Um Engpässe aufgrund des Fach- und Arbeitskräftemangels auszugleichen, holen Arbeitgeber Rentner zurück ins Berufsleben.
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Um Engpässe aufgrund des Fach- und Arbeitskräftemangels auszugleichen, holen Arbeitgeber Rentner zurück ins Berufsleben.

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Arbeitende Rentner: Warum sie für Unternehmen wertvoll sind

Ein Grund für den Fachkräftemangel: Viele Babyboomer, also Frauen und Männer aus den geburtenstarken 50ern und 60ern, gehen jetzt in Rente. Was also tun? Eine Idee: Diejenigen zurückholen, die sich in den Ruhestand verabschiedet haben – Rentner.

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Der Fachkräftemangel in Deutschland geht auch auf die demografische Entwicklung zurück: Die Menschen werden immer älter und es kommen zu wenige junge nach. Die BR-Redaktion mehr/wert hat drei Rentner begleitet, die von ihren Arbeitgebern zurück ins Berufsleben geholt wurden, um Engpässe auszugleichen.

Rentner sind in vielen Branchen mehr als willkommen. Und durch den Wegfall der Hinzuverdienstgrenze für Frührentner hat sich die Situation auch für die Mitarbeitenden verändert.

Erfahrungsschatz sollte nicht verloren gehen

Eigentlich wäre Ende des Jahres 2022 Schluss gewesen. Denn da hat Walter Girst nach knapp 43 Arbeitsjahren das Rentenalter erreicht. Aber stattdessen kümmert sich der 66-Jährige zum Beispiel während der Motorrad-Show "Night of the jumps" darum, dass in der Münchner Olympiahalle technisch nichts schiefläuft. Girst ist Radio- und Fernseh-Techniker. Und damit eine gesuchte Fachkraft.

Für die Stadtwerke München hat er in seinem Leben unzählige Veranstaltungen begleitet. So viel Erfahrung bringt sonst kaum einer mit – der Arbeitgeber wollte ihn daher ungern gehen lassen. Und Girst sagte gern zu: "Ich geh halt noch gern in die Arbeit und der Übergang zur Rente ist so einfacher, wie wenn man jetzt einen Cut macht. Und zusätzlich kommt mach auch noch ein bisschen Geld dazu." Bis zu 20 Stunden arbeitet Girst nun im Monat, oft abends. Er steuert Werbetafeln, eilt los, wenn versehentlich ein Rauchmelder angeht. Der Job verlangt Stressresistenz.

Rentner – die Arbeitskräfte von morgen?

Sind Rentner wie Walter Girst die Arbeitskräfte von morgen? Unternehmervertreter sehen angesichts von bayernweit jährlich knapp 300.000 Neurentnern eine große Chance. "Ohne eine verstärkte Mitarbeit und Unterstützung der Älteren schaffen wir es in Deutschland nicht mehr", sagt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern. "Wir brauchen diese Menschen. Auch die Politik muss das deutlich sagen: 'Wir brauchen euch, wo ihr noch mithelfen wollt, und noch mithelfen könnt. Da wollen wir unterstützen, da wollen wir Hindernisse aus dem Wegräumen, sonst klappt es nicht.''' Dabei wurde das Renteneintrittsalter ohnehin schon erhöht. Auch deshalb arbeiteten 2021 bereits deutlich mehr Menschen im Alter zwischen 65 und 70.

Auch die Münchner Pharmazeutin Sabine Fuchsberger-Paukert kämpft um jede Arbeitskraft. Bedarf hätte sie in fast jedem Bereich, vor allem in der Buchhaltung. Aus der Not heraus hat sie vor fünf Jahren einen Rentner eingestellt. Rudi Reupold verstärkt das Team seitdem für achteinhalb Stunden in der Woche. "Rudi hat sehr viel Erfahrung und bringt sehr viel Ruhe in das Team rein, das im Moment aus sehr vielen jungen Mitarbeitern besteht", beschreibt die Pharmazeutin die Situation. "Und mit seiner langjährigen Erfahrung geht er ganz anders an Dinge ran und wenn große Aufregung im Team ist, kann er da sehr beruhigend auf das Team einwirken."

Der 70-Jährige hat viele Jahre im Finanzdienstleistungssektor gearbeitet. Ihm geht es weniger ums Geld, als um die sozialen Kontakte. "Du musst halt bereit sein, als Rentner auch andere Arbeit zu machen", erklärt Reupold. "Ich habe 20 Jahre Personal-Verantwortung auch gehabt, bis fast zum Schluss. Du musst dich auf so etwas einlassen. Ich mache im Endeffekt eine Arbeit, die sonst keiner machen will. Hier mache ich auch Ablage." Für die Firma ist Reupold ein Segen. Und seine Mitarbeit entschärft das Personalproblem, mit dem Chefin Fuchberger-Paukert kämpft. Ihre Erfahrung: Viele Junge denken vor allem an die Work-Life-Balance und wollen am liebsten Teilzeit arbeiten.

IHK-Geschäftsführer: "Streichen der Hinzuverdienstgrenze richtig"

Arbeiten im Alter – zwingen kann man dazu natürlich niemanden. IHK-Chef Gößl will daher unter anderem finanzielle Anreize schaffen. Dass die Politik die Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner aufgehoben hat, sieht er als Signal in diese Richtung: Man dürfe nicht bestraft werden oder eben nicht gar nichts davon haben, wenn man weiterhin erwerbstätig sei. "Deshalb war das Streichen der Hinzuverdienstgrenzen auch richtig", so Gößl.

Sylvia Linden profitiert von den neuen Regelungen. Dass sie jemals an ihren Arbeitsplatz im Hotel zurückkehren würde, hätte sich die 63-Jährige nicht träumen lassen. Nach einem schweren Herzinfarkt bezieht sie eine Erwerbsminderungsrente. Im Hotel von Gabriele Dreisbach fehlte die beliebte und erfahrene Mitarbeiterin. Die Hotel-Geschäftsführerin fragte schließlich bei Linden nach, ob sie sich vorstellen könne, wieder ein bisschen zu arbeiten.

Seitdem arbeitet Linden wieder mehrere Stunden im Monat im Hotel. Zwar bedient sie nicht mehr im Restaurant, aber hinter der Theke fühlt sie sich sicher. Es geht ihr nicht nur um eine bessere Rente, sondern auch um das Gefühl. "Weil ich mich wieder gebraucht fühle. Ich kann mich bewegen. Und es wird Rücksicht auf mich genommen. Die Leute wissen, was mir passiert ist", sagt Linden. Für sie sind die Arbeit und der Hinzuverdienst wertvoll.

Doch längst nicht jeder Rentner ist in der Lage, im Alter noch in seinem Beruf weiterzuarbeiten. "Ich glaube, es kommt immer auf die Tätigkeit an", erläutert IHK-Hauptgeschäftsführer Gößl. Dabei gehe es etwa darum, ob es sich um eine schwere körperliche Arbeit beispielsweise in der Pflege oder auf der Baustelle handele. "Da kann man das sicherlich nicht mehr erwarten", so Gößl.

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