02.06.2023, USA, Chicago: Taylor Swift tritt während der Eröffnungsnacht der "Chicago Eras Tour" im Soldier Field auf. Foto: Shanna Madison/TNS via ZUMA Press Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Taylor Swift Konzert

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Taylor Swift – Pop-Riesin und Freundin von nebenan

In 17 Jahren Karriere hat sich Taylor Swift vom Country-Jungstar zum internationalen Pop-Superstar entwickelt. 2024 spielt sie erstmals in München, wegen des Andrangs gleich doppelt. Das Konzept: maximaler Erfolg durch maximale Nahbarkeit.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Taylor Swift spielt gedankenverloren Klavier, die Haare improvisiert zum Zopf geknotet, Schlabber-Look-Outfit, über die Tasten schleicht eine Katze: So beginnt eine Netflix-Dokumentation über das Phänomen Taylor Swift aus dem Jahr 2020, wobei "Dokumentation" im kritisch-journalistischen Sinne wohl etwas hoch gegriffen wäre.

Wir als Zuschauer — und das ist möglicherweise auch der Entwurf hinter dem Phänomen Swift — sollen sehen: Hier ist jemand ganz bei sich, eine junge Frau, welche die großen und kleinen Probleme des Lebens (im Zweifel lieber die kleinen) in Pop-Songs gießt.

Gleich in der zweiten Einstellung sehen wir Swift, die ihr erstes Tagebuch herauskramt, das sie mit 13 begonnen hat. Darauf steht geschrieben: "Mein Leben, meine Karriere, mein Traum, meine Realität." Während sie die Seiten durchblättert sagt sie: "Mein ganzer moralischer Code, sowohl als Kind als auch heute, ist das Bedürfnis danach, als 'gut' empfunden zu werden."

Die Anfänge: Knietief im Country

Wer versucht, Swifts Karriere an diesem Maßstab entlang zu erzählen, trifft immer wieder auf Scheidewege: 2005 unterschrieb sie ihren ersten Plattenvertrag, 2006 erschien ihr erstes selbstbetiteltes Album.

Swift, geboren 1989 als Tochter eines Vermögensberaters und einer PR-Angestellten, war damals 16 und stand zunächst musikalisch knietief im Country, der wohl einzigen amerikanischen Musikrichtung, deren internationaler Erfolg bis heute eher begrenzt ist. In den USA selbst allerdings räumte Swift spätestens mit ihrem zweiten Album "Fearless" bereits vieles ab, wofür andere jahrelang vor sich hinmusizieren: Meistverkauftes Album des Jahres 2009, vier Grammys, Platz 1 der Country-Charts – und langsam auch erste internationale, vorsichtige Aufmerksamkeit.

Im gleichen Jahr kam es auch zu einem Vorfall, der in die Musikgeschichte einging: Bei den "MTV Video Music Awards", bei denen Swift mit einem Live-Auftritt langsam ihre Emanzipation vom Country in Richtung Pop einläuten wollte, stürmte der angetrunkene Rapper Kanye West, während der Preisübergabe an Swift in der Kategorie "Bestes Video einer weiblichen Künstlerin", die Bühne.

Er rief, die ebenfalls nominierte Beyoncé hätte "eines der besten Videos aller Zeiten" abgeliefert. Ein Moment, der zu endlosen Diskussionen, Aussprachen, neuen Beleidigungen und Gerüchten führte und der die nach "Gut-gefunden-Werden" strebende Swift über Jahre verunsicherte. Sogar der damalige US-Präsident Barack Obama schaltete sich im Laufe der Debatte ein und bezeichnete West als "Idioten".

Perfektioniertes Storytelling

Spätestens mit dem 2014 erschienenen Album "1989" gelang Swift dann der Wesenswandel in Richtung Pop. Doch obwohl sie mit Hit-Maschinen wie Max Martin und zahlreichen anderen Songwriting- und Producergrößen arbeitete, schrieb und produzierte sie stets selbst mit. Thematisch bewahrte sie so in ihren Texten eine sehr persönliche - man könnte fast schon sagen selbstreferentielle - Note. Ihre Songs hatten bereits damals das, was man heute in PR-Abteilungen dieser Welt verzweifelt sucht: Ein nahezu perfektes "Storytelling" mit maximaler "Authentizität".

Gewissermaßen ist Swift also ein Gegenentwurf zu all jenen Künstlerinnen und Künstlern, die sich lieber als übermenschliche Hybrid-Wesen inszenierten, unterwegs in einem eigenen Universum, das sich nur bei Konzerten für wenige Momente mit der Welt der Fans verschränkt.

Wenn Swift in einem Song wie "Clean" etwa detailliert vom Loslassen eines Verflossenen erzählte, war man als Fan eingeladen zu spekulieren, um welchen Ex-Freund es sich hier wieder drehte (im konkreten Fall übrigens angeblich um Harry Styles). Auch wenn hier eine milliardenschwere Pop-Riesin sang, konnte man sie sich so stets allein am Klavier imaginieren, vielleicht als beste Freundin direkt im Nachbarhaus gegenüber, beschäftigt mit den gleichen Dingen wie man selbst.

Politisch, ja oder nein?

Von einem Thema hatte die durch ihre Wurzeln im Nashville-Country bei Konservativen beliebte Künstlerin allerdings stets Abstand gehalten: der Politik. Seit die Country-Band "Dixie Chicks" sich 2003 gegen Präsident George W. Bush gewandt hatte, galt in der Szene: Lieber keine Stellung beziehen. 2016 gab es etwa Medienberichte, laut denen amerikanische White-Supremacy-Unterstützer Swift im Netz als ihre "arische Königin" feierten und ihr "nordisches Blut" lobten. Swift äußerte sich dazu damals nicht. "Als Country-Musikerin wurde mir immer gesagt, lieber nichts mit Politik zu machen", sagte sie einmal in einem Interview.

2018 allerdings machte Swift öffentlich, dass sie bei den Kongresswahlen einen Kandidaten der Demokraten unterstütze. "Es macht mich stolz, meine Ängste und Selbstzweifel hinter mir gelassen zu haben und Führungspersonen zu unterstützen, die uns über diesen spaltenden und herzzerreißenden Moment in der Zeit hinwegbringen", sagte sie damals.

In ihrer Single "You Need to Calm Down" und in dem dazugehörigen Video setzte die Sängerin mit Repräsentanten der LGBT-Szene und dazugehöriger Flagge ein Statement gegen Homophobie. Während Swift ihre Politisierung als Lernprozess beschreibt, der mit der Wahl Trumps 2016 begonnen habe, warfen ihr andere Opportunismus vor: Der Schritt hin zu politischen Statements hätte irgendwann einfach weniger Schaden versprochen, als das anhaltende Schweigen.

Ziel erreicht

Heute ist Taylor Swift größer und beliebter denn je: Erst im vergangenen Jahr belegte sie alle zehn Plätze der US-Top-Ten gleichzeitig, ihr aktuelles Album "Midnights" wurde innerhalb eines Tages so oft gestreamt wie keines zuvor, für das geplante Konzert in München im Sommer 2024 wurde bereits jetzt ein Zusatztermin anberaumt. Ihre eigene informelle Fan-Bewegung, die sogenannten Swifties, organisiert sich weltweit und vor allem im Netz: Mit Aufrufen zum exzessiven Streamen, Kaufen und Reposten heißt Fan-Sein heute eben auch, PR-Wellen mit anzuschieben. Falls es weiterhin Swifts Ansinnen ist, von möglichst vielen Menschen als "gut" befunden zu werden, könnte man also beim reinen Blick auf die Zahlen sagen: Ziel erreicht.

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