Bei einem Besuch im Fernen Osten am 11. September 2023
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Wladimir Putin

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Spott über Putins Wahlen: "Wollt ihr Gott zum Lachen bringen?"

Seit Kremlsprecher Dmitri Peskow verkündete, niemand in Russland könne Putin "das Wasser reichen", wenn dieser noch einmal für die Präsidentschaft kandidiere, hagelt es im Land Kritik: "Alle anderen sitzen im Knast oder sind über die Welt verstreut."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Für den Fall, dass er bei der nächsten Wahl im März 2024 noch einmal antrete, habe Wladimir Putin "keine wirklichen Konkurrenten" zu fürchten, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die jüngsten Regionalwahlen hätten bewiesen, dass Putin die "volle Unterstützung" der Bevölkerung genieße: "Er hat eine große Chance und große Verantwortung." Für diese regierungsamtliche Propaganda-Lyrik hagelte es jedoch innerrussische Kritik, oft humorvoll verpackt: "Nun, dem kann man nicht widersprechen. Alle chancenreichen Wettbewerber sitzen entweder oder sind über die ganze Welt verstreut", hieß es in einem der vielen hundert Leserkommentare der St. Petersburger Zeitung "Fontanka". Ein weiterer Leser schrieb: "Wenn ich sage, dass wir den Weg Nordkoreas einschlagen, glauben mir viele nicht. Nun ja." Vermutlich seien alle Wahlprotokolle längst unterschrieben, hieß es mit Blick auf frühere Meldungen, wonach der Kreml ein Ergebnis von mehr als 85 Prozent für Putin ansteuere.

"Wahlsystem funktioniert wie teure Schweizer Uhr"

Bei der letzten Wahl am 18. März 2018 erreichte Putin nach offiziellen Angaben 76,69 % Stimmen. Den zweiten Platz belegte der damalige Kandidat der Kommunistischen Partei, Pawel Grudinin, der 11,77 % der Stimmen erhalten haben soll. Abgeschlagener Dritter wurde der inzwischen verstorbene rechtsextreme Politclown Wladimir Schirinowski mit 5,65 %. Putin sprach von den "wahrscheinlich transparentesten und saubersten Wahlen in der russischen Geschichte". Bei früheren Wahlen hatte Putin im Jahr 2000 lediglich knapp 53 Prozent erreicht, vier Jahre später rund 71 Prozent und nach einer verfassungsbedingten "Auszeit" als Premierminister bei einer weiteren Präsidentenwahl 2012 knapp 64 Prozent erreicht. All diese Ergebnisse will der Kreml angesichts des Krieges beim nächsten Urnengang wohl "hinter sich lassen".

Der Chefredakteur der auflagenstarken "Moskowski Komsomlez", Michail Rostowski, ist der Ansicht, dass Russlands Wahlsystem so gut funktioniere "wie eine teure Schweizer Uhr". Die Regionalwahlen seien als "Generalprobe" für Putins Wiederwahl zu verstehen und verdienten eine "Eins plus". Es gebe zwar keinen "echten Wettbewerb", der könne das Land folgerichtig aber auch nicht "erschüttern". Rostowski verwies auf die gescheiterte Rebellion von Söldnerchef Prigoschin im Juni: "Politische Stabilität in Russland sollte niemals als selbstverständlich angesehen werden." Allerdings vergaß Rostowski nicht, auf die "eilige politische Romanze" Putins mit dem nordkoreanischen Pjöngjang zu verweisen, was "objektiven Trends in den internationalen Beziehungen" geschuldet sei - möglicherweise ein sehr zarter Anflug von Ironie.

"Jeder andere ist eine lebende Leiche"

"Robinson Crusoe hatte auch niemanden, gegen den auf der einsamen Insel jemand antreten konnte, aber das lag nicht daran, dass er so schlau war, sondern daran, dass seine Wählerschaft ausschließlich aus dem Wilden namens Freitag bestand", brachte jemand die Mitdiskutanten zum Schmunzeln. In Russland verwandle sich jede Partei "früher oder später in die KPdSU". Sarkasmus ist sehr verbreitet: "Wer braucht diese Wahlfarce? Ist es wirklich so beängstigend, auf ein Podium zu steigen und zu sagen, dass es keine Wahlen mehr geben wird und er König aufs Lebenszeit sein wird? Wenn jemandem etwas nicht passt, fliegt er halt in der Business Class zu einem Konzert des [verstorbenen sowjetischen Popstars] Iossif Kobson."

"Wollt ihr Gott zum Lachen bringen?" fragte ein Debattenteilnehmer ironisch. Ein offenbar kommunistischer Bürger bilanzierte, Putin entvölkere wegen des dramatischen Geburtenrückgangs ganze Landstriche, treibe Rentner "ins Grab", exportiere den Reichtum des Landes ins Ausland und habe dazu beigetragen, dass das sowjetische Wirtschafts- und Sozialsystem "völlig zerstört" worden sei: "Wir haben also einen sehr patriotischen Präsidenten!" Im Grunde habe Peskow alles mitgeteilt, "was russische Bauern über Politik wissen" müssten, so ein Kommentar. Absolut jeder Wettbewerber Putins werde bei der Wahl eine "lebende Leiche" sein. In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, dass der rechtsextreme Nationalist Igor Strelkow, der seine Kandidatur bereits angekündigt hatte, hinter Gittern sitzt, und der einst populäre Söldnerführer Jewgeni Prigoschin bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein soll.

"Putin braucht 'verrottende' Rebellen"

"Lasst [Oppositionspolitiker] Nawalny frei, und Putin werden die Augen aus dem Kopf treten", meinte ein Diskutant. "Wie bitte, es gibt eine Wahl?" wurde spöttisch gefragt, das sei doch nur "prowestlicher Unsinn": "Viele [potentielle Konkurrenten] weilen ja bereits im Jenseits." Möglicherweise soll der in einem Sondergefängnis eingesperrte Alexej Nawalny übrigens in nächster Zeit gegen einen russischen Agenten und Auftragsmörder ausgetauscht werden, so das "Wall Street Journal" in einer Meldung. Damit wäre Putin seinen gefährlichsten innerrussischen Kritiker aus dem "liberalen" Lager der Bürgerrechtler ein für alle Mal los. Für Nawalny wäre das eine "persönliche Katastrophe", so russische Beobachter, stünde er nach seiner Ausreise doch für jeden sichtbar in der Schuld der USA. Es gab allerdings auch Blogger, die nicht mit einem Austausch rechnen: "Putin braucht einen 'verrottenden Rebellen' in den Kerkern, und es verleiht ihm eine gewisse Macht und Magie, über Nawalny nach Belieben zu verfügen und ihn zu dominieren."

"Was, wenn Putin nach Brasilien geht?"

Ein juristisch versierter Leser bemerkte: "Personen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, können laut unserer Gesetzgebung nicht gewählt werden. Die Russische Föderation achtet die Grundsätze des Völkerrechts und verpflichtet sich, die Beschlüsse internationaler Organisationen im Rahmen der unterzeichneten Abkommen umzusetzen. Es hat sich nicht aus dem Internationalen Strafgerichtshofs zurückgezogen, sondern seine Teilnahme nur ausgesetzt. Der dortige Gerichtshof [in Den Haag] sucht nach jemandem, nicht wahr?"

"Patriotismus ist eine klare, nachvollziehbare und gut durchdachte Erklärung dafür, warum wir schlechter leben sollen als andere", zitierte jemand den sowjetischen Komiker Michail Žvaneckij (1934 - 2020). Einen wirklichen Wahlkampf könne es erst geben, wenn Putin nicht mehr im Fernsehen auftreten dürfe und mindestens ein halbes Jahr lang nur noch Oppositionelle zu Wort kämen, spottete jemand. Ein weiterer fragte sich: "Was, wenn Putin nach Brasilien geht?" Das bezog sich darauf, dass der brasilianische Präsident Luis Inácio Lula angekündigt hatte, Putin im Fall des Falles nicht festnehmen zu lassen, um ihn nach Den Haag auszuliefern. Später korrigierte sich Lula in diesem Punkt allerdings.

"Rein statistisch muss es Alternativen geben"

Im Wirtschaftsblatt "Business Gazeta" wurde gefragt, warum umgerechnet rund 330 Millionen Euro für eine Wahl ausgegeben würden, wenn es keine Konkurrenten und "keine Perspektiven" gebe. Das Geld könne der Kreml doch "an die Armen" verteilen oder damit "zwanzig hochmoderne Schulen errichten". Sogar die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher wurde als Gegenbeispiel genannt: Sie habe am Ende ihrer Karriere eine Zustimmung von 59 Prozent der Bevölkerung gehabt, und dennoch seien damals 74 Prozent der Befragten der Ansicht gewesen, es sei richtig für sie, in den Ruhestand zu gehen.

Für Gebildete schrieb ein Leser, der anscheinend viel vom Rechnen versteht: "Ich glaube an die Gaußsche Normalverteilung und die Mathematik. Ihr auch? In einem Land mit 145 Millionen Einwohnern muss es Alternativen [zu Putin] geben. Rein mathematisch und statistisch. Die Stichprobe ist zu groß. Darüber hinaus sollten alle Menschen ganz normal arbeiten und pünktlich in den Ruhestand gehen." Niemand brauche abermals ein "sieches Zentralkomitee" wie zu Zeiten der kommunistischen Herrschaft oder einen Langzeit-Herrscher - außer im Fall der Königin von Dänemark oder auch Stammes-Häuptlingen aus Togo.

"Keine echte Demokratie, sondern teure Bürokratie"

Blogger Jewgeni Pawlow warf Kremlsprecher Peskow vor, in seinem Propaganda-Furor geradezu destruktiv zu sein: "Manchmal scheint es, dass niemand dem Image Wladimir Putins so sehr schadet wie die 'Partei des Präsidenten' selbst. Loyalitäts-Gesten gehen Hand in Hand mit dem Ausnutzen seiner Autorität, und alle 'Sünden' und Dummheiten, die denjenigen zugeschrieben werden, die sich demonstrativ unter Putins Banner versammeln, drücken wie eine schwere Last auf den Patriarchen selbst."

Gegenüber der "New York Times" hatte Dmitri Peskow Anfang August gesagt: "Unsere Präsidentschaftswahlen sind keine echte Demokratie, sondern kostspielige Bürokratie. Herr Putin wird nächstes Jahr mit mehr als 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt." Nachdem russische Medien auf die merkwürdigen Auslassungen verwiesen hatten, beklagte sich der Pressesprecher darüber, dass seine Worte angeblich "nicht richtig" wiedergegeben worden seien. "Es gab von der Seite des Interviewers eine Frage zu den Wahlen und dazu, wer gewählt wird. Die Antwort war folgende: Die Gesellschaft schart sich absolut beispiellos geschlossen um den Präsidenten, so dass wir schon jetzt zuversichtlich sagen können, dass Putin im Falle einer Nominierung mit großem Vorsprung wiedergewählt werden wird, daran besteht kein Zweifel. Aber Wahlen gehören zur Demokratie, darüber hat der Präsident selbst gesprochen", so Peskow in seiner Erläuterung. Und weiter: "Obwohl die Wahl andererseits viel Geld kosten wird, ist von vornherein klar, dass Putin mit großer Mehrheit wiedergewählt wird. Das wurde besprochen."

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