Beleidigung und Volksverhetzung ist in Deutschland ebenso strafbar, wie ein Hakenkreuz zu zeigen – online wie offline. Für die Verfolgung dieser Straftaten sind Polizei und Staatsanwaltschaften zuständig. Doch es gibt offenbar große Unterschiede dabei, wie diese Behörden bei der Verfolgung von Hass im Netz umgehen. Das zeigt ein Experiment der ZDF-Sendung Magazin Royale, die der Satiriker Jan Böhmermann moderiert: Im August 2021 legten Korrespondentinnen und Korrespondenten in allen 16 Bundesländern in ihrer örtlichen Polizeiwache dieselben sieben Hasskommentare zur Anzeige vor. Diese richteten sich unter anderem gegen Juden und Flüchtlinge, zeigten NS-Symbole oder drohten auch offen mit Gewalt.
Zwar war niemand von den Korrespondentinnen und Korrespondenten von einem der angezeigten Hasskommentare persönlich betroffen. Es handelte sich bei den Kommentaren jedoch um "Offizialdelikte". Solche Delikte muss die Polizei "von Amts wegen" verfolgen, sobald sie Kenntnis davon erlangt – egal, von wem und wie die Polizei davon erfährt.
"Haben Sie keine anderen Sorgen?"
Die Ergebnisse, die die Redaktion auf einer eigenen Website dokumentiert hat, waren sehr unterschiedlich: Während etwa in Hessen dem Magazin zufolge schnell reagiert und die Anzeigen an den Staatsschutz weitergegeben wurden, fragte ein Polizist in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg eine Mitarbeiterin des Magazins, "ob sie keine anderen Sorgen habe". Dann forderte er sie auf, die Botschaften dem Betreiber der Websites zu melden.
Im Falle einer Hakenkreuzdarstellung gaben mehrere Landesbehörden noch vor einigen Wochen an, sie hätten den Täter nicht ermitteln können. Dagegen konnte die Polizei in Baden-Württemberg den Täter finden, der dem Magazin zufolge vom Amtsgericht Aalen bereits zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.
Münchner Polizist: "Mei, ist halt das Internet"
Und Bayern? Hier nahm ein Beamter in der Polizeiinspektion 42 in München-Neuhausen die Anzeigen entgegen und sagte dazu: "Mei, ist halt das Internet." Er fragte den Korrespondenten, ob dieser selbst davon betroffen sei. Als dieser verneinte, riet ihm der Polizist, die Kommentare bei den Plattformen zu melden. Das ist zwar möglich, löst aber keine Strafverfolgung aus. Der Korrespondent kommt zu dem Schluss: "In München hat die Polizei eher wenig Motivation, Hass im Netz zu verfolgen", wie es auf der Auswertungsseite zu Bayern heißt.
Der Korrespondent blieb hartnäckig und brachte die sieben Posts dann in München zur Anzeige. Bei den darauf folgenden Ermittlungen konnte die Münchner Polizei die Tatverdächtigen in vier von sieben Fällen ausfindig machen. Die Ermittlungen wurden dann den jeweiligen Staatsanwaltschaften an den Wohnorten der Tatverdächtigen übergeben. Ein Tatverdächtiger ist bereits verurteilt worden und zwar vom Amtsgericht Aalen. In drei Fällen dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München, die die Fälle übernommen hat, an. In zwei Fällen stellte sie die Ermittlungen ein, weil der Tatverdächtige nicht ermittelt werden konnte. Im siebenten Fall wurden die Ermittlungen eingestellt, weil kein Straftatbestand nachgewiesen werden konnte.
Anzeige online zu erstatten ist nur sehr eingeschränkt möglich
Immerhin gibt es in Bayern wie in fünf anderen Bundesländern eine Online-Wache, bei der man eine Anzeige auch online einreichen kann. Allerdings nur für bestimmte Delikte wie Betrug oder Diebstahl, nicht jedoch bei Beleidigung oder anderen Straftatbeständen, die mit Hate Speech in Verbindung stehen.
Als Folge aus der ZDF Magazin Royale-Sendung wird in einigen Bundesländern wegen Strafvereitelung gegen Polizisten ermittelt. Die Polizei in Magdeburg in Sachsen-Anhalt nahm nach eigenen Angaben "umgehend Ermittlungen zur Sache" auf. Unter anderem sei gegen einen Polizeibeamten ein Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt eingeleitet worden. Nach bisherigen Erkenntnissen sei "die Entgegennahme einer Strafanzeige seinerzeit unterblieben".
Ermittlungen gegen Polizisten wegen Strafvereitlung
In Bremen erklärte die Polizei, dass sie durch eine Medienanfrage auf den möglichen Verstoß eines Polizisten aufmerksam geworden sei, Strafanzeige erstattet und ein Disziplinarverfahren eingeleitet habe. Der betreffende Beamte soll eine Anzeige zwar aufgenommen, aber erst zwei Monate später im Bearbeitungssystem erfasst haben.
Auch in Sachsen habe die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Unbekannt wegen einer möglichen Strafvereitelung im Amt aufgenommen, berichtete Böhmermann bereits in seiner Sendung am Freitag.
Faeser: Hartes Vorgehen gegen Hass im Netz ist wahnsinnig wichtig
Aus der Politik kamen am Wochenende Forderungen nach einer besseren Bekämpfung von Hass im Netz. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte eine bessere Schulung von Polizisten und ein konsequenteres Vorgehen auf Länderebene.
Eine Konsequenz der Recherchen müsse es sein, "dass die Ermittlungsbehörden vor Ort, die Polizeidienststellen, geschult werden, dass sie gut damit umgehen können, weil das harte Vorgehen ist wahnsinnig wichtig", sagte Faeser im "Bericht aus Berlin" der ARD.
Die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) forderte einen "bundesweiten, staatlichen Online-Dienst für die Anzeige solcher Straftaten".
HateAid wirft Polizei mangelnde Sensibilisierung vor
Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid, einer Beratungsstelle gegen Hass im Netz, bestätigte die Rechercheergebnisse des ZDF. Nahezu wöchentlich mache man schlechte Erfahrungen beim Umgang mit Strafanzeigen gegen Hasskommentare, sagte von Hodenberg im RBB-Inforadio. Betroffene würden weggeschickt, die Straftat werde kleingeredet oder den Leuten werde von einer Anzeige abgeraten. Als Grund nennt sie mangelnde Sensibilisierung bei der Polizei. Das Problem werde erst seit einigen Jahren angegangen. Nicht alle Länder bildeten die Polizei entsprechend aus. Teilweise werde das Internet wie ein anderer Raum wahrgenommen, wie eine Bagatelle: "Dieses Bewusstsein, dass dieses Internet tatsächlich das richtige Leben ist und dass hier eben auch Straftaten passieren, das ist bei vielen einfach noch nicht da."
Laut von Hodenberg muss auch das bestehende Netzwerkdurchsetzungsgesetz noch mal nachgeschärft werden. "Das Ziel sollte tatsächlich sein, dass wir mehr Strafverfolgung bekommen", sagt die Expertin. Diese Maßnahme betreffe den Bund, "aber das wird uns nicht davon entbinden, dass wir in den Ländern Polizeien und Strafanwaltschaft brauchen, die dieses Thema ernst nehmen und hier auch wirklich konsequent Strafverfolgung betreiben", so von Hodenberg.
(Mit Material von Agenturen)
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