Jetzt wo langsam die Tage wieder kürzer werden und Regentage Abkühlung von der Sommerhitze versprechen, warten auch die Streamingdienste wieder mit neuem Binge-Material auf. Die Kultur-Clash-Comedy "Das Institut" vom BR und MagentaTV wird endlich fortgesetzt – die Ausstrahlung im Bayerischen Fernsehen erfolgt Anfang 2020. Wir müssen uns mit der letzten Staffel der Serie “Orange Is The New Black” nun von den Ladies im Gefängnis von Litchfield verabschieden. Und David Fincher geht wieder auf Serienmörderjagd in "Mindhunter". Ähnliches versucht auch die erste Originalserie des neuen deutschen Streamingangebots Joyn: "23 Morde" mit Franz Dinda wurde dafür aus dem Archiv von Sat.1 befreit. Dort wartete die leider nicht sehr originelle Thrillerserie seit 2015 auf ihre Ausstrahlung. Aufregender wird es im August mit diesen neuen Serien:
“The Terror: Infamy” – Schrecklicher als die Realität
Für Freunde von: Serien, die unterhalten und trotzdem lehrreich sind, wie Chernobyl, dem kalten Grauen der ersten Staffel von "The Terror", und dem ganz spezifisch amerikanischen Schrecken von "American Horror Story".
Ein dunkles Kapitel in der amerikanischen Geschichte beginnt im Dezember 1941. Die USA wurden gerade vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbor überrascht, plötzlich sind amerikanische Bürger japanischer Herkunft Feinde im eigenen Land. Lager werden errichtet, 120.000 japanisch-stämmige Menschen abtransportiert und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs interniert. Soweit steht es in den Geschichtsbüchern und soviel sollte man wissen, bevor die neue Staffel der Anthologieserie "The Terror" startet.
In der ersten Staffel waren britische Seemänner auf der Suche nach der Nordwestpassage zwischen Hochmut und Einsamkeit im arktischen Eis festgekeilt. Diesmal gibt es kein Entkommen vor Rassismus und Tradition: Weder für den jungen Fotografen Chester Nakayama (Derek Mio) und seine schwangere, mexikanisch-stämmige Freundin Luz (Cristina Rodlo), noch für seine aus Japan eingewanderten Eltern, die sich mit Fischerei ein gutes Leben aufgebaut haben. Sie werden, wie all ihre Freunde und Nachbarn, in ein Internierungslager gebracht, wo bald unheimliche Dinge geschehen. Die Alten sind sich sicher, dass ein Yūrei, also ein rachsüchtiger Geist, sein Unwesen treibt.
Statt sich auf eine Buchvorlage zu beziehen, wie in der ersten Staffel von "The Terror", erzählt “The Terror: Infamy” mit den Mitteln japanischer Kaidan – Gruselgeschichten mit einer Moral – vom Grauen der Vergangenheit. Dagegen verblasst zwar der ominöse Geist, dennoch erinnert uns die Serie so sehr effektiv daran, dass sich die Geschichte gerade an der mexikanischen Grenze zu wiederholen droht.
Viele, die an der Serie beteiligt waren, haben einen familiären Bezug zum Thema, was sich in vielen kleinen Details widerspiegelt. In dem hauptsächlich japanisch-stämmigen Cast ist zum Beispiel der Aktivist und "Raumschiff Enterprise"-Veteran George Takei in einer Nebenrolle zu sehen. Er hat seine Kindheit selbst in Internierungslagern verbracht und die Serienmacher Alexander Woo und Max Borenstein beraten.
"The Terror: Infamy" ist ab dem 19.08. komplett bei Amazon Prime Video abrufbar.
"Carnival Row" - Fantasy-Nachschub für Game of Thrones Fans?
Für Freunde von: der fantasievollen Welt aus "Penny Dreadful", der blutigen Spannung von "Taboo", und der alternativen Realität mit Feen und Hexen von "A Discovery Of Witches".
Seit fast drei Monaten sitzen Fantasyfans serientechnisch auf dem Trockenen: "Game Of Thrones" ist zu Ende, aber ein würdiger Nachfolger noch immer nicht gefunden. Der neueste Serienkandidat kommt von Amazon und hat auf den ersten Blick alles, was das Thrones-Herz begehrt: Sex, Gewalt und Fabelwesen. Dazu eine riesige Serienwelt und umfassende Mythologie, sowie eine Kostümausstattung, die "Downton Abbey" blass aussehen lässt.
Und auch die Story ist erst einmal vielversprechend: Die Elfe Vignette (Cara Delevigne) hat die Überfahrt auf dem Flüchtlingsschiff gerade so überlebt. Sie ist in The Burgue gestrandet, einem alternativweltlichen London Ende des 19. Jahrhunderts, wo sie prompt ihrer verloren geglaubten Liebe, dem Polizeiermittler Rycroft Philostrate (Orlando Bloom) in die Arme läuft. Aber Beziehungen zwischen Fabelwesen und Menschen sind unerwünscht in dieser Welt: Die Menschen haben den Kolonialkrieg gegen die Elfen vor einigen Jahren gewonnen und halten den wackligen Frieden zwischen den Spezies mit Unterdrückung und Ausgrenzung.
Ob sich diese nicht so subtile Gesellschaftskritik im Fantasygewand über die gesamten acht Folgen der ersten Staffel trägt, und ob die von Philostrate untersuchten Kriminalfälle noch mehr zu bieten haben als möglichst grausige Schauwerte, bleibt abzuwarten. Die Zutaten für einen Genre-Hit stimmen jedenfalls.
Die erste Staffel von "Carnival Row" ist ab dem 30.08. im englischen Original mit Untertiteln bei Amazon Prime Video streambar. Im November folgt die synchronisierte Fassung.
"Derry Girls" – Lachen, bis einer heult
Für Freunde von: der Situationskomik aus "Chewing Gum", pubertären Witzen aus "American Pie", und dem Gefühl auf Gräbern zu tanzen von "The End Of The Fucking World".
Derry, an der irischen Grenze in Nordirland, war bis Ende der 1990er fast dreißig Jahre lang das Zentrum des Nordirlandkonflikts, bei dem tausende Menschen starben. Was dieser alltägliche Terror mitten in Europa für die Menschen bedeutet hat, ist heute schwer vorstellbar. Ausgerechnet in einer Comedyserie wird er aber erfahrbar.
"Derry Girls" spielt im Jahr 1992. In Fernsehen, Radio und Tischgesprächen ist der Nordirlandkonflikt omnipräsent: Bombendrohungen, Attentate und Straßensperrungen stehen für die fünf 16-jährigen Freundinnen in Derry an der Tagesordnung. Spoiler: Die Mädels kümmert das alles nicht. Sie haben dringendere Probleme: Jungs, chronischer Geldmangel, versehentliche Brandstiftung und ja, auch eine tote Nonne…
Das Leben der Mädchen eskaliert am laufenden Band, obwohl eigentlich ja nichts schlimmer sein kann als der alltägliche Kriegszustand. Wie absurd, aber auch normal diese Situation zwischen Bombendrohungen und Pubertätsterror ist, macht "Derry Girls" mit jeder Menge Humor (und einem perfekt kuratierten Soundtrack) deutlich.
Die zweite Staffel von “Derry Girls” ist seit Anfang August bei Netflix streambar.
"The Boys" – Wer rettet die Welt vor Superhelden?
Für Freunde von: nicht ganz so berechenbaren Superheldengeschichten wie "Umbrella Academy". Zum Beispiel von der richtig kaputten "Jessica Jones", und der verwegen-brutalen Comicadaption "The Preacher".
Swooosh. Flatsch. Das war`s. Eine große Blutlache am Boden und ein paar Hände. Das ist alles, was Hughie von seiner Freundin übrig bleibt. A-Train, der Schnellzug unter den Superhelden, ist versehentlich durch sie durchgerast und hat sie dabei in Stücke gerissen.
Was soll's, eine Leiche auf dem Weg zur Rettung vieler – das ist ein Kollateralschaden, den die "Seven" gerne und ohne Entschuldigung hinnehmen. Die Seven sind nämlich so etwas wie die Elitetruppe der Superhelden. Ihr Arbeitgeber ist ein profitorientiertes Milliardenunternehmen, das Probleme so gewissenhaft wie die Katholische Kirche unter den Teppich kehrt.
Billy Butcher, ein angeblicher FBI-Agent, rekrutiert den wütenden und traumatisierten Hughie also, um die Seven zu Fall zu bringen. Das Problem: Im Gegensatz zu den Seven haben die zwei keine Superkräfte, und stellen sich auch sonst nicht besonders clever an.
"The Boys" ist eine Serie über Superhelden, die die Welt nicht retten, sondern ruinieren. Und damit ist sie völlig anders als die üblichen Marvel- und DC-Comic-Verfilmungen, denen wir ununterbrochen im Kino und bei den Streamingdiensten begegnen. Am Ende von "The Boys" steht die Erkenntnis: Vielleicht sind wir Normalsterblichen doch lieber unsere eigenen Helden.
Die erste Staffel von "The Boys" ist bei Amazon Prime Video verfügbar. Die Comicvorlage "The Boys" ist im Englischen in den Verlagen Wildstorm und später bei Dynamite Entertainment erschienen. Auf Deutsch wurde er bei Panini veröffentlicht.
"The Family" – Drahtzieher in Jesu Namen
Für Freunde von: unfassbaren Geschichten, die spannend aber dokumentarisch nacherzählt werden, wie "Wermut" , Dokus über charismatische Glaubensführer und ihre Abgründe wir "Wild Wild Country" und tiefe Einblicke in geheime Organisationen wie "Going Clear: Scientology".
Im Februar jeden Jahres wird in Washington D.C. seit 1953 gemeinschaftlich gebetet – beim National Prayer Breakfast. Ein irreführender Titel, denn das Gebetsfrühstück ist nicht etwa eine staatliche Angelegenheit, obwohl bisher jeder amtierende Präsident daran teilgenommen hat. Ausgerichtet wir die Veranstaltung von "The Family", einem evangelikalen Netzwerk ohne Sitz und ohne offizielle Führung.
Die Schattenorganisation im politischen Herzen der USA bewegt möglicherweise sehr viel mehr als ein paar tausend einflussreiche Menschen zum jährlichen Frühstücksgebet. Das zumindest ist die Prämisse der Netflix-Dokuserie "The Family" von Jesse Moss. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Buch von Jeff Sharlet, der selbst als junger Mann in den 1990er-Jahren eine Zeit im Kreise der Family verbracht hat und heute vor ihrem weltweiten, oft fundamental-christlichen Einfluss warnt.
Wie genau sich diese Beeinflussung in den USA zeigt, durch wen sie gesteuert wird und mit welchem Ziel, das bleibt in der Serie leider sehr vage. Offensichtlich wird jedoch, dass die patriarchale "Family" Männer mit Geltungssucht anzieht, die im Namen von Jesus Christus auch bereit sind Gesetze zu brechen.
"The Family" ist bei Netflix abrufbar.
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