Bußgeld.

Daimler bekräftigt: Keine unzulässigen Abschalteinrichtungen

Software-Gutachter Felix Domke hat noch eine weitere Abschalteinrichtung gefunden. Sie bewirkt, dass das Abgasreinigungssystem beim Motor-Start in einem Temperaturbereich zwischen 19 und 35 Grad Celsius richtig läuft. Und: Es funktioniert nur, solange die Motortemperatur den Wert von 86 Grad Celsius nicht übersteigt. Vor allem diese Funktion scheint auf den Testbetrieb zugeschnitten zu sein, stellt Domke in seiner Analyse fest. "Es fällt auf, dass die Bedingungen im NEFC-Testzyklus jederzeit zuzutreffen scheinen, im Regelbetrieb sind sie dagegen nicht erfüllt".

Daimler teilte BR und Spiegel auf Anfrage mit, die in dem Gutachten beschriebenen "Parametrierungen" seien "bekannt", aus Sicht des Konzerns seien diese "im Zusammenspiel und Gesamtkontext des hochkomplexen Emissionskontrollsystems nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen zu bewerten".

Nach Software-Update deutlich sauberer – Hersteller sieht das "positiv"

Das Gutachten kommt auch zu dem Schluss, dass Daimler die Abschalteinrichtungen bei dem Software-Update herausgenommen hat. So schreibt IT-Experte Domke in seinem Fazit: "Sämtliche identifizierten illegalen Abschalteinrichtungen wurden in der aktualisierten Software entfernt, was die Systemgesamtleistung erheblich steigert." Abgasmessungen hätten gezeigt, dass der E350 nach dem Update bis zu zehn Mal weniger Stickoxid ausstößt und mit neuer Software den Grenzwert von 80mg/km NOx-Ausstoß einhält. "Dies belegt, dass diese Strategien zum Betrieb des Motors nicht erforderlich sind", sagt der Abgasexperte Prof. Kai Borgeest. Daimler und andere Automobilhersteller hatten die Notwendigkeit solcher Software-Strategien immer wieder mit dem notwendigen Motorschutz begründet.

Dass das Fahrzeug aufgrund des Updates deutlich sauberer unterwegs ist, bewertet Daimler auf Nachfrage als "positiv": "In diesem Sinne wurden viele Bereiche der Motorsteuerungssoftware überarbeitet, die nicht mehr dem aktuellen Kenntnis- und Wissensstand entsprachen". Nach Ansicht von Prof. Kai Borgeest könnte das Gutachten in laufenden Gerichtsverfahren eine große Rolle spielen: "Bisher wurde Daimler beim OM642 kaum zu Schadenersatz verurteilt. Dies könnte sich nun ändern."

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