Geld und ein Blatt Papier mit der Aufschrift "Deutsche Rentenversicherung"
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Babyboomer gehen bald in Rente. Bis 2035 werden 1,5 Millionen Arbeitskräfte in Bayern fehlen (Symbolbild).

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Babyboomer in Rente: Dramatische Folgen für Unternehmen

Die Babyboomer-Generation geht demnächst in Rente. Das ist fatal für die Unternehmen, denn sie verlieren erfahrene Mitarbeitende in Zeiten von Arbeitskräftemangel. Der Nachwuchs fehlt. Firmen versuchen, die Babyboomer zu halten oder zurückzugewinnen.

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Anke Engelke, Ilse Aigner, Hape Kerkeling und Michelle Obama: Sie gehören alle zur Babyboomer-Generation. Sie sind 1964 geboren und werden in diesem Jahr 60 Jahre alt. Deutschlands geburtenstärkster Jahrgang wird demnächst in den Ruhestand gehen. Viele aus der Babyboomer-Generation wollen sogar vorzeitig in Rente gehen, wie eine Studie zeigt. Dabei sind sie oft wichtige, erfahrene Mitarbeitende für Unternehmen.

Allein in diesem Jahr werden voraussichtlich rund 285.000 Erwerbstätige in Bayern in Rente gehen, rechnet die IHK für München und Oberbayern vor. Nur rund 120.000 kommen aus den Schulen nach, so die Prognose des Bayerischen Kultusministeriums . Bis 2035 werden wohl 1,5 Millionen Arbeitskräfte im Freistaat fehlen.

IHK: Dramatische Lage für die Unternehmen

Die Unternehmen verlieren etwa ein Drittel ihrer Beschäftigten, wenn die Babyboomer (zwischen 1955 und 1969) in den kommenden Jahren in Rente gehen. Die Situation sei dramatisch, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK), Manfred Gößl, im BR24-Interview. Die Politik habe das Problem lange Zeit weggeschoben. Unternehmen seien auf sich gestellt.

Schon jetzt gebe es Personalnot: Viele Produkte können nicht mehr hergestellt, viele Dienstleistungen nicht mehr geliefert werden, so auch in der Pflege. "Wir spüren ja jetzt schon die Knappheit überall: Geschäfte haben nicht mehr so lange offen. Die Gastronomie hat die Öffnungszeiten drastisch reduziert", so der BIHK-Chef. Das werde sich alles noch viel mehr zuspitzen in den nächsten Jahren. Die "Personalnot ist die größte Wachstumsbremse", sagt Gößl.

Babyboomer als tragende Säule für den Arbeitsmarkt

Die IHKs in Bayern versuchen zu helfen und beraten ihre Mitglieder, um ältere Mitarbeitende zu halten oder zurückzugewinnen. Das am häufigsten gebrauchte Instrument sei das Arbeitszeitmodell, also Flexibilisierung, berichtet die BIHK. Die Unternehmen gehen auf die Mitarbeitenden zu, die in den Ruhestand wollen, oder die auch schon in Rente sind und fragen, ob sie wenigstens in Teilzeit mithelfen können.

BIHK-Chef Gößl nennt zwei Beispiele: Speditionen, die ihre Lastwagenfahrer in Rente einmal in der Woche einsetzen. Oder auch Einzelhandelsgeschäfte - in einem Fall sei die älteste Mitarbeiterin fast 80 Jahre alt.

Grafik: Prognose zu Renteneintritten Erwerbstätiger in Bayern

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Voraussichtlich rund 285.000 Erwerbstätige werden in Bayern 2024 in Rente gehen, so die IHK. Ein herber Verlust für viele Unternehmen.

Babyboomer in Rente: IHK fordert Renteneintrittsalter auf 69 zu erhöhen

Angesichts des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels, verschärft durch den Verlust der Babyboomer als Mitarbeitende, plädieren die bayerischen IHKs dafür, das Renteneintrittsalter stufenweise auf 69 Jahre zu erhöhen.

"Die Daumenregel heißt für jedes Jahr, das man länger lebt, zwei Drittel im Berufsleben und ein Drittel längere Rente", erklärt BIHK-Chef Gößl. "Wenn wir das angehen würden, könnten wir es schaffen, stufenweise über viele Jahrzehnte jetzt die Rente zu verlängern auf 68 Jahre und irgendwann im Jahr 2070 auf 69."

Beispiel BMW: Experten in Rente kehren zeitweise zurück

Der IT-Spezialist Michael Bär hat 37 Jahre lang bei BMW in München gearbeitet. Vor knapp vier Jahren ist er in den Vorruhestand gegangen. Nach einiger Zeit wurde es dem Oberbayern doch zu langweilig. "Ich war alleine zu Hause. Meine Frau muss noch länger arbeiten. Also habe ich bei BMW gefragt, ob ich als Senior Experte wieder arbeiten kann", erzählt der 66-Jährige.

Mit dem "Senior Expert Programm" holt BMW seit 2019 Fach- und Führungskräfte zurück. Ehemalige Kolleginnen und Kollegen können zeitweise in das Unternehmen zurückkehren und ihr Wissen einbringen. Sie haben immer noch einen großen Schatz an fachlicher Kompetenz und Erfahrung. Der älteste Senior-Experte bei BMW ist 78 Jahre alt. Bär fühlt sich seinem Unternehmen noch immer verbunden. Der Wirtschaftsinformatiker hat Spaß bei der Arbeit, das Arbeitsklima ist super und er kann mit seinem Wissen helfen.

Es sei eine Win-win-Situation – sowohl für die älteren Arbeitnehmer als auch für das Unternehmen, sagt Florian Rother, Abteilungschef bei BMW. Die Generationen könnten voneinander lernen. Einerseits gebe es das Wissen der "jungen Wilden", wie Rother – selbst 42 Jahre alt – sagt. Andererseits ist da das Know-how der Rentner-Rückkehrer. Er schätzt den "alten Hasen" Michael Bär und ist dankbar, dass der ältere Kollege hilft. "Er hat eine ruhige, sachliche Art und kennt sich mit Großrechnern und Datenbanken aus. Das brauchen wir aktuell."

Und so arbeitet Bär, der IT-Spezialist in Rente, seit knapp zwei Jahren wieder vier Tage die Woche für BMW. Für ihn ist das Entscheidende eine gute Stimmung. "Wir haben ein sehr gutes Arbeitsklima. Wenn da Stress aufkommen würde, dann würde ich auch wieder gehen. Das tue ich mir nicht mehr an", sagt der 66-Jährige und lacht.

Beispiel Schreinerei Mayr in Manching: Langfristige Mitarbeiter-Fürsorge

Die Schreinerei Ludwig Mayr in Manching bei Ingolstadt gibt es seit mehr als 70 Jahren. Der Betrieb hat 32 Mitarbeitende. Vier von ihnen sind ältere Kollegen, auf die Geschäftsführer Andreas Mayr nicht verzichten möchte. Er schätzt an ihnen ihre Arbeitseinstellung: "Die Arbeitszeit, der Einsatzwille und die Loyalität zum Betrieb."

Um die Babyboomer-Kollegen zu halten, bietet Schreiner Mayr nicht etwa mehr Gehalt oder andere Alterszeitmodelle an, sondern kümmert sich seit Jahren um die Mitarbeitenden und ihr Wohlbefinden. "Wir haben das Projekt 'Unternehmenswert Mensch', wo wir uns darum kümmern, dass es den Mitarbeitern gut geht. Wenn es auch mal privat nicht so läuft, dann versuchen wir da zu unterstützen." So baut der Schreiner eine Verbundenheit auf. Diese gebe den Leuten im Unternehmen etwas zurück und sie ließen den Betrieb wiederum nicht hängen.

Mitarbeiter Josef Jüngling zum Beispiel könnte zum Ende des Jahres in Rente gehen. Aber der 63-Jährige bleibt, um dem Betrieb zu helfen. "Noch kann ich es, die Gesundheit hält und auch der Geist spielt noch mit", sagt der Schreiner, der jetzt im Vertrieb arbeitet. Außerdem stimme das Arbeitsklima.

Chef der bayerischen Arbeitsagenturen: ernst zu nehmender Trend

Immer mehr Babyboomer werden in Rente gehen: Darüber ist auch der Chef der 23 bayerischen Arbeitsagenturen, Markus Schmitz, besorgt und spricht von einer ernst zu nehmenden Trendentwicklung. In Bayern gebe es aktuell 8,7 Millionen Erwerbstätige, so die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. 2035 werden es nur noch 8,5 Millionen sein, also 200.000 weniger. Der Fachkräftemonitor des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages prognostiziert sogar einen Fachkräfteengpass von etwa 600.000 Fachkräften für 2030.

"Der Demographie-Gap schlägt jetzt zu", sagt Schmitz. "Wir haben lange darüber gesprochen, jetzt wird er sichtbar." Durch die Verrentung gehe viel Know-how verloren. Das Volumen an Arbeitskräften fehle in der Zukunft. Die Unternehmen müssten reagieren und sich umstellen.

Lösung: Inländisches Potenzial mehr nutzen, mehr ausländische Arbeitskräfte

Seit Jahren werde an möglichen Lösungen gearbeitet, um den Verlust wertvoller Arbeitskräfte aufzufangen, sagt Schmitz. Dazu gehöre zum einen, inländisches Potenzial mehr zu nutzen. Dabei gehe es vor allem darum, die Erwerbsquote der Frauen zu erhöhen. Viele arbeiten in Teilzeit. Ein weiterer Ansatz: den inklusiven Arbeitsmarkt fördern und so Menschen mit Behinderung bessere Chancen bieten.

Zum anderen müsse das Potenzial der ausländischen Arbeitskräfte gesteigert werden, so Schmitz. "Da ist das größte Wachstum in der Beschäftigung." Bayern profitiere stark von der EU-Binnenwanderung. Ein Drittel der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehe in den Freistaat. Und auch Geflüchteten müsse der Zugang auf den deutschen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Schmitz sagt: "Wir können es uns nicht leisten, einen Bereich auszusparen."

Transparenzhinweis: In der ursprünglichen Fassung des Textes war eine falsche Differenz zwischen den aktuellen Erwerbstätigen (8,7 Millionen) und der Prognose der Erwerbstätigen 2035 (8,5 Millionen) angegeben - hier war von 300.000 statt 200.000 die Rede. Das haben wir entsprechend im Text korrigiert.

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